KOMMENTAR

Nabelschau als Preis der Sichtbarkeit

13. März 2016

13.03 – Amerika steckt mitten im Wahlkampf. Die Amtszeit von Barack Obama neigt sich dem Ende zu, und Präsidentschaftskandidaten wie Donald Trump, Ted Cruz und Hilary Clinton liefern sich einen gnadenlosen Kampf um Wählerstimmen. Und mitten drin Caitlyn Jenner.

Letzten Montag hatte die zweite Staffel von „I am Cait“ in den Staaten Premiere. Ein Dokuformat, dass die Irrungen und Wirrungen der millionenschweren Transfrau Caitlyn Jenner, die in ihrem früheren Leben als Olympiasieger Erfolge feierte und einst männliches Oberhaupt des Kardashian-Clans war, festhält.

Und tatsächlich sorgt Mrs Jenner in der Transcommunity für Verwirrung. Denn trotz allen Outings und öffentlicher Transition haben sich ihre politischen Ansichten nicht geändert. Sie sieht sich nach wie vor als konservative Republikanerin. Trans und Republikaner ist für viele ein Widerspruch. Denn die amerikanische Partei ist alles andere als LGBTI-freundlich. Ganz im Gegenteil: Transmenschen sind hauptsächlich Teil einer Freakshow, die man unter Kontrolle haben oder am liebsten gar wegsperren möchte.

Mit ihrer politischen Einstellung ruiniert sich Caitlyn das Image der Trans-Ikone. Keine andere Transperson hat je mehr Aufmerksamkeit bekommen als sie. Millionen verfolgten ihr Outing im Fernsehen. Als sie sich einen Instagram- Account anlegte, hatte sie binnen kürzester Zeit mehr Fans als Barack Obama. Und seitdem sie auf dem Cover der Zeitschrift Vanity Fair war, kennt fast jeder Amerikaner mindestens eine Transfrau.

Doch die Community war von Anfang an sehr skeptisch. Oft lag der Vorwurf in der Luft, Caitlyn würde durch ihre Position als Millionärin ein falsches Bild von Transmenschen vermitteln, weil sie durch ihren Reichtum allerlei Privilegien hat und sich zum Beispiel diverse Operationen leisten kann, mit denen sie ein klischeehaftes Weiblichkeitsbild bedient.

Diese Kritik ist in gewisser Weise berechtigt. Denn tatsächlich ist die Arbeitslosigkeit unter Transmenschen besonders hoch und viele leben an der Armutsgrenze. Mit solchen Grundvoraussetzungen sind angleichende Operationen, die von Krankenkassen fast gar nicht oder nur widerwillig bezahlt werden, unmöglich und somit bleibt für viele ein äußeres Erscheinungsbild, dass die Transidentität nicht sofort sichtbar macht, kaum umsetzbar. Was wiederum dazu führt, dass es problematisch ist, Jobs zu finden. Ein Teufelskreis.

Doch Caitlyn wird stark auf ihren Status reduziert. Wenn man sich ihre Reality TV-Show anschaut, sieht man, dass ein Mensch sich entwickelt. Es ist sehr mutig, den Schritt nach vorn zu wagen und die Veränderungen, die eine Transition mit sich bringt, öffentlich zu durchleben, anstatt im stillen Kämmerlein. Genau das macht Caitlyn zu einer Ikone. Kaum ein anderes TV-Format und auch kaum ein Film schafft so viel Sichtbarkeit wie „I am Cait“. Denn die Produzenten und auch die Hauptperson selbst haben etwas sehr Kluges gemacht. Sie konzentrieren sich nicht nur auf die Geschichte von Caitlyn. 

Schon in der ersten Staffel hat sie sich einen neuen Freundeskreis mit den verschiedensten Transfrauen aufgebaut. Und obwohl man am Anfang Angst haben musste, dass diese nur als Showeffekt herangezogen würden, um ein künstliches Community-Gefühl zu erzeugen wird ganz deutlich, dass dies nicht der Fall ist.

In der gerade angelaufenen zweiten Staffel gehen die Frauen gemeinsam auf einen Roadtrip, in einem riesigen Tourbus durch ganz Amerika. Was sich im ersten Moment nach „Priscilla Queen of the Desert“ anhört, wird sehr schnell zu einer Lehrstunde für die Zuschauer und vor allem auch für Caitlyn. Denn die Gruppe setzt sich aus einzigartigen Persönlichkeiten zusammen, die allesamt eine große Rolle in der amerikanischen Transcommunity spielen. 

Mit dabei sind: Candis Cayne, eine Transfrau, die Fernsehgeschichte geschrieben hat. Als erste hatte sie eine tragende Rolle in der Serie „Crazy, Sexy, Money“ neben Alec Baldwin. Zachary Drucker, ist Künstlerin und Produzentin und hat als Beraterin großen Einfluss auf die Golden Globe-prämierte Serie „Transparent“, in der es um das Familienleben einer älteren Transfrau geht. Kate Bornstein, die vor ihrer Transition Mitglied von Scientology war und mit ihrem Buch „Gender Outlaw“ ein Manifest der Transcommunity geschaffen hat. Und eine der wichtigsten Rollen spielt Jennifer Finney Boylan, eine der einflussreichsten Aktivistinnen und Professorin am Colby College. Sie stand dem Produktionsteam von „I am Cait“  beratend zur Seite und wäscht Caitlyn anständig den Kopf, hinterfragt Caitlyn immer wieder. Ihre politischen Ansichten, ihre Sexualität, ihre Rolle in der Community. Dadurch wird das TV-Format etwas ganz Besonderes.

Man kann live miterleben, wie ein Mensch sich entwickelt und verändert im Umgang mit anderen Menschen, die bereit sind, ihre persönlichen Geschichten zu teilen. Genau das macht „I am Cait“ so wichtig. Denn es zeigt nicht nur den (unrealistischen) Alltag einer Millionärin mit Tourbus und ständig anwesendem Make-up-Team, sondern auch die Geschichten von sehr unterschiedlichen Transmenschen. Etwas, das auch heute noch sehr wichtig für die Community ist. Dann auch im Jahr 2016 fällt das T und das I bei den Belangen der LGBTI-Community gerne noch immer unter den Tisch. Das ist nicht nur in Amerika der Fall. In der deutschen Community bemüht man sich sehr um das Recht auf die Ehe. Doch die Selbstbestimmung von Transmenschen wird eher  ignoriert. 

Gerne wird man in der Community als Genderterrorist_in denunziert, wenn es sich einmal nicht um die Belange des weißen, männlich wirkenden, schwulen Mannes dreht. Deshalb ist Sichtbarkeit für Transmenschen noch immer unglaublich wichtig. Und „I am Cait“ sollte da nur ein Anfang sein.

Kaey

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