SIEGESSÄULE präsentiert

„Roots – Circus Stories“ im Chamäleon

18. März 2016
Cirk La Putyka © Tomáš Třeštík

Acht Mitwirkende, drei Frauen, fünf Männer, bilden das internationale Ensemble der neuen Show „Roots Circus Stories“ (ursprünglich family stories) im Variete Chamäleon. Mit der Verpflichtung des tschechischen Cirk La Putyka hält wiederum ein erfrischend anderer Wind Einzug in den Jugendstil-Saal in den Hackeschen Höfen und liefert den Beweis, wie aufregend zeitgenössischer Zirkus variiert werden kann. Die Show entfaltet sich wie ein Leporello, immer kommt eine neue Ansicht hinzu, aus Alt wird Neu.

Zirkusgeschichten werden erzählt. So rollt im Prolog ein bunt verzierter alter Karren in den Saal, auf dem eine Akrobatin (Lisa Matilda Angberg) in historisierendem Kostüm ihre Kunst vorführt. Später ist die Künstlerin in der zeitgenössischen Variante zu bewundern, mit allerlei Licht- und Toneffekten und noch verwegener in der Kontorsion. Gelungen sind einzelne Übergänge vom alten Zirkus zum heutigen, wenn etwa eine alte Marionette als „beweglichster Artist aller Zeiten“ annonciert wird und ihre wenig später auftretende menschliche Kollegin noch gelenkiger ist als sie. Eine weitere Referenz an die Zeiten des reisenden Varietes ist die Figur des „stärksten Manns der Welt“, der tatsächlich mehrere Menschen gleichzeitig tragen kann.

Das Spektakel rankt sich um die Wurzeln der Akrobatik und Artistik, erlaubt auch Einblicke in die Geschichte(n) der Mitwirkenden. Bei dem Akrobaten Michael Boltnar ist es ein Unfall am Barren gewesen, der ihn zu der Solonummer inspiriert hat, bei der er das Gerät auf sensationelle Weise für sich zurückerobert – und die Angst besiegt. Besonderer Clou bei diesem Act ist ein tiefergelegtes Trampolin auf der Bühne, das für das Publikum nicht zu sehen ist und sich als sehr effektvoll erweist.

Die Truppe schafft es durchgehend, alles federleicht aussehen zu lassen – selbst schwierigste Handstand- und Wurf-Akrobatik. Immer ist alles in Bewegung, fast niemals ist eine Solonummer ganz allein auf der Bühne. Ständig passiert etwas und man fühlt beinah die Beziehungen zwischen den Agierenden. Wie zum Beispiel bei dem hinreißenden Frauen-Duo, Mira Leonard und Esmeralda Nikolajeff aus Schweden, deren innige Freundschaft seit Kindertagen besteht. Die Stories dazu sind bei zwei tragisch und komischen Trapeznummern zu beobachten.

Immer wieder sind die unterschiedlichsten Puppen im Einsatz – ein Hinweis auf die Familiengeschichte des Regisseurs Rostislav Novák, der aus einer Puppenspielerfamilie stammt. Der spektakulärste Auftritt ist dabei, wenn aus einer hastig zusammengefügten Stangenkonstruktion eine überlebensgroße Gestalt wird, die zudem noch als Trapez bespielt werden kann.  

Im Ablauf bleibt kaum etwas statisch, wozu auch die gut zusammengestellte Videoprojektion und die eigens komponierte Musik beitragen, die kommentieren, überleiten, aber nie in den Vordergrund rücken. Stark genug sind die einzelnen Acts, aber auch die dynamischen Ensemble-Auftritte, die immer wieder die Einheit des Teams demonstrieren, auch das Zusammenraufen. Alles ist aus einem Guss und speziell der zweite Akt bietet so viel Schauwert und Kunstgenuss mit viel Zauber dazu, dass es durchweg besticht.

Frank Hermann

Roots Circus Stories, bis 28.08., Chamäleon

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