Larry Tee im Interview: „Ich bin eine schamlose Nutte"

– Larry Tees Biografie liest sich wie der Lebenslauf eines Getriebenen: Geboren in Seattle zog der DJ, Musiker, Partyveranstalter und Designer in den 80ern zunächst nach Atlanta und dann weiter nach New York. Dort wurde er zum Player der legendären „Partymonster“-Clubkid-Szene um Michael Alig, schrieb mit RuPaul den Drag-Smash-Hit „Supermodel (You Better Work)“, erfand den Begriff Electroclash und machte die Musik-Acts des Genres bekannt. Nach ein paar Jahren in London, wo er 2014 sein Modelabel TZUJI gründete, verschlug es den 56-Jährigen Anfang 2015 nach Berlin. Schnell war er in der Szene omnipräsent und im März feierte seine eigene Partyreihe „Krank“ Premiere. Höchste Zeit für ein Interview
Larry, du bist Anfang letzten Jahres nach Berlin gekommen. Plötzlich warst du überall: bei Facebook, als DJ auf Partys, auf Fotos, in der ganzen Szene. War das harte Arbeit oder hat dir dein Name hier Türen geöffnet? Ich kannte schon ein paar der Schlüsselpersonen aus Berlin. Die Jungs von „Pornceptual“ zum Beispiel, die haben ihre erste Party bei mir in meinem Club in London gemacht. Bevor ich herzog, hab ich dann noch ein paar Leute bei Facebook geadded. Und mit meiner Biografie geht das dann schon ziemlich schnell: ich habe RuPauls Hit „Supermodel (You better work)“ mitgeschrieben, im Film „Partymonster“ geht es um meinen Club, meine Partys, ich habe den Begriff Electroclash erfunden und besitze die Rechte daran, habe Hits geschrieben für Künstlerinnen wie für Princess Superstar, Santigold und so weiter.
Städte-Hopping gehört irgendwie zu deiner Biografie: von Altanta 1989 nach New York, dann nach London, jetzt nach Berlin. Ich bin aber nie irgendwo aufgetaucht, hab mir auf die Brust getrommelt und gebrüllt: Ich bin hier! Das ist einfach nicht mein Stil. Ich habe genug auf der Bank, um sicher leben und die Wohnorte wechseln zu können. Zum Glück! Und wenn Städte mir nichts mehr bieten, keine Kreativität mehr hervorbringen, kann ich es mir einfach leisten, weiterzuziehen. Irgendwohin, wo es zuträglicher ist für meine Talente. Berlin erschien mir als die optimale Stadt, um mich zu verlieben, um Arbeit und um die bestmögliche Lebensqualität zu finden.
Du hast dein Modelabel TZUJI 2014 gestartet. Im gleichen Jahr erschien auch deine letzte Platte. Hat sich dein Fokus durch die Mode von der Musik entfernt? Ich bin die erste Ratte, die das sinkende Schiff verlässt. Seit ich angefangen habe, Musik zu machen, gab es zu keiner Zeit ein so geringes Interesse an Musik wie heute. Der Fokus der Entertainment-Branche wechselte zu Reality-TV-Stars und Designern. Es geht vielmehr darum, wie Kanyes neuste Schuhe aussehen und nicht mehr darum, wie seine letzte Platte klingt. Ich bin eine schamlose Nutte, ich ziehe einfach weiter. Ich will da sein, wo es abgeht. Und in der Musik passiert gerade nichts. Wenn ich jemanden frage, wer gerade die neue Musik macht, und die Antwort lautet FKA Twigs, dann denke ich nur: Ernsthaft? Das soll alles sein? Dann kommen die Leute mit Perfume Genius und ich denke, den gibt es schon seit sieben Jahren! All die spannenden Künstlerinnen und Künstler, die es im Moment gibt, machen das schon eine Weile. Die „iTunesifizierung“ der Musikwelt schreitet fort – so lange, bis jemand mal wieder was Interessantes zu sagen hat. Oder sich KünstlerInnen einfach weigern, ihren Kram auf iTunes zu verkaufen und Sachen machen, die so gut sind, dass Menschen wieder aus dem Haus gehen und sich Platten kaufen – dann wird Musik wieder lebendig, dann wird sie wieder relevant. Aber solange die Leute den ganzen Kram gratis oder bei iTunes downloaden, so lange wird es keine relevante Musik mehr geben.
Deine neue Partyreihe „KRANK“ hatte im März Premiere. Wie lief es denn? Oh, gut. Wir hatten so um die 600 Gäste. Es war eine tolle, gemischte Crowd. Alle meine Lieblings-DJs waren da. Patrick Mason, Dickey Doo und so weiter. Ich sagte vorher zu ihnen, dass sie bloß nicht den selben Kram wie immer spielen sollen. Ich wollte, dass sie experimentieren. Die Party sollte einfach nicht so klingen wie alle anderen in dieser Stadt. Die DJs in Berlin werden schnell unruhig: Was, wenn der Booker aus dem Berghain heute hier ist, und hört, wie ich irgendwas von Whitney Houston spiele?? Dann kriege ich dort doch nie einen Fuß auf den Boden! Alle nehmen das viel zu ernst. Wir haben dafür extra einen Shit-Music-Room. Wenn man die Leute die ganze Nacht in einer Musikerziehungsanstalt festhält, dann kann das echt öde werden. Menschen brauchen einen Ort, an dem sie sich gehen lasse können. Und es braucht einen Ort ohne Musik.
In den 90ern hast du erlebt, wie Drogenmissbrauch eine ganze kreative Szene zerstört hat. In Berlin wird der Drogenkonsum, vor allem in der schwulen Szene, gerade auch immer unkontrollierbarer. Was empfindest du, wenn du das siehst? Ich selber bin ja seit 1997 drogenfrei. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass es in Berlin ein besonders krasses Drogenproblem gibt. Die Opfer, die man noch vor 10 Jahren morgens zuhauf in der U-Bahn gesehen hat, verschwinden irgendwie. Auch die ganzen Leute, die drei Tage auf den schwulen Mega-Partys durchfeiern, haben immer noch Jobs. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen niemand einer geregelten Arbeit nachging. Gerade im Vergleich zu Berlins hedonistischer Vergangenheit, ist das heute wirklich harmlos. Heroin zum Beispiel, das mal in der Stadt eine wesentlich Rolle gespielt hat, ist heute kaum noch präsent. Außerdem ist die Qualität der Drogen hier ziemlich dürftig. Und Crystal Meth bringt dich viel zu schnell in die Entzugsklinik. Das ist einfach keine Droge, die man lange nehmen kann. G ist da schon viel gefährlicher meiner Ansicht nach. Es gibt schon ein Drogenproblem, aber mit einem Blick auf die Größe der Stadt und die Vielfältigkeit der Clubszene ist es immer noch ok. Gerade, wenn man es mit New York in der Hochzeit der Clubkid-Kultur vergleicht. Damals fielen die Leute einfach um und starben.
Interview: Jan Noll
Krank, 16.04., 0:00, Loftus Hall
DJs: Larry Tee, Mashyno, Patrick Mason, Apollo X, Richard Roloff
tzuji.com
larrytee.com