Zauberberg am Deutschen Theater: Castorp soll lachen

Thomas Manns 100.000-Seiten-Schinken „Der Zauberberg“ ist den Deutsch-Leistungskursteilnehmern unter uns als Blei im Rucksack in bester Erinnerung geblieben. Ein epochales Werk, komplex, ausufernd, woran der Autor zwölf Jahre lang werkelte und wir (gefühlt) darin lasen. Erzählt wird die Geschichte Hans Castorps, der in einem Schweizer Sanatorium seinen lungenkranken Vater besucht. Aus einem avisierten Dreiwochentrip werden sieben Jahre, an deren Ende der Erste Weltkrieg ausbricht. Nun werden die 100.000 Seiten als Theaterstück im Deutschen Theater zu sehen sein, inszeniert von Martin Laberenz.
Was treibt einen jungen Regisseur dazu, sich ausgerechnet mit dieser Stoffflut zu befassen? Die Antwort überrascht und macht neugierig: „Der Zauberberg ist in sich sehr komisch“, sagt Laberenz im Interview. Holla, da muss mir was entgangen sein. Aber Laberenz, Jahrgang 1982, ist bekannt dafür, den Materialien, die er in die Hand nimmt, ihr komödiantisches Potenzial zu entlocken und damit gerne die Vertreter des gehobenen Feuilletons in ihrem wohlmeinenden Schnarchmodus zu erschüttern. „Für mich ist der Humor eines der wichtigsten Mittel für Erkenntnisgewinn.“
Laberenz arbeitet an den ganz großen Häusern, in Dortmund, Düsseldorf, Stuttgart und eben am Berliner DT, wobei seine Inszenierungen von klassischen Werke und Romanadaptionen erfrischend umstritten sind. Vom Publikum werden seine Abende gemeinhin gefeiert, die Kritik mosert. So nörgelte die Berliner Morgenpost über Laberenz’ Version von Molières „Der Geizige“: „Der jungenhafte Zuschauer neben uns amüsiert sich prächtig. Der prominente Linke-Politiker vor uns verzieht dagegen kaum eine Miene und hält es wie der Großteil des Publikums.“ Immerhin läuft die Produktion des DT (das nächste Mal am 14.05.) weitgehend ausverkauft und ist absolut empfehlenswert. So lautet ein Zuschauerkommentar: „Einfach nur großartig! Tränen lachen und angerührt werden, Tiefe und Witz. Mein bestes Theatererlebnis seit Jahren.“ Man stelle sich vor, Ähnliches gelingt ihm mit Mann – da geht ein Aufschrei des Entsetzens durch die Gazetten!
Auf die Frage, inwiefern ihn die homoerotischen Aspekte der Vorlage interessieren, reagiert der Regisseur eher zurückhaltend. Ihn hat das unterschwellig Schwule der legendären Klemmschwester nicht zuvörderst interessiert, „trotzdem begegnet einem bei der Auseinandersetzung immer wieder das komplizierte Verhältnis von Thomas Mann zu seiner Sexualität. Mich fasziniert dabei, dass die Sprache im Roman wie regulierend/disziplinierend wirkt; wie eine Fassung, die das Begehren, den Körper, das Erleben und das Erlebenwollen einschließt und unter Kontrolle, ja, fast zum Schweigen bringt.“ So weit, so kryptisch. Und weiter: „Darunter ist eine große Verzweiflung spürbar.“ Wenn es dem Regisseur auch nur annähernd gelingt, die staubtrockene Vorlage wie in vergangenen Arbeiten als Spielplatz der Unterdrückung und Begehrlichkeiten zu nutzen, dann dürfen wir uns auf ein sinnlich-selbstironisches Theatererlebnis freuen – jenseits der bleiernen Schwere ihres selbstzerrissenen Schöpfers. Ein bisschen Böhmermann schadet auch einem Thomas Mann nicht.
Daniel Call
Der Zauberberg, 29.05. (Premiere), 18:00, Deutsches Theater