Kino

Liebe, die an ihre Grenzen stößt: „Laurence Anyways“ heute bei MonGay

24. Juni 2013

Als Dolan 2009 im Alter von 19 Jahren seinen Debütfilm „I Killed My Mother“ in Cannes vorstellte, wurde er als Regiewunderkind gefeiert. Ein Jahr später folgte „Heartbeats“. Mit „Laurence Anyways“ legt er nun seinen dritten Film vor, der um LGBT-Themen kreist. Hochgradig artifizielle, surreale Bildkompositionen wechseln sich ab mit einem semidokumentarischen Stil, bei dem die Kamera ganz nah bei den Figuren ist. Laurence Alia, Anfang dreißig, möchte eine Frau werden. Dafür riskiert der Lehrer und Schriftsteller sogar seine große Liebe, Fred Belair. Über ein Jahrzehnt hinweg verfolgt der Film den Kampf um diese Beziehung und Laurence’ zunehmende Verwandlung …

Im Interview mit Siegessäule spricht der kanadische Regisseur, Autor und Schauspieler über sein episches, fast drei Stunden umfassendes Meisterwerk, dessen opulenter Soundtrack und lyrische Bildsprache jede einzelne Szene zu einem Kunstwerk machen.


Xavier, „Laurence Anyways“ ist dein dritter Film, der sich mit LGBTs auseinandersetzt. Siehst du dich als queeren Künstler oder dein Werk als einen Beitrag zum queeren Kino? Ich arbeite nicht für die Community. „Fights for Rights Movies“ sind edel und notwendig, aber
bereits mein Film„I Killed My Mother“ ist in erster Linie die Geschichte eines Sohnes und seiner Mutter. Seine Homo­sexualität ist nur Beiwerk. Ähnlich ist es in „Heartbeats“, wo zwei Freunde eher in die Liebe verliebt sind als in einen anderen Menschen und in ihrem Eroberungsstreben miteinander konkurrieren. In „Laurence Anyways“ versuchen zwei Liebende ihre soziale Ausgrenzung zu überstehen, vor allem jedoch versuchen sie, in ihrer Beziehung authentisch zu sein. Diese Geschichten existieren jenseits von LGBT-Belangen, es sind eher Nebenstränge oder, um mit Hitchcock zu sprechen, „MacGuffins“. Für mich ist klar, dass wahrer Fortschritt darin besteht, dass man bestimmte Dinge nicht mehr einfordern muss, sondern das sie ganz selbstverständlich werden. Vielleicht sind schwule Pornos deshalb das einzige queere Kino, das diesen Namen verdient. Alles andere sind einfach Filme. Für mich gibt es auch kein Heterokino.


Manche Menschen können ihre sexuellen Hemmungen, ihr angeborenes Verlangen nach einem bestimmten Geschlecht überwinden, andere nicht


Viele Kritiker behaupten, „Laurence Anyways“ sei dein bisher reifstes Werk. Jedenfalls ist es dein erster Film jenseits von „Teenage Angst“- und Coming-of-Age-Themen. Für mich sind all meine Filme Teil einer unbewussten Trilogie über unerwiderte Liebe, auch wenn sie thematisch sehr weit auseinander liegen. Ich habe nie das Thema gewechselt, sondern versucht Geschichten zu erzählen, während ich mich stets weiterentwickelte. Wie ich selbst werden eben auch meine Figuren älter.

Welche Entwicklung durchläuft Laurence im Film? Sie wird zunehmend von dem Kampf mit der eigenen Geschlechtsidentität dominiert. Während sich Laurence’ männliche Identität aufzulösen beginnt, befreit sie sich von den alltäg­lichen Dingen, Karriere und Liebe eingeschlossen. Beides wird nichtig. Ich wollte zeigen, wie alles um Laurence stagniert, während sie ihren mutigen Weg geht.

Laurence, der Literatur unterrichtet, wird vom Schuldienst suspendiert, als er sich wie eine Frau zu kleiden beginnt. Seine Schüler kommen dagegen sehr gut mit ihrer eigentlichen Identität klar. Glaubst du, dass Akzeptanz eine Generationenfrage ist?
Jede Generation hat ihre Eltern, die sie beeinflussen und ihnen Werte beibringen, die wiederum ihre Eltern ihnen mitgegeben haben. Ich glaube, dass Akzeptanz eine Frage von Charakter, Denkart und Individualität ist. Es hat immer Menschen gegeben, die ihren Hass weitergetragen haben, nur stehen diese heute meist außen vor. Die Menschheit hat sich hier weiterentwickelt. Genauso hat es immer aufgeschlossene Menschen gegeben, die Geschichte geschrie­ben, Dinge vorangetrieben und ihre modernen Ansichten verbreitet haben.

Obwohl Laurence’ langjährige Freundin Fred hetero ist, versucht sie eine Beziehung mit ihr zu führen. Am Ende trennen sie sich. Trotz Freds großer Liebe zu Laurence kann sie letztlich nicht nicht ihre sexuellen Neigungen überwinden. Wir sollten das individuell betrachten. So wie Menschen nicht durch ihre Zugehörigkeit zu einer Generation definiert werden können, können sie es auch nicht durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Sexualität ist etwas Persönliches. Manche Menschen können ihre sexuellen Hemmungen, ihr angeborenes Verlangen nach einem bestimmten Geschlecht überwinden, andere nicht.

Du hast mal gesagt, dass „Titanic“ einer deiner Lieblingsfilme sei. Kannst du dir vorstellen, ein glamouröses Hollywood-Melodram oder sogar einen Blockbuster zu drehen? Natürlich! Genau das werde ich als Nächstes in Angriff nehmen, auch wenn es wohl noch anderthalb Jahre dauern wird. Ich arbeite gerade an einem Projekt, meinem ersten amerikanischen Drehbuch, das ich mit Jacob Tierney, einem kanadischen Regisseur, Autor und guten Freund, geschrieben habe.
Interview: Michael Thiele / Andreas Scholz


Das vollständige Interview ist in der Printausgabe von Siegessäule zu lesen.

Siegessäule präsentiert:
„Laurence Anyways“, 24.6., 22 Uhr,
MonGay,
Kino International,
ab 27.6. im Kino


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