Bühnentipp der Woche

„Iwan Grosny“ erstmals als Filmkonzert

12. Sept. 2016
Unter der Leitung von Frank Strobel wird das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin gemeinsam mit dem Rundfunkchor Berlin Sergej Eisensteins Film „Iwan Grosny“ mit der Musik von Prokofjew live begleiten © Molina

Besonders spektakulär dürfte die Aufführung von Sergej Eisensteins zweiteiligem Film-Opus „Iwan Grosny“ aus den 40er-Jahren werden, als Live-Kino-Erlebnis im Konzerthaus mit Gesangssolisten, dem Rundfunkchor Berlin und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, insgesamt gut 170 Kräften. So legendär wie der Film ist auch die Musik von Sergej Prokofjew. Bislang war jedoch das Problem, dass man auf den historischen Filmkopien nur scheppernd und krächzend einen schwachen Abglanz dieser Klänge hören konnte. Dank moderner Technik wird das jetzt anders, erklärt Dirigent Frank Strobel, der die Aufführung beim Musikfest Berlin leiten wird und bei der Rekonstruktion der Filmmusik maßgeblich beteiligt war: „Es gab bei ›Iwan Grosny‹ keine getrennte Tonspur. Erst durch die Digitaltechnik konnten wir Atmo und Dialoge im Film beibehalten und die Musik herausrechnen.“ Die Originalmusik musste mühsam rekonstruiert werden. Bei den Recherchen stellten Strobel und seine Mitstreiter fest, dass das Notenmaterial, das in Moskau lagert, überhaupt nicht mit der endgültigen Filmmusik übereinstimmte. Eigentlich typisch für die Filmbranche, sagt Frank Strobel, der selbst schon als Dirigent rund 100 Soundtracks eingespielt hat: „Viele Entscheidungen fallen erst während der Postproduktion, das wird dann nicht mehr aufgeschrieben. Teils wird das Notenmaterial sogar weggeworfen.“ In „Iwan Grosny“ geht es um den Aufstieg von „Iwan dem Schrecklichen“, um Machtmissbrauch und auch um -kämpfe mit der Kirche. Im Film gibt es viele Passagen mit atmosphärischer orthodoxer Kirchenmusik, die neu aus der rauschenden Filmkopie abgehört und rekonstruiert wurden, wofür auch eine Expertin für diese Musiktradition im Boot war. „Diese Sphäre der Kirchenmusik wird nun live viel stärker, der Rundfunkchor hat hier vielfältige Aufgaben. Man taucht klanglich tief ins Russland des 16. Jahrhunderts ein und in diese Mystik“, schwärmt Strobel. Bei der Orchestermusik Prokofjews wiederum mussten die Ohren gespitzt werden, um herauszufinden, welche Instrumente genau zum Einsatz kommen. Eine veritable Premiere also: Die gesamte Filmmusik wird zum ersten Mal in all ihrer Opulenz und ihrem Farbenreichtum erklingen.

Und nachdem er sich so intensiv mit Sergej Eisensteins Film auseinandergesetzt hat – gibt es darin Hinweise auf „das schwule Auge“ des Regisseurs? Frank Strobel: „Abgesehen davon, dass seine Filme oft Männerbünde zeigen, gibt es einen bestimmten Männertyp, der in Eisensteins Filmen wiederkehrt, jung, kantig, ein bisschen herb, mit einer leicht weichen Note. In ›Iwan Grosny‹ steht der junge Soldat Fjodor für diesen Typ. Es gibt außerdem viele Passagen, in denen zwei Männer alleine im Bild sind. Wie dies gefilmt ist, mit einem taxierenden Blick, das hat schon etwas Homoerotisches.“

Eckhard Weber

Musikfest Berlin 2016, Sergej Prokofjew: „Iwan Grosny“ op. 116, Filmkonzert mit dem Rundfunkchor Berlin, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, 16.09., 18:30, Konzerthaus

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