Filmcheck der Woche

Opulenter lesbischer S/M-Thriller: „Die Taschendiebin“

3. Jan. 2017
© Koch Films

Ausgerechnet der für seine schwarzhumorigen Gewaltexzesse bekannte Regisseur Park Chan-wook („Oldboy“) hat Sarah Waters’ lesbischen Roman „Solange du lügst“ verfilmt und daraus einen opulent ausgestatteten S/M-Thriller gemacht. Während das Buch seine Geschichte vor dem Hintergrund des viktorianischen England erzählt, verlegt der Film die Handlung in die 30er-Jahre nach Korea. Einen großen Unterschied macht dies indes nicht: Denn das vornehmliche Setting des Films ist ein prächtiges herrschaftliches Anwesen mit verschiedenen Flügeln und einem geheimnisvollen Keller, das auch einer englischen Gothic novel entsprungen sein könnte. Hier leben die reiche Lady Hideko und ihr sadistischer Onkel Kouzuki, der sie seit ihrer Kindheit dazu zwingt, ihm und anderen Männern „erotische“ Geschichten vorzulesen, in der Frauen erniedrigt werden.

Ein Graf engagiert die Diebin Sookee, damit er sich mit ihrer Hilfe das Vermögen von Hideko erschleichen kann. Getarnt als Dienstmädchen wird Sookee in das Anwesen eingeschleust, um zur engsten Vertrauten der wohlhabenden Dame zu werden. Doch die beiden Frauen verlieben sich ineinander. Überraschende Wendungen gibt es einige in diesem bildgewaltigen und gegen Ende hin ziemlich brutalen Film, der aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird. So wiederholen sich auch einzelne Szenen, um die unterschiedliche Sicht mehrerer Personen auf ein Ereignis darzustellen. Das führt zu einer ausgedehnten Laufzeit von über zweieinhalb Stunden, in denen sich dennoch äußerst kurzweilig ein Spiel aus Intrigen, Täuschungen, Machtverschiebungen und Rache entfaltet, das sich wie ein Puzzle erst nach und nach zusammenfügt.

Ungewöhnlich für eine derart große Produktion sind die erstaunlich expliziten lesbischen Sexszenen, die allerdings teilweise in der Presse als Altherrenfantasien kritisiert wurden. Demzufolge lautete wie schon bei „Blau ist eine warme Farbe“ auch hier der Vorwurf, es fehle dem dargestellten Sex an Authentizität. Darüber lässt sich sicherlich streiten. Wenn beispielsweise die Kameraeinstellung die Perspektive einer Vagina einnimmt, der sich ein erregter geöffneter Mund nähert, mag die Grenze zur unfreiwilligen Komik längst überschritten sein und doch hat dieser exzessiv-überzogene Zugang, der keine Zurückhaltung kennt, etwas sehr Sympathisches. Jedenfalls sollte sich niemand von dieser Diskussion abhalten lassen, den Film im Kino zu sehen: Denn unabhängig von einzelnen Szenen stimmt die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellerinnen. Sie spielen überzeugend zwei Lesben, die sich gemeinsam aus dem patriarchalen Sumpf ihrer Verhältnisse freikämpfen. Zudem ist es keineswegs alltäglich, dass ein lesbischer Roman als aufwendig gestaltetes Kostümdrama verfilmt und dazu noch elegant von einem Meister der Form wie Park Chan-wook inszeniert wird.

„Die Taschendiebin“, ab 05.01. im Kino, Trailer

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