bühne

Doppeljubel

15. Jan. 2017
Christina Reinthal © jackielynn

Es muss „So blau“ gewesen sein. Aber genau weiß ich es nicht mehr. Ganz sicher weiß ich, dass es ein Programm von Cora Frost war, für das ich zum ersten Mal in die Bar jeder Vernunft ging. Mit einer Gruppe Kolleginnen aus meinem Studentenjob saß ich an einem der hinteren Tische und war fasziniert von der Enge, die niemanden zu stören schien, und der besonderen Energie, die da war – eingefangen zwischen Spiegeln und Zeltdach. Alles ein bisschen verrucht, ein bisschen verrückt und total neu in dem, was man bisher von Berlins Bühnen gesehen kannte. Ich hatte keine Ahnung, was nach den Vorstellungen passierte: Auf dem Parkdeck sang Tim Fischer in den Morgenstunden für Cora Frost und warf anschließend seine goldenen Schuhe nach ihr, wie sie in ihrer Laudatio auf ihn zum 25. Bühnenjubiläum 2013 in SIEGESSÄULE schrieb. Und in den „Nachtsalons“ trafen sich alle, die mittendrin waren, in dieser alles neu machenden Zeit: Ades Zabel, Cora, Tim, Gert Thumser, die Geschwister Pfister, Sharon Brauner und viele andere kamen nach ihren 20-Uhr-Vorstellungen in ganz Berlin in die Bar und traten für jeweils 10 bis 20 Minuten auf.
„Nach den Shows haben wir oft lange zusammengesessen und uns Ideen und Programme praktisch ersoffen“, erzählte mir Geschäftsführer und Gründer Holger Klotzbach vor einem Jahr, als ich ihn anlässlich seines 70. Geburtstages interviewte. „Der alte Anarcho“, wie er sich selbst in diesem Interview nannte, hat es geschafft, die Subkultur, das andere, das nicht Konforme im wahrsten Sinne des Wortes salonfähig zu machen. Er war damit so erfolgreich, dass er zehn Jahre nach der Bar jeder Vernunft ein zweites, doppelt so großes Zelt aufstellte. Das Tipi machte diese Entwicklung komplett und passend zu den Jubiläen beider Orte schließen sich die Kreise. Viele von denen, die in den letzten 25 Jahren in Bar und Tipi die Bühnen bevölkerten, treffen sich nun in einem Ensemble: Die neueste Eigenproduktion „Frau Luna“ ist der Inbegriff dieser knisternden Mischung aus Durchgeknalltheit und Bühnengenius. Das erkannte auch Ades Zabel beim ersten Soundcheck zum Stück: „Jeder machte irgendwas – nicht aus ,Frau Luna’, sondern von eigenen Programmen“, erzählte er mir neulich. „Da erinnerte ich mich an unsere Nachtsalons von damals und dachte, das müssen wir unbedingt noch mal machen.“ Und das tun sie: Am 21.01., kurz nach Mitternacht, gibt es mit „Sind wir nicht alle ein bisschen Luna“ ein Revival des legendären Nachtsalons – diesmal im Tipi. Die wahrscheinlich beste Art, Geburtstag zu feiern. Happy Birthday!

Christina Reinthal   

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