Sodomiten, Touristen und „besorgte Eltern“: „Edward II.“ an der Deutschen Oper

Starker Tobak, schonungslos, drastisch. Ein vorwiegend düsteres Stück. Weder buntschillernde Sodomiten-Gay-Pride noch verklärende Verherrlichung ihres Protagonisten bieten der Komponist Andrea Lorenzo Scartazzini und der Librettist Thomas Jonigk in der Oper „Edward II.“. Am vergangenen Sonntag kam ihr Werk als Uraufführung an der Deutschen Oper Berlin auf die Bühne.
Bluttriefend ist schon der historische Stoff: Edward II., Männer begehrender König aus dem englischen Mittelalter, bringt seinen Geliebten, den Metzgerssohn Gaveston, in Amt und Würden, macht ihn sogar zum Bischof, und jagt seine Frau Isabella aus dem Ehebett. Der Herrscher überschätzt seine Position, verkennt die Gefahren. Die Adeligen begehren auf, Gaveston wird getötet, Edward, zunehmend paranoid, rächt sich durch Massenhinrichtungen. Am Ende wird er im Auftrag seiner Ex-Frau bestialisch getötet. Es heißt, ein glühendes Eisen wurde durch ein Rinderhorn in seinen Anus getrieben.
Der Komponist Andrea Lorenzo Scartazzini hat in „Edward II.“ das Geschehen in eine spannungsreiche, sehr gestische Musik gefasst, wendig, bühnenwirksam, dabei großbesetzt, vielschichtig, mit kräftigen Farben und massivem Schlagzeugeinsatz. Im Libretto erzählt der Schriftsteller Thomas Jonigk die Geschichte zwar explizit, aber nicht als effekthascherischen Historienreißer. Stattdessen arbeitet er mit Alptraumsequenzen, Rückblenden und sogar Zeitsprüngen in unsere Epoche, mit Touristen, die das Schloss des historischen Königs Edward II. besichtigen. Im Gegensatz zur Oper „Brokeback Mountain“ von Charles Wuorinen, die vor drei Jahren in Madrid den Stoff des gleichnamigen Filmerfolgs übernahm, weitet „Edward II.“ das Thema über gefährdete schwule Liebe konsequent ins Politische aus. Gezeigt wird das Räderwerk der Macht und die alles zerstörende Spirale von Rache und Hass. Wie etwa aggressive Homo-Feindlichkeit und Antisemitismus ähnliche Mechanismen haben, wie Minderheiten stets als Sündenböcke für alles und nichts herhalten müssen, das legt die Oper deutlich dar. Eine Schwäche des Librettos ist der theoriebemühte Diskurs, der zuweilen etwas zu plakativ und platt daherkommt. Dennoch gelingen starke Szenen. Ein großer Gewinn: die Einfügung zweier grotesker Figuren, die anschaulich Volkes manipulierte Stimme personifizieren, und die Idee, einen Engel auftreten zu lassen, der einen versöhnlichen Lichtstrahl in die Handlung bringt.
Die Uraufführungsproduktion in der Regie von Christof Loy findet mit knappen, aber umso prägnanteren Andeutungen eindrucksvolle Bilder zwischen Mittelalter und 21. Jahrhundert. Vor einer sich langsam drehenden Kirchturmruine, absichtlich mehr gothic als gotisch (Bühnenbild: Annette Kurz), versucht sich Gaveston im blutverschmierten Hochzeitskleid vor seinen Verfolgern in die Arme von Edward zu retten. Der Bischof trägt entlarvend eine golddurchwirkte Krinoline (Kostüme: Klaus Bruns), während er gegen die vermeintliche Verweiblichung der Sodomiten geifert. Eine Demo von „besorgten Eltern“ schürt Hass gegen Regenbogenfamilien. Zwei Soldaten, die beratschlagen, wo Sodomiten an ihren heimlichen Treffpunkten aufgemischt werden könnten, enden heftig miteinander knutschend und schmeißen sich alsbald in Lederkluft. Sämtliche Solosänger glänzten bei der Premiere mit einer bemerkenswerten Gesamtleistung, Chor und Statisterie sowie das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Thomas Søndergård zeigten sich in Bestform.
Die Premiere am vergangenen Sonntag wurde kräftig bejubelt, da konnte zweifellos mit dem Standortvorteil Berlin gepunktet werden. In Dresden, München, Wien wären die Reaktionen womöglich ein wenig anders ausgefallen. Denn es ist bei weitem leider schon wieder gar nicht mehr selbstverständlich, dass eine Oper mit ziemlich offenherzig dargebotener schwuler Thematik an einem staatstragenden Theater läuft. Die hasserfüllten antidemokratischen Menschenfänger, die augenblicklich in den USA und in Europa ihr Unwesen treiben, geben ja eher Anlass zur Sorge, dass solche brutalen Ereignisse wie jene des Mittelalters von „Edward II.“ irgendwann wieder ausbrechen. Deshalb ist diese in jeglicher Hinsicht aufwendig produzierte Oper so wichtig und eines der Stücke der Stunde.
Eckhard Weber
„Edward II“, 24.02., 19.30 Uhr, 01.,04., 09.3., 19.30, Deutsche Oper Berlin