Radiorebellen: Eldoradio ist zurück!

Es ist, als ob 30 Jahre nach dem Abitur das erste Klassentreffen organisiert werden würde. Seit vor einigen Monaten die Vor-bereitungen für das Radio-100-Jubiläum starteten, sind die ehemaligen Macherinnen und Macher des ersten und einzigen links-alternativen Rundfunksenders Berlins im Nostalgie-Modus. Da wird in Fotoalben und Kisten mit Audiokassetten gekramt und nach verschollenen Kollegen Ausschau gehalten. Und es ploppen unweigerlich die Erinnerungen an fünf aufregende, chaotische, zermürbende und leidenschaftliche Radio-Jahre auf. Als Mitte der 80er-Jahre erstmals private Rundfunk- und TV-Stationen möglich wurden, hielt nicht nur der Kommerz-Dudelfunk Einzug; mit Radio 100 ging auch eine Sendelizenz an einen ziemlich bunten Haufen, der fortan aus einer weitläufigen Altbauwohnung in der Potsdamer Straße 131 – basisdemokratisch organisiert und stets am Rande der Pleite – ein kritisches, experimentelles und innovatives Programm sendete, wie es das bis dahin noch nicht gegeben hatte.
Und zweimal wöchentlich gehörte das Mikrofon den Schwulen und Lesben von „Eldoradio“. Das ist zunächst einmal nicht wirklich verwunderlich bei einem Sender, bei dem die DDR-Bürgerrechtsbewegung genauso wie der Kreuzberger Underground und die Hausbesetzerszene eine Plattform erhielten. Erstaunlich aber, dass diese Sendung zu einem wichtigen Aushängeschild von Radio 100 und „Eldoradio“ beispielsweise von den Lesern des tip-Magazins zu einer der beliebtesten Radioshows Berlins gewählt wurde. In Ost-Berlin wurden Kassettenmitschnitte innerhalb der dortigen Schwulen- und Lesbenszene weitergereicht und die viel zu wenigen Werbekunden wollten ihre Jingles unbedingt bei „Eldoradio“ platziert wissen.
„Unsere Sendungen hatten Witz und eine Radikalität und Lockerheit, wie man es bis dahin eigentlich nicht gekannt hat“, beschreibt Manuela Kay den besonderen Touch. Sie gehörte neben einem Dutzend anderen Ehrenamtlichen viele Jahre zum festen Redaktionsteam. „,Eldoradio‘ war queer, bevor es diesen Begriff überhaupt gab.“ Und dabei war dies nicht einmal eine bewusste Entscheidung, sondern es hat sich einfach so ergeben und wurde ohne größere Diskussionen oder Probleme einfach umgesetzt. Gestartet war „Eldoradio“ nämlich zunächst noch als rein schwules Projekt. Zunächst lief die Sendung ab 1985 auf dem ersten privaten Mischkanal hör1. Schon bald stießen dann auch Lesben mit dazu und machten „Eldoradio“ zu einem wegweisenden Projekt. Entgegen der damals vorherrschenden Meinung konnten Lesben und Schwule nämlich sehr wohl zusammenarbeiten und jede Menge Spaß haben. Für Journalist Jörg Schulze war die Zeit bei „Eldoradio“ auch in inhaltlicher Sicht einzigartig. „Wir waren einerseits Teil der damaligen Schwulen- und Lesbenbewegung, andererseits mussten wir diese journalistisch kritisch begleiten.“ Und das brachte dem Team nicht immer nur Freunde ein. Nach nervenaufreibenden Monaten voller Spenden- und Solidaritätsaktionen war 1991 schließlich Schluss mit dem chronisch unterfinanzierten Sender Radio 100. Nach dem Mauerfall suchten auch ausländische Investoren wie der französische Sender NRJ den Markt für sich zu erobern. Der ergatterte sich in einem undurchsichtigen Deal mit der Geschäftsführung schließlich die Frequenz von Radio 100.
Die Zeit hat viele der Redaktionsmitglieder nachhaltig geprägt. „Ohne ‚Eldoradio‘ wäre ich nie Journalistin geworden“, ist sich Manuela Kay sicher. Und die guten Erfahrungen, in einem lesbisch-schwulen Team zu arbeiten, haben sie später darin bestärkt, die einst rein schwule „Siegessäule“ zum queeren Stadtmagazin auszubauen. Jörg Schulze wiederum hatte für Radio 100 sein Studium schleifen lassen und seine Berufung gefunden. „Statt Physiker zu werden, bin ich beim Journalismus geblieben.“ Heute arbeitet er für die BBC in London – und reist zum Radio-100-Jubiläum natürlich nach Berlin.
Zum 30. Jahrestag des Sendestarts wird dann nämlich im Columbia Theater gefeiert, diskutiert, dokumentiert und gesendet. Am 4. März gibt’s von sieben Uhr morgens bis ein Uhr nachts live aus dem gläsernen Studio ein Revival des Radioprogramms – vom „Morgengrauen“-Magazin über „Kunstrausch“ bis „Nachtflug“. Und selbstverständlich gibt es auch ein Wiederhören mit „Eldoradio“. Moderiert wird die zweistündige Show ab 17 Uhr von Manuela Kay und Andrea Winter (zu hören als Livestream auf www.radio100.de oder ganz klassisch im Radio über Antenne UKW 88,4 MHz). Eine Ausstellung zur Geschichte von Radio 100 ist nicht nur eine Zeitreise in die 80er-Jahre für Augen und Ohren, sondern spürt auch den Früchten und Folgen des Projektes nach. Darüber wird zudem an den beiden Jubiläumstagen in diversen Gesprächsrunden diskutiert.
Am Freitag, den 3. März, unterhält sich ab 17 Uhr Manuela Kay unter anderem mit dem Filmemacher Rosa von Praunheim und Birgit Bosold vom Schwulen Museum* darüber, wie sich die Gesellschaft in Bezug auf LGBT-Lebensweisen seit „Eldoradio“ gewandelt hat.
Axel Schock
SIEGESSÄULE präsentiert: Radio 100 – Die Rückkehr des Radios, 03. und 04.03., Columbia Theater
Programm (Auszug): Podiumsdiskussionen, 03.03., ab 15:00 (17:00: „Eldoradio – Queer im Radio, bevor es den Begriff ,queer’ überhaupt gab“, Moderation: Manuela Kay u. a. Gäste: Rosa von Praunheim, Birgit Bosold, Ilona Bubeck u. a.
Radio 100 – Live on Air, 04.03., ab 7:00, im Radio auf 88,4
(von 17:00–19:00 Eldoradio mit Manuela Kay und Andrea Winter)
Die Geburtstagsparty, 04.03., 20:00
Ausführliche Infos zum Programm und den Veranstaltungen unterradio100.de