Vier Fäuste für ein Coming-out: „Mit Siebzehn“

Die Pubertät – das Grauen! All die Verwirrung der Gefühle im Kopf und in der Hose. Damien (Kacey Mottet Klein) steckt mittendrin. Als er sich im Schulunterricht beim Rezitieren eines Gedichtes hervortut, stellt ihm Mitschüler Thomas (Corentin Fila) ein Bein. Das ist der Beginn einer leidenschaftlichen Fehde zwischen zwei Außenseitern, die sowohl mit Blicken als auch mit Fäusten ausgetragen wird: Worüber sich nicht reden lässt, darüber lässt sich prügeln. Die Spannungen zwischen den Teenagern nehmen zu, als Damiens Mutter Marianne (Sandrine Kiberlain) ausgerechnet auf die Idee kommt, den schweigsamen Thomas bei sich zu Hause einzuquartieren. Die Landärztin versprüht einen lebenbejahenden Pragmatismus, dem man sich schwer entziehen kann. Auch ihr meist abwesender Mann – ein Soldat auf Auslandseinsatz – unterstützt den Vorschlag. Denn Thomas, der mit seinen Adoptiveltern auf einem abgelegenen Bergbauernhof und in wohl etwas prekären Verhältnissen lebt, kämpft sich täglich stundenlang durch die verschneite Winterlandschaft zur Schule. Darunter leiden seine Noten, die Versetzung steht auf dem Spiel.
Gemeinsam unter einem Dach müssen Damien und Thomas nun mit den merkwürdigen Anziehungs- und Abstoßungskräften klarkommen, die zwischen ihnen herrschen. Ihre stummen Kämpfe tragen sie bald in der wilden Berglandschaft aus. Die Natur ist dabei so archaisch und sinnlich wie das unausgesprochene Begehren zwischen den jungen Männern: Donner und Regenguss begleiten das Wälzen auf dem Waldboden. Damien unternimmt in seiner Verzweiflung immer deutlichere Annäherungsversuche, wird immer mutiger und offenbart Thomas schließlich, dass er sich zu ihm hingezogen fühlt. Als Marianne von den heimlichen Prügel-Dates erfährt, trifft sie eine resolute Entscheidung. Hier könnte es vorbei sein mit der körperlichen Konfrontation der Jugendlichen. Doch dann verändert ein Schicksalsschlag die emotionale Lage aller Beteiligten.
Regisseur André Téchiné ist über 70 Jahre alt, sein Film zeigt die Nöte und Sehnsüchte von Siebzehnjährigen in aller Komplexität und Natürlichkeit. Das Drehbuch verfasste Téchiné gemeinsam mit der offen lesbischen Regisseurin und Autorin Céline Sciamma, die schon mit ihren Filmen „Water Lilies“, „Tomboy“ oder „Girlhood“ die so sensible wie explosive Zone der jugendlichen Identitätsfindung und des erotischen Erwachens erkundete. „Ich bin stolz drauf, dass du so sensibel bist“, sagt in „Mit siebzehn“ die Mutter zu Damien, als sie seine vor Liebeskummer verheulten Augen sieht. Das gilt auch für den Film: Er ist feinsinnig erzählt und trifft die Gefühle, ohne dramaturgisches Gewese oder viele Worte darüber zu verlieren. Und obwohl das Coming-of-Age-Drama neben der Konfusion der Pubertät auch andere ganz existenzielle Schmerzen nicht ausspart, strahlt der Film eine große Beschwingtheit aus.
kittyhawk
Mit siebzehn, F 2016, Regie: André Téchiné, mit Sandrine Kiberlain, Kacey Mottet Klein, Corentin Fila, ab 16.03. im Kino
SIEGESSÄULE präsentiert
Preview bei MonGay, 13.03., 22:00, Kino International