Bühne

„Ich küsse lieber Jungs“: das Theaterstück „Nasser #7Leben“ am Grips

15. März 2017
David Brizzi als Nasser El-Ahmad

Vor gut zwei Jahren ging Nasser El-Ahmads Fall durch die Medien. Zum Teil flankiert von reißerischen Headlines („Ausgepeitscht, entführt und mit Benzin übergossen“, „Muslim, schwul, der Zwangsehe knapp entkommen“ ), die das höchstmögliche an Brisanz aus der Geschichte pressen wollten. Doch diese beinhaltete weit mehr als nur einen Leidensweg: Als seine in Neukölln lebende Familie herausfindet, dass der Junge schwul ist, versuchen sie ihn in den Libanon zu entführen. Er soll zwangsverheiratet werden und wird darüber hinaus mit dem Tode bedroht. Doch die Entführung misslingt, an der rumänisch-bulgarischen Grenze kann Nasser die Polizei auf sich aufmerksam machen und entkommt. Noch bemerkenswerter ist allerdings sein Umgang mit diesen Erfahrungen: Denn anstatt sich zu verstecken, geht der Junge offensiv an die Öffentlichkeit, zeigt seinen Vater an, organisiert mehrere Demos in Berlin, die sich gegen Homophobie richten und u. a. am Haus seiner Eltern entlang führen. Nassers Geschichte ist also auch die einer Selbstermächtigung, in der der Wunsch nach Autonomie über tradierte, erzkonservative Familienstrukturen triumphiert.

Einen ziemlichen Brocken haben sich da Autorin Susanne Lipp und Regisseurin Maria Lilith Umbach vorgenommen. Nach eindreiviertel Jahren Vorbereitungszeit und vielen Gesprächen mit Nasser brachten sie seine Geschichte auf die Bühne des Grips Podewil – mit vier DarstellerInnen, die zum Teil in verschiedene Rollen schlüpfen. Das anvisierte Zielpublikum von „Nasser #7Leben“ sind vor allem Teenager bzw. Schulklassen, die wohl in den nächsten Wochen durch die zahlreichen Vormittagsvorstellungen geschleust werden. So überrascht es kaum, dass die Inszenierung genau die Aspekte betont, mit denen sich Jugendliche besonders gut identifizieren können: Zum Beispiel die Spannungen zwischen den Eltern und Nasser, der mit zunehmendem Alter nach mehr Unabhängigkeit strebt. Er liegt beständig im Clinch mit seinem autoritär auftretenden Vater, der ihm vorschreiben will, mit welchen Freunden er sich treffen soll und wie lange er ausgehen darf. Scheinbar klassische Pubertätsprobleme, zu denen sich jeder oder jede leicht in Beziehung setzen kann, die in diesem Fall aber zunehmend extremere Züge annehmen und schließlich zur Eskalation führen. Zudem wird gezeigt wie Kinder auf dem Schulhof kichernd über Homosexualität sprechen oder wie eine Mitschülerin – der symbolhaft ein aus Schaumstoff bestehender Wolfskopf aufgesetzt wurde – Nassers Eltern verrät, dass ihr Sohn schwul ist. Der löbliche theaterpädagogische Ansatz ist dabei ziemlich offensichtlich: Die Kinder sollen lernen, ihren Umgang mit dem Thema zu reflektieren. Dabei wird auch Wert darauf gelegt, dass nicht einfach „der Islam“ verantwortlich für Nassers intolerante Umgebung ist.

Erst nach rund der Hälfte der Spieldauer wird zum ersten Mal die Homosexualität der Hauptfigur erwähnt. Direkt ans Publikum wendet sich Nasser-Darsteller David Brizzi und spricht davon, dass er zwar gerne mit Mädchen abhänge, aber lieber Jungs küsse. Außerdem habe er sich nicht dafür entschieden, schwul zu sein, das wäre halt nun mal so. Allerdings klingt das auch immer ein bisschen nach Rechfertigung und als emanzipierter homosexueller Mann mag man sich in diesem Moment denken: Was wäre eigentlich so schlimm dabei, wenn ich mich ganz bewusst dafür entscheiden könnte. Doch es geht dem Stück eben nicht darum, den Ton der Community zu treffen, sondern Jugendliche zu erreichen und sie zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema aus der Perspektive ihrer Lebensrealität zu bewegen.

Nassers Rolle als LGBT-Aktivist wird dementsprechend kaum thematisiert, ebensowenig der damit zusammenhängende Mediendiskurs – lediglich die von Zuspruch oder von Hass geprägten Kommentare auf Nassers Facebook-Profil sind immer wieder zu hören. Die Handlung endet dann auch weitgehend mit dessen geglückter Flucht. Sehr tief geht das sicherlich alles nicht und wer nach neuen spannenden Perspektiven auf diese Geschichte sucht, ist hier wohl eher falsch. Mit Videos, Gesangseinlagen, Sprachakrobatik und gut aufgelegten DarstellerInnen schaffte es das Stück aber durchaus die Aufmerksamkeit der Jugendlichen zu halten und erntete von ihnen am Ende auch tosenden Applaus.

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