DJ Hell: klare Position gegen Homophobie

Seit 1978 steht DJ Hell hinter den Plattentellern und gilt als einer der ersten deutschen House-DJs. Auf seinem fünften Album „Zukunftsmusik“ huldigt der Künstler und Labelbetreiber nun den schwulen Ursprüngen der Clubmusik und setzt damit gleichzeitig ein deutliches Zeichen gegen Homophobie. Unterstützung erhält er dabei von der Tom of Finland Foundation, die unter anderem für den Clip zur Leadsingle „I Want You“ Zeichnungen der schwulen Ikone zur Verfügung stellte. SIEGESSÄULE-Chefredakteur Jan Noll traf DJ Hell zum Gespräch
Hell, dein Album heißt „Zukunftsmusik“. Du rückst darauf aber Sounds aus der Vergangenheit in den Vordergrund: elektronische Musik der späten 70er- und der 80er-Jahre. Muss man die Vergangenheit integrieren, um etwas für die Zukunft schaffen zu können? Mit Sicherheit kann man die Vergangenheit nicht komplett abstreifen. Ich denke, dass analoge Instrumente immer noch einen gewissen Spirit oder einen anderen magischen Ausdruck haben als zum Beispiel digitale Plug-ins. Die Idee war, gedanklich in die Zukunft zu gehen und zu prüfen, was da passieren und wie sich Musik dort anhören könnte. Das Album ist das Ergebnis davon. Eine Mischung aus altem, analogem 70er-Jahre-Equipment und neuen, digitalen Arbeitsweisen. Wenn ich nur Letztere verwendet hätte, würde die Musik so klingen, wie gerade vieles klingt. Ich habe die Vergangenheit mit der Gegenwart und der nahen Zukunft vermischt, um etwas Neues zu schaffen. Ich denke, das hat sehr gut funktioniert.
Du möchtest die Platte als Hommage an die schwule Clubkultur verstanden wissen. Gleichzeitig ist sie sehr ruhig, meditativ, fast schon sakral geworden. Wie passt das zusammen? Wie passt das nicht zusammen? Ich wollte keine Erwartungen erfüllen und eine House- oder Technoplatte machen, sondern alles in die Zukunft denken. Ich hoffe, dass irgendwann auch in Clubs wieder vielschichtigere DJ-Musik möglich sein wird. Ich hab versucht, das mal zu erweitern und neu zu denken. Wie das mit der Gay-Community zusammengeht? Da muss man sich nur den einzigen Clubtrack „I Want You“ auf der Platte anhören. Hier wird eine Art Urtechno-Konzeption verfolgt. Gleichzeitig mit dem Track entstand schon das Konzept für seine visuelle Umsetzung mit animierten Tom-of-Finland-Zeichnungen in Kooperation mit der Tom of Finland Foundation. Danach wird der Track „Anywhere, Anytime“ als dritte Single ausgekoppelt – er beleuchtet sehr ausführlich das Thema Hanky-Codes in der schwulen Community.
Das Video zu „Anywhere, Anytime“ ist inspiriert vom Film „Cruising“ – ein schwuler Klassiker mit Al Pacino. Auch James Franco hat sich in seinem Film „Interior Leather Bar“ vor ein paar Jahren auf „Cruising“ bezogen ... Ich hab mir den Film angeschaut und war massiv enttäuscht, weil der mit „Cruising“ wirklich überhaupt nichts zu tun hat. Franco hat es nicht geschafft, die Idee des William-Friedkin-Klassikers weiterzuentwickeln. Aber Idee und Konzept waren lobenswert. Ich hatte die gleiche Idee mit dem Video zu „Anywhere, Anytime“, und ich glaube, meine Umsetzung ist deutlich näher an Al Pacinos Original „Cruising“ als die von James Franco.
Du bist hetero, James Franco ist hetero. Was fasziniert Hetenkerle an diesem Film? Mich inspiriert sehr vieles aus der Gay-Community. Ich finde auch die Zeichnungen von Tom of Finland erotisch. „Cruising“ ist einfach ein grandioser Film mit einem grandiosen Al Pacino und einem sensationellen Drehbuch. Das war quasi eine verbotene, vielleicht sogar illegale Welt dort im Meatpacking District in New York bei diesen Polizei- oder Ledernächten. Für mich absolut faszinierend und herausragend. Ich selber hatte leider keinen Zugang zu solchen Clubnächten, auch als DJ nicht. Das hat sich dann später zum Glück geändert. Ich hatte nie Berührungsängste mit der Gay-Community und mache keinen Unterschied zwischen homo- und heterosexuellen Menschen. Ich hab nie verstanden, warum ein Hetero nicht von der Welt und der Kultur der Homosexuellen fasziniert sein kann oder darf. Oder warum ich mich damit nicht künstlerisch auseinandersetzen sollte.
Du bist in Vorbereitung zu deinem Tom-of-Finland-Video „I Want You“ nach L.A. gefahren und hast Toms letzten Lover Durk Dehner (Porträt auf S. 20) in Tom's House besucht. Wie war das? Das war wirklich schwer beeindruckend. Ein wunderschönes Anwesen in L.A. mit einem riesigen Garten. Es gibt laufend Veranstaltungen, Malkurse (lacht), das Büro der Tom of Finland Foundation, von dem aus weltweit Ausstellungen koordiniert werden, ist dort. Es gibt einen neuen Webshop, in dem nun auch meine Platten verkauft werden. Im Haus gibt es einen Laden, es werden Bettwäsche, Tom-of-Finland-Kaffee oder Tom-Parfum angeboten. Überall sind Toms Zeichnungen, Pappfiguren, Lederstiefel und so weiter. Und dann wohnen und arbeiten alle auch noch dort. Wir hatten im Garten ein Essen, um den Deal für unsere Koop zu zeichnen, und ich durfte Toms ehemaliges Zimmer betreten. Durk hat mich dann auch in den Keller geführt mit all den Apparaturen, Käfigen und Penetrationsutensilien. Da gab und gibt es jede Menge legendäre Partys. Ich meinte nur: „Durk, hier könnte man auch mal wieder sauber machen!“ (lacht) Ich hab nicht verstanden, warum die da nicht richtig putzen. Das war mein erster Einfall als deutscher Heteromann.
Darkrooms und Keller dieser Art müssen leicht ranzig sein. Genau, das ist wohl der Kick, den ich mir nicht wirklich vorstellen konnte. Ich muss aber auch dazu sagen, dass wir bei Tageslicht da unten waren. Die benutzen den wohl eher bei Nacht, wenn es dunkel ist. (lacht) Insgesamt war alles ein unfassbares grandioses Erlebnis.
In Zeiten des gesellschaftlichen Rollbacks veröffentlichst du als Heterosexueller ein ziemlich schwules Albumprojekt. Das ist ja schon ein Statement. Wo genau siehst du die politische Dimension von „Zukunftsmusik“? Die Botschaft ist, dass es keine Limits gibt und dass es keine Diskriminierung von homosexuellen Menschen geben sollte. Gerade passiert gesellschaftlich wieder so viel Unfassbares. Die Diskriminierung von Homosexuellen nimmt weltweit zu. Da ist es völlig legitim, hier wieder eine klare Position zu ergreifen. Ich will das Album aber gar nicht zu genau definieren. Es bleibt den Leuten letztendlich selber überlassen, was sie daraus machen.
Ich finde es gut, dass du als „straight ally“ Verantwortung übernimmst. Ich hätte das früher schon machen können und war da vielleicht zu lange zu sehr im Hintergrund. Ich denke,
der Moment ist nun gekommen, um sich ganz klar zu positionieren und dabei deutlich zu sagen, um was es geht. Mein Leben
und mein Schaffen sind komplett von der Gay-Culture beeinflusst: vom Underground Chicago-House, dem Warehouse, der Paradise Garage, von DJ Rony Hardy und DJ Larry Levan – von schwarzen schwulen Produzenten und Musikern. Sie haben die Kunst, Kultur und Musik angeschoben und entwickelt, mit der ich mich seit
35 Jahren Tag und Nacht beschäftige:
Interview: Jan Noll
DJ Hell: Zukunftsmusik (International Deejay Gigolo Rec.), ab dem 28.04. erhältlich
djhell.de
tomoffinlandstore.com