POLITIK

Das Ende der Toleranz

24. Juli 2013
Manny de Guerre (Mitte) und Gulya Sultanova (3. v. r.) mit den Teams von Siegessäule, siegessäule.de und L-MAG c Nadja Brendel

Das neue Gesetz, das ähnlich bereits auf kommunaler Basis zum Beispiel in St. Petersburg gilt, trifft russische LGBTI-AktivistInnen wie ein Schlag. Öffentliche Treffen werden nur selten genehmigt; homophobe Aggression kaum
geahndet. Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die Spenden von außerhalb Russlands erhalten, werden seit Juli 2012 als „ausländische Agenten“ eingestuft; seitdem sind besonders regierungskritische NGOs durch Razzien oder hohe Geldstrafen schikaniert worden. Diese Restriktionen belasten auch das Side by Side LGBT International Film Festival, das 2007 in St. Petersburg gegründet wurde und seitdem ein wachsendes Publikum anzieht. Bisher sahen sich über 20.000 Menschen auf 16 Festivals in fünf Städten neben
großen Produktionen auch Werke junger russischer FilmemacherInnen an. Zur internationalen Prominenz, die das Festival unterstützt, gehören u.a. Stephen Fry und Ian McKellen. Vor dem Benefizkonzert „Freundschaftsküsse für
Russland“ besuchten uns die Organisatorinnen Manny de Guerre und Gulya Sultanova, Trägerinnen des diesjährigen Rainbow Awards, zum Gespräch im Büro des Special Media Verlags.

Wie wirken sich die neuen Gesetze auf eure Arbeit aus? Manny: Bisher wurden fünf Festivals in verschiedenen Städten durch die Behörden abgesagt. Aufgrund einer Broschüre, in der das Wort „Politik“ auftauchte, wurden wir als „politische Organisation“ eingestuft und zu einer Zahlung von 12.500 Euro verurteilt; das ist etwa ein Drittel unseres Budgets für das St. Petersburger Festival. Wir arbeiten zwar ganz normal weiter, rechnen aber täglich mit neuen Behinderungen. Gulya: Es ist ein Gesetz geplant, das die Freiwilligenarbeit in Russland überwachen soll. Wer sich ehrenamtlich einsetzt, muss sich dann registrieren. Das wird uns stark betreffen, da wir auf das Engagement von rund 200 Freiwilligen angewiesen sind. Dafür bieten wir Englischkurse oder Anleitung in Videoproduktion oder Öffentlichkeitsarbeit sowie Austauschprogramme. Dieses Jahr werden ehrenamtliche Helfer nach Hamburg fahren, am CSD teilnehmen und von ihrer Arbeit berichten.

Heißt das für euch: Jetzt erst recht? Manny:
Es ist natürlich schwer, ein so großes Festival zu organisieren, wenn man auf einmal so viele gesetzliche Risiken beachten muss. Wir arbeiten sehr hart. Aber unser Festival hilft Menschen: Das reicht, um uns zu motivieren. Da 30 Prozent unseres Publikums heterosexuell sind, tragen wir außerdem zu Toleranz und Aufklärung bei. Gulya: Es motiviert mich sehr, dass die Berichterstattung in freien
Medien respektvoller wird. Wir geben nicht auf.

Da Finanzierung durch das Ausland dazu führt, als „ausländische Agenten“ bezeichnet zu werden, sind Spenden eher ein Nachteil für euch? Gulya:
Geldspenden aus dem Ausland sind unsere Existenzgrundlage. Wir werden zwar inzwischen auch durch russische Sponsoren mit Dienstleistungen unterstützt und gewinnen sogar Einzelspender, aber es gibt keine öffentlichen Fonds.


„Auch jeder Einzelne kann viel tun, z. B. durch Boykott der Olympischen Winterspiele 2014 oder der Fußball-WM 2018“



Ist es ein Risiko für russische BürgerInnen, euch finanziell zu
unterstützen? Manny:
Vermutlich ja. Gulya: Ich bekomme jede Menge Presseanfragen aus Russland zum Konzert heute Abend. Alle wollen mehr über die Spenden wissen – natürlich versuchen sie nur zu beweisen, dass wir ausländische Interessen vertreten.

Wie können wir euch am besten unterstützen? Manny:
Informiert andere, macht Druck auf Politiker! Natürlich hilft es, wenn Stars bei Benefiz-
events mitmachen. Russland lässt sich jedoch nicht leicht beeindrucken. Warum also nicht mehr Druck ausüben? Menschen leiden, werden zusammengeschlagen, ermordet. Wie lange will das Ausland das noch tolerieren? Man sollte den ökonomischen Druck erhöhen. Warum kaufen Regierungen Gas und Öl in Russland? Auch jeder Einzelne kann viel tun, z. B. durch Boykott der Olympischen Winterspiele 2014 oder der Fußball-WM 2018. Gulya: Ich bin nicht so optimistisch, dass internationaler Druck etwas bewirkt. Er kann die Situation sogar verschlimmern. Ich setze eher auf kontinuierlichen diplomatischen Einsatz. Meine größte Hoffnung ist allerdings, dass die russische Bevölkerung endlich aufsteht. LGBT-Organisationen, ebenso wie andere NGOs, müssen positive Signale setzen.

Wie stehen eure Freunde und Familien zu eurem Engagement? Gulya:
Meine Arbeit hat auch meine Familie verändert. Ich konnte vorher nie mit jemandem über Homosexualität reden, und ich wusste nicht recht, wo ich hinwollte. Es war eine große Erleichterung für mich, endlich für LGBT-Belange aktiv zu sein. Ich wurde freier, ich habe eine große Entwicklung durchgemacht – und meine Familie mit mir. Wir konnten plötzlich selbst über Dinge sprechen, die zuvor tabu waren.
Interview: Katrin Heienbrock

SMS-Spendenaktion vom TEDDY e. V. für das „Side by Side“ Filmfestival: SMS mit dem Stichwort RUSSLAND an 81190. Eine SMS kostet 5 Euro, 4,83 Euro davon gehen nach Russland

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