Erster offen HIV-positiver Bürgermeister: „Toleranter kann ein Dorf nicht reagieren"
Am 26. Mai diesen Jahres wurde Thilo Christ mit über 54 Prozent der Stimmen zum neuen Bürgermeister von Sieversdorf-Hohenofen gewählt. 2000 entschied sich der gebürtige Berliner mit seinem heutigen Mann aufs Land zu ziehen. Seit vielen Jahren engagiert er sich für die Kampagne der Deutschen Aids-Hilfe „Ich weiss was ich tu“. Wir fragten ihn, wie die Gemeinde auf seine Wahl reagiert hat
Herr Christ, warum sind Sie nach Brandenburg gezogen? Ich habe um die Jahrtausendwende ein Wochenendgrundstück gesucht und das in Sieversdorf gefunden. 2000 habe ich beschlossen, dahin zu ziehen und dort meinen Lebensmittelpunkt zu bilden.
Sie sind nicht alleine, sondern mit ihrem heutigen Mann nach Sieversdorf gezogen. Wie haben Ihre Nachbarn auf ein schwules Paar reagiert? Alle sind ganz locker damit umgegangen und ich habe keine Schwierigkeiten empfunden. Die Sieversdorfer und Hohenofener haben sich ihr eigenes Bild gemacht und festgestellt, dass Beziehungen unter Männern sich nicht von einer heterosexuellen Beziehung unterscheiden. Es wird miteinander gestritten, gelacht, ins Bett gegangen und gekocht.
Sie haben sich nicht erst in ihrem Wahlkampf als schwul und HIV-positiv geoutet, sondern davor. Wann haben Sie sich entscheiden, bei der Kampagne der Deutschen Aids-Hilfe, „Ich weiß was ich tu“, mitzumachen? Seit zehn Jahren engagiere ich mich für die Kampagne, um ein realistisches Bild davon darzustellen, was es heißt, mit dem Virus zu leben. Von den wenigen Schattenseiten aber auch den vielen Freudenseiten zu erzählen und ein bisschen Mut zu machen, dass man auch offen positiv und offen schwul leben kann.
Wie war die Reaktion darauf in der Gemeinde? Ich fühle mich in bester Gesellschaft. Toleranter kann ein Dorf nicht reagieren. Ich habe mit Freunden und Nachbarn gesprochen und die finden das Engagement immer noch sehr gut. Umso mehr hat es mich überrascht, dass es plötzlich ein Wahlkampfthema werden sollte. Man hat versucht, mich zu diskreditieren und zu fragen, „Liebe Bürger wollt ihr sowas als Bürgermeister haben?” Das war dann meine Entscheidung zu sagen, „Ja, ich bin schwul. Ja, ich bin positiv. Das ist kein Kriterium, das Bürgeramt besser oder schlechter auszufüllen.”
Wie fühlen Sie sich jetzt, nachdem Sie die Wahl tatsächlich gewonnen haben? Ich fühle mich sehr geehrt, soviel Vertrauen geschenkt bekommen zu haben, obwohl ich zugereist bin. Das heißt jetzt auch, mich in die Pflicht nehmen zu lassen: Die Dinge, die ich angesprochen habe, wofür ich mich in der Gemeinde einsetzen möchte, will ich entsprechend umsetzen. Das ist genau der Grund, warum ich mich habe aufstellen lassen.
Wie fanden Sie die anderen Ergebnisse der Kommunalwahlen? Erschreckend! Es wurde sehr viel AFD gewählt. Wir sind eher parteilos in die Kommunalwahl gegangen. Ich stehe auch für keine Partei, sondern für das Wohl der Gemeinde. Das kann mal grün, mal rot, mal tief rot oder durchaus auch mal schwarz oder liberal sein. Es ist abhängig von den Themen, die zu bearbeiten sind. Ich hoffe, wir bleiben weiterhin ein offenes und tatsächlich tolerantes Brandenburg, wo Platz für jede Minderheit ist.
Was würden Sie Menschen sagen, die sich noch nicht trauen, sich als queer oder HIV-positiv zu outen? Ich kann nur sagen, traut euch! Schließt euch Selbsthilfegruppen an, um ein Selbstbewusstsein zu entwickeln. Das Wichtigste ist, mit sich selbst im Reinen zu sein, authentisch nach außen zu gehen und nichts bewusst zu verheimlichen. Jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen oder auch eine eigene angebliche Beeinträchtigung. Wenn man sich das zu traut und ein bisschen mutig ist, können wir gemeinsam alle eine Menge bewegen.
Interview: Joe von Hutch