Berlin

Entscheidung über öffentliches Gedenken an Rio Reiser

6. Nov. 2019
Rio Reiser © Sonymusic

Update 08.11.19 – Bei der gestrigen Veranstaltung im aquarium votierten mehr als die Hälfte der Stimmen (38) für eine Umbenennung des Heinrichplatzes in Rio-Reiser-Platz. Dieses Ergebnis und die schriftliche Befragung der Anwohner*innen bilden die Basis für die endgültige Entscheidung der Bezirksverordnetenversammlung über ein öffentliches Gedenken an Rio Reiser, die Ende November erfolgen soll.

06.11.19 – „Der Mariannenplatz war blau, so viele Bullen waren da.“ Mit dieser Zeile beginnt der berühmte „Rauch-Haus-Song“, den Rio Reiser 1972 mit seiner Band Ton Steine Scherben aufnahm. Schon bald könnte der Mariannenplatz nach dem schwulen, 1996 verstorbenen Sänger und Musiker benannt werden.

Die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg hatte schon im letzten Jahr beschlossen, Rio Reiser im öffentlichen Raum zu ehren. Offen blieb die Frage, auf welche Weise dies geschehen solle. In den Entscheidungsprozess bezog die BVV deswegen Familienmitglieder und Wegbereiter*innen Rio Reisers ebenso mit ein wie die Kiez-Bewohner*innen. Ende 2018 befragte die BVV 5000 Kreuzberger*innen, ob und wie an den verstorbenen Sänger erinnert werden solle.

Die Mehrheit befürwortete prinzipiell eine Ehrung Reisers. 25 Prozent sprachen sich für eine Umbenennung des Mariannenplatzes aus, 33 Prozent stattdessen für die Umbenennung des Heinrichplatzes. 30 Prozent der Befragten bevorzugten eine andere Form des Gedenkens: etwa, eine Gedenkinstallation zu errichten, oder die Grünanlage vor dem Kunsthaus Bethanien am Mariannenplatz oder den Uferweg an der Lohmühleninsel nach Reiser zu benennen.

Die Vorschläge sollen morgen Abend nochmals vorgestellt und debattiert werden. Die öffentliche Diskussion, zu der man auch neue Ideen einbringen kann, findet ab 19 Uhr im aquarium in der Skalitzer Straße statt. Auch Gert C. Möbius, der Bruder von Reiser, und Kai Sichtermann, Bassist und Gründungsmitglied von Ton Steine Scherben, werden vor Ort sein. Die Ergebnisse der Diskussionsveranstaltung sollen dann, zusammen mit denen der schriftlichen Befragung, die Basis für eine Entscheidung der BVV bilden.

Welche Variante sich am Ende auch durchsetzt: die Kulturstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg und Grünen-Politikerin Clara Herrmann hält es für „sportlich, aber machbar“, dass das Vorhaben innerhalb eines Jahres umgesetzt wird. Klagen von Anwohner*innen seien jedoch nicht auszuschließen und könnten den Prozess verlangsamen.

Falls tatsächlich ein Platz umgetauft werden soll, muss die BVV dies außerdem gut begründen. Seit 2005 gilt in Kreuzberg die Regel, dass bei Umbenennung von Straßen oder Plätzen nur noch Frauen in Frage kommen sollen. Um keine historische Frauenfigur aus dem Stadtbild zu verdrängen, lehnen einige daher die Umbenennung des Mariannenplatzes ab. Der nämlich trägt seinen Namen nach der Prinzessin Marianne von Preußen.

Clara Herrmann merkt aber an, dass nicht nur Frauen in der Berliner Erinnerungskultur unterrepräsentiert seien, sondern auch LGBTI*-Personen: „Es ist im Sinne der Diversität, an Rio Reiser zu erinnern. Für ihn war das Schwulsein in den 70ern selbstverständlich, während es in vielen Teilen der Gesellschaft und auch in der linken Szene noch lange nicht als gängig galt.“

Reiser und seine Band sind aus der linksalternativen Geschichte Kreuzbergs nicht wegzudenken. Vor allem im Bezirk Kreuzberg 36 waren die Politrocker Ton Steine Scherben an vielen Demonstrationen beteiligt. Der Hausbesetzer*innenbewegung schrieben sie den Soundtrack. Mitte bis Ende der 70er-Jahre arbeiteten sie außerdem mit der schwulen Theatergruppe „Brühwarm“ (u. a. mit Corny Littman) zusammen – daraus gingen die Alben „Mannstoll" und „Entartet“ hervor.

Durch die Initiative der BVV ist der Diskurs um Rio Reiser in Kreuzberg nun erneut entfacht. Egal, was dabei herauskommt: Clara Herrmann findet, dieses „lebendige Gedenken“ allein sei schon sehr wertvoll. Die Stadt erinnert sich – und erzählt Rios Geschichte neu.

Paula Balov

Ein Platz für Rio Reiser?
07.11., 19:00, aquarium

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