Sieben mobilisierten Tausende: „Enough is Enough!“, ein Zeichen für Russland und für Olympia

Ende Juni beschloss die russische Regierung unter Präsident Putin das „Gesetz gegen Homo-Propaganda“. Das Gesetz, das die Betroffenen in die Unsichtbarkeit zwingt, weil jeder Kuss auf der Straße bereits als „Homo-Propaganda“ bestraft werden könnte, verschlechtert die Situation von LSBTIs in Russland rapide. Es kommt zu Denunziation, Misshandlungen und Verfolgung (Thema hier). In Berlin zogen gestern rund fünftausend Bürgerinnen und Bürger durch die halbe Stadt bis vor die russische Botschaft, um Russlands Präsidenten Vladimir Putin zu sagen: „Enough is Enough!“ – es reicht!
1.9. – Um halb zwölf – eine halbe Stunde später sollte die Demo beginnen – waren es noch irritierend wenige BerlinerInnen, die sich am Startpunkt am Kurfürstendamm Ecke Bleibtreustraße eingefunden hatten. Es wurden rasch immer mehr, der Zustrom hörte nicht mehr auf – als sei plötzlich halb Berlin auf den Beinen. Als sich um Viertel nach eins der polizeieskortierte Marsch in Bewegung setzte, waren es bereits einige Tausend TeilnehmerInnen, die während der Demo klarmachen würden, worum es geht: Solidarisch sein und Politik betreiben. Adresse der Solidarität: Die russischen Schwulen, Lesben, Bis, Trans und Intersexuellen (LSBTI). Adresse des Demonstrationszuges: die russische Botschaft, Unter den Linden. Nach drei Stunden friedlichen Fußmarsches und circa sechseinhalb Kilometer werden die DemonstrantInnen vor der Botschaft angekommen sein – vor der Vertretung eines Landes, in dem ein Protest wie dieser strafbar ist.
„Frau Merkel, open your mouth“
„Frau Merkel, open your mouth“ - „Frau Merkel, äußern sie sich“, forderte eines der der vielen Plakate, die die DemonstrantInnen durch die Stadt trugen. Die Plakate stellten auch die Fragen dieser Demo: Warum schweigen einflussreiche PolitikerInnen zu Putins Hass-Gesetz? Warum setzen die Sponsoren und Sportverbände, die die Olympischen Winterspiele 2014 im russischen Sotchi realisieren, sich nicht gegen Diskriminierung und eklatante Verletzung der Menschenrechte ein? Bereits jetzt tut auch der deutsche Olympische Sportbund alles dafür, Putins Hass-Gesetz zu unterstützen, indem er deutschen TeilnehmerInnen der Wettkämpfe untersagt, politische Solidarität mit Schwulen und Lesben zu zeigen. Ist das der Geist von Olympia?
„Gratis zum McMenü: Verantwortung“
Bei der Demo sind viele Plakate zu sehen, auf denen die Slogans der Großsponsoren von Sotchi abgewandelt wurden: Gemünzt auf Coca Cola heißt es „Trink keine Coke mit Putin“. Oder an die Werbung der Fastfood-Kette McDonalds angelehnt: „Gratis zum McMenü: Verantwortung“.
„Bezieht endlich Position und stellt euch klar auf die Seite der Menschenrechte!“ fordert auch Mitorganisator Alfonso Pantisano von den Olympia-Sponsoren und PolitikerInnen ein.
Gemeinsam mit sechs FreundInnen hat der 39-Jährige in bloß vier Wochen die Organisation der Mammutveranstaltung gestemmt. Die Idee entstand während eines Spieleabends; einer der Auslöser war ein Video der Berliner Szenegröße Barbie Break Out, die sich vor laufender Kamera den Mund zunähte, um gegen die homophobe Gesetzgebung in Russland zu protestieren. Wie haben die sieben, die nach der Demo als „glorreiche Sieben“ gefeiert werden, das geschafft? „Wir sind seit Jahren befreundet und ein perfekt eingespieltes Team. Aber wir hatten auch unglaublich viele Unterstützer aus Community und Wirtschaft, die diese Aktion erst möglich gemacht haben. Und natürlich die Menschen, die heute hier auf der Straße stehen.“
„Sportler sollten sich outen dürfen, ohne dafür bestraft zu werden.“
Was am Ku’damm bei Passanten noch auf freundliche Neugier trifft, wird am Nollendorfplatz euphorisch begrüßt: Hier flattern nicht nur Regenbogenfahnen von Balkonen und Fenstern, auch die Berliner Verkehrsbetriebe zeigen ganz unbürokratisch die Regenbogenflagge und werden dafür bejubelt. Und immer weitere einzelne PassantInnen oder Grüppchen schließen sich dem Zug an. Am Ende des Zuges läuft zeitweilig eine Gruppe, die eine 26 Meter lange Fahne trägt, auf der die Flaggen der Welt verknüpft sind. „Ich bin hier, um ein Zeichen gegen Homophobie zu setzen“, sagte eine Helferin. „Sportler sollten sich outen dürfen, ohne dafür bestraft zu werden.“
Wir fragen einen der Organisatoren, Marco Schenk, ob er glaubt, dass das Interesse und die Bereitschaft, zu demonstrieren, bis zu den Winterspielen anhält. „Wir werden alles dafür tun. Es gibt so viel Unterstützung, dass ich glaube, das hier ist erst der Anfang einer Welle, die noch richtig loslegt.“
Lauter als Schmetterlingsflügel
„Das ist unser zweiter CSD“, mutmaßt Teilnehmerin Kira – viele sprachen bei der Demo von ihrem Eindruck, dies sei eigentlich der wahre CSD gewesen. Diesen Eindruck versuchen Alfonso, Marco und ihre Mitstreiter jedoch zu zerstreuen: „Dies ist keine Spaßveranstaltung!“ betonen sie wieder und wieder. „Wir sind hier aus einem sehr traurigen Anlass.“
Gute Laune ist aber nicht verboten – auch nicht bei einer Gruppe, die in lila Shirts mitläuft, die sie extra für diesen Anlass designt hat: die Berlin Bruisers, Deutschlands erstes schwules Rugby-Team. „Es war uns ein Herzensanliegen, heute hier zu sein und Solidarität zu zeigen“, erklärt Adam Wide, einer der Mitbegründer des Vereins. „Diese Demo verbindet alle Botschaften, die uns wichtig sind: Gegen Homophobie, gegen Schikane, für das Einreißen von Stereotypen.“ Glaubt er, dass „der Schrei nach Menschenrechten bis nach Moskau gehört wird“, wie die Organisatoren hoffen? „Auf jeden Fall. Ich bin überzeugter Anhänger der Chaostheorie: dass der Flügelschlag eines Schmetterlings rund um die Welt widerhallen kann“, sagt der gebürtige Londoner und fügt zwinkernd hinzu: „Und wir sind doch heute viel lauter als ein Schmetterlingsflügel.“
von Katrin Heienbrock