„Der Staat fühlt sich immer freier in seiner Diskriminierung“

6. März 2014
vlnr: Gudrun Fertig, Ines Pohl, Iryna Stepanska, Pia Mann © SallyB

Internationale Sportereignisse finden regelmäßig auch in Ländern statt, in denen die Rechte von LGBTI nicht beachtet werden. Soll man diese Länder deshalb boykottieren? Und wie wirkt sich die internationale Berichterstattung auf die Menschenrechte vor Ort aus? Diese Fragen wurden am gestrigen Mittwochabend mit Gästen aus Sport, Medien und Politik im Kreuzberger tazCafé vor rund 70 überwiegend weiblichen Zuhörern diskutiert.

Anlässlich der Reise des Berliner Fussballteams Discover Football zu den schwullesbischen Open Games in Moskau (siegessaeule.de berichtete), lud die taz zur Podiumsdiskussion. Pia Mann von Discover Football schilderte eindringlich, wie sehr die Open Games von den Moskauer Behörden be- und verhindert wurden. Unter fadenscheinigen Begründungen wie technischen Problemen oder Bombendrohungen wurden immer wieder Veranstaltungen abgesagt und Sportstätten geschlossen. Gleichzeitig wurde deutlich, dass Schwule und Lesben vor Ort die internationale Unterstützung sehr begrüßten.

Iryna Stepanska von der russischen Aktivistengruppe Quarteera e.V. zeigte sich zufrieden mit den Berichten über die Lage von LGBTI in Russland im Rahmen der Olympiade. Sie sagte, „die Leute haben von uns gehört, das ist wichtig“, denn die Situation in Russland verschärfe sich weiterhin. „Der Staat fühlt sich immer freier in seiner Diskriminierung“, während die Leute das glauben, „was über uns im Fernsehen läuft”. Linda Walter von der Viadrina-Universität mahnte, die Berichterstattung müsse jetzt weitergehen, sonst seien die LGBTI vor Ort „verlassen und verloren“.

Auch Gudrun Fertig, Verlegerin der Siegessäule, die wiederum das Team von Discover Football sponsert, empfand die Medienberichterstattung als „grundsätzlich positiv“. Von den SportlerInnen verlangte sie indes mehr Zivilcourage, es müssten sich auch aktive Spieler outen. Kreative Lösungen für mehr Aufmerksamkeit für LGBTI seien gefragt.

Ist ein Boykott sinnvoll?

Verständnis für die SportlerInnen, die ihre Homosexualität in Sotschi geheim gehalten hatten, äußerte taz-Chefredakteurin Ines Pohl. Man könne nicht verlangen, dass jemand jahrelang trainiere, auf dem Leistungszenit sei und dann zwecks eines Boykotts nicht zu den Olympischen Spielen fahre.

Zunächst müsse man unterscheiden, wer boykottiere, erläuterte der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele. Grundsätzlich könnten „Sportlerinnen, Politiker, Medien oder Verbände antreten”, denn „alles könne als politische Bühne genutzt werden“, sagte er. Ströbele warnte zugleich davor, Boykotte durch Politiker zu überschätzen. Wenn Putin etwa die Krim annektieren wolle, dann mache er das auch, egal ob Politiker seinen Veranstaltungen fern blieben oder nicht. Von den Sportverbänden wiederum dürfe man nichts erwarten, so Ströbele weiter. Die Wahl der Austragungsorte „ist ein ganz übles Geschäft, da profitieren die oberen Funktionäre persönlich“, sagte er.


Weitere Fragen warf das Publikum auf: Kann man privilegierte SpitzensportlerInnen nicht zu Protesten verpflichten? Schwappt die homophobe Welle nach Deutschland, ist die Bildungsplan-Debatte in Baden-Württemberg nicht schon ein erster Hinweis darauf? Gibt es überhaupt Rechtsanwälte, die angeklagte russische LGBTI verteidigen? Ströbele, der selbst Anwalt ist und früher viele aufgrund § 175 angeklagte Männer verteidigt hat, schlug vor, dass ein internationales Gericht diesen Fällen nachgehen sollte. Für dieses Gericht wollte ihn eine Diskutantin gleich verpflichten: „Wir rufen dich dann an.“

Michael Thiele 

Hier geht es zu den Berichten von den Open Games in Russland, bei denen das Berliner Team DISCOVER FOOTBALL dabei war

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