International / Berlin

Der tägliche Irrsinn der Abschiebung: „Ich möchte hier nicht weg”

19. März 2014
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UPDATE / Einige Tage nach dem Interview hat sich Dena entschlossen, nach Ruanda zurückzukehren. Sie würde es nicht ertragen, illegal hier zu sein, schrieb sie uns per SMS.

Wie ist deine aktuelle Situation?

Ich bin vor drei Jahren mit einem Studentenvisum nach Berlin gekommen, das allerdings schon abgelaufen ist. Jetzt hat mich die Ausländerbehörde aufgefordert, zurück nach Ruanda zu gehen. Ich soll ein Flugticket vorweisen, erst dann bekomme ich meinen Pass zurück, den sie eingezogen haben. Ich weiß nicht, was ich tun soll.

Wie ist dein Leben in Berlin?

Ich möchte hier nicht weg. Ich habe mir hier ein neues Leben aufgebaut. Ich habe hier eine neue Familie gefunden, lebe mit zwei Freundinnen in einer Kreuzberger WG, ich zahle Lohnsteuer und arbeite für eine Initiative, die versucht, die afrikanische Kultur zu stärken.


Ich will meine Sexualität nicht instrumentalisieren, um hierzubleiben

Siehst du eine Chance zu bleiben?

Ich bin wirklich in Panik. Wahrscheinlich muss ich Deutschland verlassen, ohne eine Chance, je wiederzukommen. Für ein Arbeitsvisum muss man einen Jahresverdienst von 35.000 Euro nachwiesen. Das verdient hier doch kaum jemand. Ich bin bisexuell — die Frau, mit der ich eine Affäre habe, will mich heiraten, damit ich bleiben kann. Aber ich will nicht lügen. Und ich will meine Sexualität nicht instrumentalisieren, um hierzubleiben.

Wie stünden die Chancen auf Asyl?

In Ruanda gibt es keine Gesetze gegen Homosexualität. Mein Anwalt sieht deshalb keine Chancen. Außerdem möchte ich meine Sexualität nicht vor den Behörden ausbreiten.

Die Situation für Schwule und Lesben ist also erträglich in Ruanda?

Ganz und gar nicht. Es ist unmöglich, offen zu leben. Als Schwuler oder Lesbe wird man nicht mal mehr als Mensch betrachtet und geringer geschätzt als ein Tier. Meiner Mutter könnte ich nie und nimmer sagen, dass ich auch mit Frauen schlafe. Ruanda ist nach dem Genozid ein demokratisches Land geworden — übrigens mit einer starken Beteiligung der Frauen. Aber die afrikanische Gesellschaft ist extrem konservativ. Und die Homophobie wird immer größer.

Uganda ist ein Nachbarland. Beeinflusst die Haltung dort auch Ruanda?

Auf Facebook kann man immer mehr entsprechende Kommentare auch aus Ruanda lesen. Ich mache mir große Sorgen. Schuld ist der Einfluss der aus den USA kommenden Erweckungsbewegung, einer evangelikalen Sekte. Sie betrachten Homosexualität als Sünde und Krankheit. Sie waren es wahrscheinlich auch, die die ugandischen Politiker beeinflusst haben.

Wann hast du gemerkt, dass du bisexuell bist?

Ich habe sehr jung geheiratet — einen Deutschen übrigens, von dem ich inzwischen geschieden bin. Damals habe ich gemerkt, dass mir etwas fehlt. Meinen ersten Orgasmus hatte ich mit einer Frau. Das ist nichts Unübliches in Ruanda.

Die afrikanischen Politiker argumentieren doch immer, Homosexualität sei nur ein westlicher Import und gänzlich unafrikanisch...

Es gibt ein sehr verbreitetes Initiationsritual für junge Mädchen: Mit 11 Jahren wurde ich mit drei Freundinnen in den Wald geschickt. Um die weibliche Ejakulation zu trainieren — sie ist in Ruanda eine große Sache — stimulierten wir uns gegenseitig die Klitoris mit einem Gemisch aus Butter und einem Pflanzenextrakt.

Warum hast du beschlossen, deinen Fall öffentlich zu machen?

Ehrlich gesagt — für mich selbst sehe ich keine Chance mehr, hier zu bleiben. Aber es ist mir wichtig, auf die ungerechte Politik der Ausländerbehörde aufmerksam zu machen. Sie gibt sich progressiv, ist aber im Kern rassistisch. Ich wünsche mir, dass junge Leute aufwachen und sich mit den Asylanten solidarisieren. Auch um die verzweifelte Situation der Leute im Protestcamp auf den Oranienplatz mache ich mir große Sorgen. Ich selbst habe in Bezug auf mein Aufenthaltsrecht viele Fehler gemacht. Ich kann jedem Ausländer nur raten, sich gleich zu Beginn einen Anwalt zu nehmen, um alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen.
Interview: Carsten Bauhaus

Info:

In 38 afrikanischen Staaten ist Homosexualität strafbar. Im Brennpunkt zurzeit: Uganda. Im Januar hatte Präsident Yoweri Museveninach trotz massiver internationaler Kritik ein Gesetz unterschrieben, dass die die ohnehin vergleichsweise strengen Gesetze des Landes zur Homosexualität weiter verschärft. In einigen Fällen droht nun eine lebenslange Haftstrafe. Die internationale Gemeinschaft reagierte empört: Während Deutschland bisher nur „prüft“, haben Norwegen, Dänemark und die Niederlande beschlossen, ihre Finanzhilfen an private Hilfsorganisationen umzuleiten. Geradezu spektakulär aber ist die Entscheidung der sonst oft kritisierten Weltbank: Sie froren einen Kredit für die ugandische Regierung in Höhe von 90 Millionen Dollar ein. Um Kontroversen unter den 188 Mitgliedsstaaten zu vermeiden, hält sich Organisation mit Sitz in Washington eigentlich traditionell aus der Innenpolitik heraus. Das scheint sich nun zu ändern.

„Generell kann man sagen, dass die Situation für Schwule und Lesben in allen afrikanischen Ländern, unabhängig von der Gesetzeslage, sehr schwierig ist,“ sagt Boris O. Dittrich, Advocacy Director des LGBT Programms bei Human Rights Watch, in der April-Ausgabe der Siegessäule.

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