BÜHNE

Holger Klotzbach: „Ich begreife mich als alten Anarcho“

6. Feb. 2016

Ergänzend zu unserem Interview mit Holger Klotzbach in der Februar-Ausgabe der SIEGESSÄULE hier noch ein paar zusätzliche Fragen und Antworten vom Gründer und Geschäftsführer von Bar jeder Vernunft und Tipi

Eigentlich wollte er Lehrer werden, aber dafür war er zu links. Also ging er zum Zirkus und von da aus nahm alles seinen Lauf: In den 80er-Jahren war er an so vielen Gründungen von Kulturbetrieben beteiligt, dass Berlin ohne ihn wohl vollkommen anders aussehen würde: Er machte aus dem Quartier Latin das Quartier und gab damit dem heutigen Wintergarten sein Gesicht. Er eröffnete das Schwarze Café und wurde Teil der anarchistischen Kabarett-Truppe Die 3 Tornados. Er baute das Tempodrom mit auf und erfand schließlich die Bar jeder Vernunft – später kam das Tipi dazu. Tipi und Bar Jedervernunft leitet er heute noch. Zu seinem 70. Geburtstag sprach SIEGESSÄULE-Chefredakteurin Christina Reinthal mit ihm über diese Berliner Erfolgsgeschichte

Holger, nachdem du wegen des Radikalenerlasses nicht als Lehrer arbeiten konntest, hast du schnell zum Zirkus gefunden. Zunächst bei Busch-Roland. Es gab es auch eine kurze Zeit im Zirkus Roncalli …
Ja, da war ich gerade in Wien und weil einige Artisten Dope rauchen wollten und ich mein Lebtag nichts mit dieser Art von Drogen zu tun hatte, aber gerne mit den Artisten zusammen sein wollte, fragte ich die nächsten langhaarigen Tierschaubesucher, ob sie mir was besorgen könnten. Und dann kamen die am nächsten Tag, brachten was und sagten „Da sind zwei Typen, die wollen dich mal kennenlernen“ und das waren André Heller und Bernhard Paul. Da stieg ich dann als dritter Mann bei Roncalli ein. Zum einen, weil ich schon ein bisschen Ahnung von Zirkus hatte und außerdem, weil wir uns einig waren, dass wir einen demokratischen Zirkus machen wollten und nicht so eine autoritäre Veranstaltung, wie Zirkusunternehmen normalerweise sind. Das hat sich dann später auch flachgepupst, der war dann später genau so autoritär strukturiert wie alle anderen auch.  Ein solches Unternehmen kann nicht anders erfolgreich sein. Ich zog also nach Wien und habe auch sechs Wochen bei Bernhard Paul gewohnt und mitgearbeitet. Aber ich bekam kein Geld, weil jeder Schilling, der damals zur Verfügung war, in den Ankauf alter Zirkuswagen gesteckt wurde. Lange konnte ich mir das nicht leisten, ich hatte nicht mal Geld für Zigaretten. Da hab ich dann gesagt, ich muss wieder zurück in meinen alten Zirkus, was ich dann auch gemacht habe. Das ging dann bis 1977.

Und dann kamst du nach Berlin und hast als Pianist bei der Gruppe Die Drei Tornados mitgemacht. Ihr habt viel im damaligen Quartier Latin gespielt, das du ja dann später auch mit übernommen hast …
Ja. Wir hatten vor jeden Montag dort aufzutreten und wären damit auch finanziell prima mit hingekommen, wir waren ja permanent ausverkauft. Aber das klappte dann nicht mehr, weil ein Kollege an Aids erkrankte und einige Jahre später auch starb. Stattdessen übernahm ich dann mit dem Management der Rockgruppe Bap, die wir auf unseren Touren kennengelernt hatten das Quartier. Das war damals betrieben von einem älteren Ehepaar, Manfred Sass und seiner Frau. Und die waren so Faktoten quasi. Wenn wir morgens Soundchecks machten, haben sie uns immer Bratkartoffeln mit Schnitzel oder Sülze gemacht. Und haben in der Halle die Wäsche aufgehängt. Eines Tages konnten sie das Haus nicht mehr tragen, konnten die Miete nicht mehr bezahlen. Dann haben wir das sehr kurzfristig übernommen und so ausgebaut, wie es eigentlich auch heute noch ist, sind aber kurz nach der Eröffnung praktisch pleite gegangen, weil wir uns finanziell übernommen und verausgabt haben. Wir selber hatten ja kein Geld, aber wir hatten Lotto-Gelder bekommen und auch einiges von einer Brauerei. Aber wie das so oft ist bei Bauten in Berlin, wurde es dann doch etwas teurer und es war nichts mehr für Marketing und Werbung übrig. Da waren wir nach drei Monaten eben pleite und sind dann raus.

Dazwischen war aber noch das Tempodrom …
Das war auch wieder ein Zufall, mein Leben besteht eigentlich nur aus Zufällen. Ein Freund erzählte: „Hör mal da ist so eine verrückte Krankenschwester, die hat 500.000 Mark geerbt, die will damit ein Zirkuszelt aufbauen.“ Das war Irene Mössinger. Ich kam ja aus dem Zirkus und dachte: Mein Gott, jeder im Zirkus, der 500.000 Mark geerbt hätte, hätte alles damit gemacht, aber keinen Zirkus auf, weil der Zirkus ja wirklich aus sehr viel sehr mühseliger Arbeit besteht. Wir haben dann also ein Zelt gekauft, Zirkuswagen, einen Traktor und Licht- und Tonanlage. Irgendwann war das Geld alle, die 500.000 reichten nicht – und wir hatten keine Sitzeinrichtung. Bernd Mehlitz vom damaligen Kultursenat sagte, dass in Ruhleben eine U-Bahn gebaut würde, wo viel Sand anfällt. Er schlug vor, dass wir diesen Sand nehmen, den Amphitheatermäßig verdichten, Baubohlen drauflegen, dann haben wir eine Sitzeinrichtung. Also holten wir den Sand und kippten den auf diesen damals sehr einödigen Potsdamer Platz direkt an der Mauer. Wir konnten aber niemanden bezahlen, der uns den Sand verdichtet und schließlich hatte ich die Idee, die Amis zu fragen. Die waren ja hier und führten gerade keinen Krieg. Ich bin also zum amerikanischen Stadtkommandanten gelaufen und habe gefragt, ob die uns helfen. Der sagte ja, wollte aber, dass die beiden anderen Westalliierten mitmachen. Dann haben die das organisiert, die Amis machten die Logistik, die Franzosen stellten die Manpower und die Engländer das Gerät und haben uns gemeinsam diese Sitzeinrichtung hergestellt.

Wie kam es zur Eröffnung der Bar jeder Vernunft?
Nachdem ich aus dem Quartier ausgestiegen war, stand ich also da und hatte keinen Job. Ich rief dann einen alten Bekannten an, der inzwischen in Frankreich einen Zirkus der neuen Art aufgemacht hat. Das war mehr so Tanz, Akrobatik, Performance. Der sagte dann zu mir, dass er gerade eine neue Produktion macht und ich einfach vorbeikommen sollte. Ich dachte, ich werd Kassierer oder so, aber er machte mich zum Geschäftsführer. Wir tourten dann sehr erfolgreich durch ganz Europa. Es lief so gut, dass das Geldzählen langweilig wurde. Er hatte noch ein altes Spiegelzelt übrig, und wir dachten, wir stellen das jetzt mal nach Berlin – auf das Parkdeck neben der damaligen Freien Volksbühne. Wir machten in einem heißen Juni 1992 auf und bauten im November wieder ab, weil wir fanden, dass es sich nicht lohnt. Dann sagte aber Meret Becker, sie würde ein Varietéprogramm vorbereiten, und wir machten im März 1993 wieder auf. Sie spielte sieben Wochen und es war komplett ausverkauft. Ein wunderbarer Neustart. Dann haben wir mit den Geschwistern Pfister das „Weiße Rössl am Wolfgangsee“ gemacht. Das war ein Cross-over-Durchbruch: Bis dahin gab es das nicht, dass die sogenannte Hochkultur, also E, und U zusammengearbeitet haben. Die Pfisters hatten ein Händchen dafür, diese Leute zusammenzubringen: Otto Sander, Gerd Wameling, Walter Schmidinger, also alles hochkarätige Bühnenschauspieler, und dazu Max Raabe, der damals auch noch nicht so, aber schon ganz schön populär war. Das war ein riesiger Erfolg und der Durchbruch nach Dahlem und Zehlendorf, aber auch überregional.

Später kam das Tipi dazu. Warum immer Zelte?
Ja, das hat auch was damit zu, dass sie ja wirklich ein Provisorium sind. Wir haben oft schon Angebote bekommen, in feste Häuser zu gehen. Aber da muss man sich dann hoch verschulden und letztlich arbeitet man in Zinsknechtschaft einer Bank. Wir – mein Geschäftspartner und früherer Lebensgefährte Lutz Deisinger, mit dem ich das alles hier aufgebaut habe, und ich – haben immer wie Hausfrauen gewirtschaftet, also nur ausgegeben, was wir auch in der Kasse hatten. Ein Flügel oder eine Tonanlage wurden nur dann angeschafft, wenn das Geld auch da war. Ich finde dieses provisorische und auch transitorische ganz prima. Sowohl aus einer atmosphärischen als auch von einer finanziellen Warte aus gesehen.

Ihr habt aber immer auch Kultur gemacht ohne irgendwelche staatlichen Unterstützungen. War das früher leichter oder ist es heute leichter?
Wir haben es ja Gott sei dank – toi toi toi – mit einigen Aufs und Abs, die es immer gibt in solchen Geschäft, immer geschafft uns zu halten und zu finanzieren. Und das ist heute genau so schwierig oder genau so leicht, wir vor 15 oder 20 Jahren. Das hat sich aus meiner Sicht nicht verändert. Gott sei dank kommt das Publikum immer noch, da haben wir irgendwas nicht ganz falsch gemacht.

Das Tipi sollte eigentlich nur für ein paar Monate bleiben, nun steht es schon seit 13 Jahren im Tiergarten ...
Das Tipi haben wir nur aufgestellt um das zehnjährige Jubiläum der Bar jeder Vernunft zu feiern. Was wir damals nicht wussten, war, dass es eigentlich für unsere Künstlerinnen und Künstler auch eine notwenige Erweiterung war. Viele von ihnen sind ja so groß geworden, dass die nicht mehr in der kleinen Bar Jeder Vernunft gespielt hätten. Denn sie wollten natürlich auch ihre Zeit nutzen und Geld verdienen. So konnten wir dann auch die, die abzuwandern drohten in größere Häuser wieder zufrieden stellen. Und der Austausch zwischen Bar und Tipi ist immer noch da. Die Bar ist ja mehr experimentell, und gut geeignet um Sachen auszuprobieren. Und wenn sie dann sehr erfolgreich sind, kommen sie auch ins Tipi. Wir haben ja eine ganze Reihe von Künstlern gehabt, bei denen das so war: Gayle Tufts, Georgette Dee usw.

Auffällig ist, dass viele der Künstlerinnen und vor allem Künstler aus der LGBT-Community kommen: Die Pfisters, Georgette Dee, Cora Frost usw. Wie kam das?
Ich war ja 19 Jahre mit meinem Freund und Geschäftspartner Lutz Deisinger zusammen. Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir schwul sind. Aber wir haben nicht Programme danach ausgesucht, da ging es uns um die Qualität und da waren die eben ganz weit vorne. Das hat auch was mit Minderheiten zu tun, und mit einer Geschichte von Unterdrückung, wo man sich eben auch im künstlerischen Bereich anders verwirklichen kann, als in anderen Berufen. Man ist ja immer geneigt, sich auf einer Insel der Glückseligen zu bewegen und zu denken, dass die Akzeptanz gesellschaftlich durchgesetzt sei, was sie ja beileibe nicht ist. Wir sind hier schon auf einer Insel, weil bei uns viele Schwule und Lesben arbeiten und auch Menschen aus verschiedenen Nationen. Das lässt einem manchmal der Illusion verfallen, es sei alles in Ordnung. Das ist es aber nicht. Uns ist es jedenfalls wichtig, die hier zu haben.

Interview: Christina Reinthal

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