Buch

Der werfe den ersten Stein

25. März 2017
Saleem Haddad © Saleem

Mit seinem Debütroman „Guapa“ zeichnet der Jungautor Saleem Haddad die Frontlinie eines brandaktuellen und viel beschworenen Konflikts nach: Okzident versus Orient. Kurzweilig und spannend legt er dabei die Rollen offen, die alle Beteiligten darin spielen

„Es ist kompliziert.“ Ein Satz, den man häufig hört, besonders gerne im Zusammenhang mit Liebesbeziehungen, wenn das Netz der emotionalen Irrungen und Wirrungen einem dicken Knoten gleicht. „Es ist kompliziert“ steht für ein Seufzen, ein tiefes Einatmen, für eine Art Ohnmacht und Sprachlosigkeit angesichts der Situation. Frag besser nicht, schwingt im Subtext mit, denn ich weiß selbst kaum, was gerade Sache ist.

Schaut man sich die Lage im Mittleren Osten und vielen Ländern der arabischen Welt an, überkommt einen schnell das gleiche Gefühl von Ohnmacht und Sprachlosigkeit. Je länger man die Nachrichten verfolgt, desto mehr beschleicht einen der Eindruck, den Überblick zu verlieren: Syrien, Irak, Libyen, die Toten, die Geflüchteten, die Waffenruhen, die Friedensgespräche, das Drehen im Kreis und die anhaltende Spirale der Gewalt. Ja, es ist verdammt kompliziert. Nur hatten wir jemals wirklich den Überblick?

Der Autor Saleem Haddad legt mit seinem Debütroman „Guapa“ den Finger genau in diese klaffende Wunde der jüngeren Geschichte. Saleem selbst wurde in Kuwait geboren, lebte viele Jahre in Jordanien und Kanada. Inzwischen wohnt er in London. Bei Rasa, der Hauptfigur seines Romans, verhält es sich jedoch uneindeutiger. Nur so viel ist klar: Nach seinem Studium an einer Universität irgendwo in den USA ist Rasa als Übersetzer in sein krisengebeuteltes Heimatland zurückgekehrt. Dort herrscht ein autoritärer Präsident, und eine von islamistischen Kräften durchdrungene Opposition, die sich aus den Protesten einer einst hoffnungsfrohen, doch inzwischen gescheiterten revolutionären Bewegung herausgeschält hat, hält gegen ihn. So weit, so bekannt. Es braucht gar keine konkreten Namen, denn sofort verbindet man Rasas Heimat mit einem der zahlreichen Konfliktherde in dieser Region, die nahezu tagtäglich unsere Nachrichten beherrschen.

Das Buch beginnt jedoch im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Morgen danach. Verkatert und verängstigt erwacht Rasa nachdem in der Nacht seine langjährige Beziehung zu Taymour aufflog, den er nach der Rückkehr aus den USA kennenlernte und der aus einer der angesehensten Familien des Landes stammt. Teta war es, seine Großmutter, mit der er unter einem Dach wohnt, die sie beide durchs Schlüsselloch beim Liebesspiel in seinem Zimmer beobachtete. Rasa weiß, für Teta ist das „Eib“, eine Schande – ein Wort, nach dem Teta ihr gesamtes soziales Leben ausrichtet. Der Tag, der dieser Nacht folgt, ist der eigentliche Handlungszeitraum, angereichert mit zahlreichen Rückblenden und Rasas Gedanken an eine unsichere Zukunft.

„Guapa“ ist ein spannender Roman, fesselnd von der ersten Seite an, der wie gemacht ist für unsere Zeit und für uns generell, die westlich geprägten Lesenden. Gekonnt spielt Saleem, der auch für Ärzte ohne Grenzen aktiv war, mit Bildern, die wir mit der Zeit in uns aufgestaut haben. Bilder, genährt durch die Berichterstattung über den sogenannten Kampf gegen den Terror, die aufkeimenden Hoffnungen im Zuge des Arabischen Frühlings und die bittere Ernüchterung, die folgte. Eine Ernüchterung, die aus der Erkenntnis resultiert, keiner der Beteiligten kann noch länger die Hände in Unschuld waschen. Alle involvierten Kräfte, westliche Allianzen inklusive, verfolgen ihre ganz eigenen egoistischen Interessen, und diejenigen, die es ausbaden, sind die Menschen, die zwischen die Steine dieses gewaltigen Politikmahlwerks geraten. Deswegen ist „Guapa“ auch ein notwendiges Buch. Vor zehn Jahren wäre es lediglich ein Coming-of-Age-Roman vor dem restriktiven Hintergrund einer islamisch geprägten Kultur gewesen. Aber die Zeiten haben sich geändert, das Spiel aus Blut und Feuer ist uns näher als wir denken. Und der Roman zeigt: Erst sollte man vor der eigenen Haustür kehren, bevor man Bollwerke und Mauern errichtet. Es ist eben kompliziert. Für alle. Keiner kann mehr sagen, schuld seien immer die anderen.

Roberto Manteufel

Buchpremiere „Guapa“, mit Saleem Haddad, 28.03., 20:00, LiterarischesColloquium Berlin

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