Religion

Der neue David Berger?

30. Apr. 2017
Krzysztof Charamsa © Umberto Nicoletti

Vor knapp zwei Jahren hatte der katholische Priester Krzysztof Charamsa sein öffentliches Coming-out. Wir sprachen mit ihm u. a. über sein Buch, David Berger und die Homophobie des Vatikans

Knapp zwei Jahre nach seinem öffentlichen Coming-out stellt der katholische Priester Krzysztof Charamsa ein Buch über diese Zeit auf Deutsch vor. Im Gespräch mit SIEGESSÄULE fordert er: „Unsere Kirche braucht eine Stonewall-Revolution!“

Herr Charamsa, ich bin überrascht. Sie sind so sanft. In Ihrem Buch „Der erste Stein“ wirken Sie härter. „Das starre System der Kirche muss zerstört werden“, schreiben Sie dort. Wie passt das zusammen?
Ich bitte um Verständnis! (lacht) Wenn du dein ganzes Leben lang keine Möglichkeit hast, über deine Identität zu sprechen, dann kommt ein Moment, wo dieser Vulkan ausbricht. Dann machst du keine diplomatischen Worte, sondern sagst die Wahrheit mit aller Kraft. Das ist ein bisschen wie Gay Pride: Ich bin auf die Straße gegangen und wollte ein bisschen provozieren. Das antworte ich auch immer, wenn mir andere Katholiken sagen: „Die Homosexuellen dürfen machen, was sie wollen – aber bitte nicht so provokant!“ Dann frage ich zurück: „Ei, warum nicht? Das ist die normale Reaktion einer Community, die in der ganzen europäischen Geschichte keine Möglichkeit hatte, ihre Identität auszudrücken. Wir leben in eine Zeit der Befreiung!“

Als Mitarbeiter der Glaubenskongregation in Rom habe Sie jahrelang geholfen, die homophobe Doktrin des Vatikans zu verbreiten. Fühlen Sie sich schuldig? Ja, ich muss um Entschuldigung bitten nicht nur für mich, sondern auch für meine Kirche. In meinem Herz war zwar kein Hass auf andere Schwule. Ich persönlich hatte nur große Angst vor mir selbst. Aber ich habe geschwiegen und nie gesagt: „Nein! Das ist unmenschlich.“ Deshalb ist mein Coming-out auch so kräftig ausgefallen: Ich habe endlich das gesagt, was ich im Vatikan lange verschwiegen habe.

Warum arbeitet sich der Vatikan so oft an Schwulen und Lesben ab? Für die Kirche war alles in Ordnung, als es noch einen festen homophoben Bund gab zwischen Recht, Wissenschaft und Religion: Alle gemeinsam gegen Gays! Aber das Recht und die Wissenschaft haben ihre Haltung zur Homosexualität verändert. Nun steht die Kirche allein da – und hat Angst. Das ist Paranoia. In den letzten 30 Jahren gab es große Fortschritte im Verständnis von sexueller Orientierung und Gender-Identität. Aber die Kirche ignoriert diese Realität. Würden wir in der Kirche die aktuelle Forschung berücksichtigen, müssten wir unsere Traditionen überdenken. Es ist so klar, dass die Bibel keine Ahnung hat von Homosexualität, wie wir sie heute verstehen. Wir hinken der Forschung 30 Jahre hinterher.

Nach David Berger sind Sie der zweite prominente Theologe des Vatikans, der sich öffentlich geoutet hat. Ist das ein Trend? Noch nicht, aber das muss kommen. Wir müssen uns outen – nicht nur Theologen, sondern auch ganz normale Priester. Alle! Ich glaube, dass heute jeder schwule Priester verpflichtet ist zum Coming-out. In jeder Diözese gibt es so viele. Unsere Kirche braucht eine Stonewall- Revolution. Aber das ist wie bei David gegen Goliath: Einzelne, schwache Personen stehen gegen eine sehr große und sehr starke Institution. Deshalb das Beispiel der Stonewall Riots: Eine Handvoll Personen ohne Rechte, muss endlich sagen: „Nein! Wir akzeptieren die Heuchelei nicht mehr! Wir existieren, wir haben Rechte.“ Auch wenn das System mit Polizeigewalt reagiert, ist dieser Moment wichtig. Denn ohne ihn leugnet die katholische Kirche, dass wir existieren. Und solange wir nicht existieren, sind wir keine Subjekte und haben keine Rechte.

David Berger kämpft mittlerweile gegen „Islamisierung“ und „Genderwahn“. Wie konnte das passieren? (zögert lange) Ich weiß nicht genug, um seine Position in diesem Bereich zu kommentieren. Lassen Sie es mich so sagen: Ich persönlich führe keinen Krieg – weder gegen die katholische Kirche noch gegen den Islam. Wir Homosexuellen verlangen nur Respekt für unsere Menschenrechte. Ich denke, dass Gender Studies heute ebenso wichtig sind wie die Entdeckung der Evolution von Darwin. Ich bin sehr dankbar für den Fortschritt der Wissenschaft, den verschiedene religiöse Kräfte – katholisch und muslimisch – nicht verstehen. Christ oder Muslim – egal! Gefährlich ist der Fundamentalismus. Aber der hat wenig mit dem Wesen von Religion zu tun. Er nutzt Religion und wird zur politischen Diktatur. Aber das ist nicht nur das Problem des Islam. Auch der christliche Fundamentalismus ist ein globales Problem: in den USA von Donald Trump, in meiner Heimat Polen. Dort ist eine katholisch-fundamentalistische Diktatur im Bau, die nicht nur den Islam und anderen Religionen hasst, sondern Menschenrechte im Allgemeinen.

Sind Sie ein gläubiger Mensch? Ja. Und ich bin auch noch Priester! Heute sogar vollständiger. Früher war ich ein Priester im Schrank. Das ist wie ein Gefängnis, auch für deinen Beruf, du bist paralysiert. Seit meinem Coming-out bin ich frei und kann anderen Menschen offen begegnen. Ich kann heute zum Beispiel ohne Angst über Sexualität sprechen und darüber, wie wichtig sie ist für unsere Identität und Spiritualität. Ich darf nicht mehr als Priester für die katholische Kirche arbeiten, aber wenn mich Leute darum bitten, spende ich die Sakramente. Ich glaube, dass schwule Priester die Pflicht haben, Sakramente zu spenden, zum Beispiel für schwule und lesbische Paare, die nicht in der Kirche heiraten dürfen.

Ist Ihre Kirche in diesem Punkt reformfähig? Ich bin mir sicher, dass sich auch die katholische Kirche weiterentwickelt. Dann kann ein Priester auch mit einem Mann verheiratet sein. Das kommt! Vielleicht nicht in meinem Leben, aber das ist nicht wichtig. Ich habe nur mein Leben und muss jetzt etwas tun, damit dieses Glück später einmal kommt, für andere Menschen. Ob das dann noch zu meinen Lebzeiten passiert, ist nicht mein Problem – das ist ein Problem von Gott. (lacht) 

Interview: Philip Eicker

Der katholische Theologe Krzysztof Charamsa, wurde 1972 in Gdynia (Polen) geboren, 1997 zum Priester geweiht und lehrte von 1998 bis 2003 an der Päpstlichen Hochschule Gregoriana in Rom. Zwölf Jahre arbeitete er für die Glaubenskongregation, die Zentralbehörde der römisch-katholischen Kirche für Glaubensfragen. Vier Jahre war er zweiter Sekretär der Internationale Theologenkommission, die Papst und Bischöfe berät. Nach seinem Coming-out 2015 wurde Charamsa von allen kirchlichen Ämtern suspendiert. Seine Biografie „Der erste Stein“ ist gerade auf Deutsch erschienen.

Krzysztof Charamsa: „Der erste Stein. Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche“, C. Bertelsmann, 320 Seiten, 19,99 Euro

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