Politik

Demos zur Situation im Nahen Osten: Wo beginnt Antisemitismus?

15. Dez. 2017
© Sercan Aydilek

Auf aktuellen Demos in Berlin wurden auch Fahnen mit Davidsternen verbrannt. Wo sich Antisemitismus in der Kritik an Israel zeigt, erklärt unser Gastautor Sercan Aydilek

Der Hass auf Juden und Jüdinnen lockt dieser Tage wieder viele AntisemitInnen aus ihrer Deckung hervor. In den Straßen Berlins schallen bei anti-israelischen Demos, zu denen u. a. auch queere* Gruppen wie Berlin against Pinkwashing aufrufen, die Parolen „Tot den Juden“, „From the river to the sea palestine will be free“ (dt. „Vom Fluss bis zum Meer Palästina wird frei sein.“), „Intifada!“ und „Kindermörder Israel“. Antisemitismus wird ganz offen artikuliert und man hat das Gefühl, dass es keine gesellschaftlich relevante Kraft gibt, die dem etwas entgegensetzt.

Antisemitismus ist in allen gesellschaftlichen Schichten vorhanden, unterliegt einem diskursiven Wandel und gerade der moderne Antisemitismus wird oftmals über den Umweg der „Israelkritik“ artikuliert.

Anstatt sich damit auseinanderzusetzen, was getan werden kann, um Juden und Jüdinnen vor Übergriffen zu schützen, fragen sich viele: „Wie kann ich Kritik an Israel anbringen, ohne als AntisemitIn zu gelten?“ - Es ist ziemlich einfach, lasst es mich erklären.

Der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident Israels, Natan Scharanski, bietet mit seinem 3-D Test eine Orientierung. Um Antisemitismus bei der Beurteilung israelischer Innen- und Außenpolitik Politik zu erkennen, muss geprüft werden, ob die Aussagen Dämonisierung, Doppelstandards oder eine Delegitimierung Israels beinhalten – Trifft eines der Kriterien zu, ist die Aussage als antisemitisch zu werten. Im Folgenden finden sich Beispiele für jedes Kriterium:

Dämonisierung: Oft hört man die Aussage „Die Juden machen das mit den Palästinensern, was Hitler mit ihnen gemacht hat.“ Das ist objektiv falsch. Außerdem stellt die Aussage eine Relativierung der Shoa durch Gleichsetzung dar.

Doppelstandards: Hier sei das allseits beliebte und von vielen verwendete Wort „Sonderbehandlung“ erwähnt. Ob durch die antisemitische Gesetzgebung im Nationalsozialismus oder des Anlegens einer anderen Messlatte bei der Bewertung der Handlungen von Juden und Jüdinnen oder Israel, findet eine „Sonderbehandlung“ statt. Werden andere Standards an Israel angewandt, so ist die Aussage antisemitisch. Während Menschenrechtsverletzungen in der islamischen Republik Iran, Nordkorea, Syrien oder Venezuela von der UN oder anderen „IsraelkritikerInnen“ ignoriert werden, sucht man sich, für die Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen, Israel heraus und arbeitet sich daran ab.

Delegitimierung:
Wenn DemonstrantInnen rufen „From the river to the sea palestine will be free“, sprechen sie Israel das Existenzrecht ab. Während viele israelische PolitikerInnen wie z.B. auch Natan Scharanski sagen, dass Kritik an der israelischen Politik nicht per se als antisemitisch einzustufen sei, ist er aber auch klar, was seine Position zur Ablehnung des Existenzrechts Israels angeht. Wer Israel die Existenz und damit Juden und Jüdinnen die Beibehaltung ihrer Heimatstätte abspricht, betätigt sich klar antisemitisch.

Mit dem 3-D-Test sollte beim Kritisieren nichts schief gehen und wenn doch, dann wäre es gut, mal das eigene Welt- oder Feindbild zu überdenken. Fernab von dem Modell, sollten sich die „IsraelkritikerInnen“ auch über die moralische Komponente Gedanken machen. Nicht alles, was nicht als Antisemitismus begriffen werden kann, ist emanzipatorisch.

Abschließend noch zwei Fragen, über die wir nachdenken sollten: Warum gibt es nicht die Begriffe Iran-, Kuba- oder Deutschlandkritik? Woher kommt das obsessive Verlangen, Israel zu kritisieren?

Sercan Aydilek


Sercan Aydilek ist Auszubildender und politischer Aktivist. Seine Themenschwerpunkte sind Strategien gegen Antisemitismus, Homophobie und Islamismus

Folge uns auf Instagram

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.