100 Prozent wortlos: Horror- und Sci-Fi-Anthologie „Silence“

Der kleine Berliner Verlag Moom Comics ist spezialisiert auf queere Geschichten. Gründer Łukasz Majcher wurde bekannt mit seiner Superhelden-Serie „Power Bear“. Letztes Jahr machte er mit der Anthologie „Damals: Eine queere Zeitreise in die Vergangenheit“ auf sich aufmerksam. Nun folgt eine Science-Fiction- und Horror-Anthologie – mit einem ganz besonderem Twist
In der neuen Anthologie „Silence“ brechen sechs Künstler*innen aus Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien die Grenzen zwischen Sprache und Bild auf. Denn: Ihre Geschichten kommen komplett ohne Worte aus. „Silence“ deckt dabei zwei verwandte Genres ab.
Im ersten Teil taucht man in eine Science-Fiction-Welt ein. Isago Fukuda entführt in eine apokalyptische Zukunft: Ein energiereiches Mineral verursacht eine globale Kettenreaktion. Zwei queere Überlebende treffen zufällig aufeinander und beginnen eine Liebesgeschichte. Danach zeigt Audrey Lefebvre eine dystopische Welt.

In einem Überwachungsstaat finden die Protagonist*innen Zuflucht in einem queeren Underground-Club, wo illegale Hormonpräparate verkauft werden – ein Akt des Widerstands. Nach einer Razzia und dem Verlust des Clubs kehren sie zurück, um dort weiter ihre Identität zu leben.
Nikolai Solowjow zeigt derweil einen einsamen Astronauten auf einer Raumstation. Eine tiefgreifende Begegnung mit einer fremden Spezies sorgt dafür, dass der Astronaut sein wahres Ich findet.
„Eine wirklich immersive Erfahrung“
Dreht man das Buch um und liest es von hinten nach vorn, geht es um Horrorstorys. Frieda Kunert erzählt die Geschichte eines Schulmädchens, das ein folgenreiches Outing erlebt. Wilbert van der Steen zeigt einen jungen Mann, der vor Herzschmerz in einen unheimlichen Wald flieht und dort surrealen Gefahren begegnet, die ihn bis auf seine rosafarbene Unterwäsche entkleiden.
Der letzte Comic von Bruno Giannori wirft die Frage auf, wie gut wir Menschen kennen, die uns nahestehen: In seiner Geschichte lebt ein lesbisches Paar in einem Mehrparteienhaus, eine ominöse Begegnung wird für sie zu einer verstörenden Gewalterfahrung. Die liebevoll gestalteten Geschichten offenbaren ihre Tiefe erst beim genaueren Hinsehen.
Im SIEGESSÄULE-Interview erzählt der Verleger, dass die Künstler*innen Spaß am Zeichnen haben sollen: „Denn das merken die Lesenden.“ Wichtig sei ihm auch, dass nicht alle Künstler*innen queer sein müssen, um bei seinen Projekten mitzumachen. Es gehe eher darum, dass alle sensibel, authentisch und talentiert mit LGBTIQ*-Themen umgehen. Er wolle anderen Zeichner*innen die Möglichkeit geben, ihre Comics verlegen zu lassen. Denn Majcher weiß, wie schwer es sein kann, einen Verlag zu finden.
„Die meisten Verlage wollen kein großes Risiko eingehen – und queere Geschichten sind für sie oft eins.“
Er selbst wollte einen Comic schaffen, der Zine-artig ist: die Geschichte des Berliners Max, der als schwuler Büroangestellter entdeckt, dass er Superkräfte hat. Nachdem kein Verlag die Powerbären-Saga annehmen wollte, veröffentlichte Majcher sie 2021 selbst. „Die meisten Verlage wollen kein großes Risiko eingehen – und queere Geschichten sind für sie oft eins“, sagt er.
Seine Bücher finanziert Majcher über Kickstarter, es sind also Community-Projekte. Für die Anthologie „Damals“, in der zwölf Künstler*innen, die innerhalb von mehr als 50 Jahren geboren wurden, sehr persönlich vom Queersein in früheren Zeiten erzählen, sammelte er über 8.000 Euro.
Ein Teil des Konzepts von Moom Comics sei es, Bücher in zwei Sprachen zu veröffentlichen, meist Englisch und Deutsch. So würden sie ein internationaleres Publikum erreichen und Fans beziehungsweise Unterstützer*innen weltweit finden. „Leute, die Comics lesen, suchen immer nach neuen Geschichten und Erfahrungen“, so Majcher. Mit „Damals“ wollte er eine Brücke zwischen den Generationen schlagen und für mehr Verständnis untereinander sorgen. Mit „Silence“ will er Sprachschranken einreißen und sich auf diese Weise einem noch breiteren Publikum öffnen: mit einer „wirklich immersiven Erfahrung“, wie er verspricht. Und mit „dunkler und unheimlicher“ Atmosphäre, die schon immer eine besondere Queer-Domäne war.
In den nächsten Jahren sind zwei weitere Anthologien geplant zu den Themenbereichen Fantasy und Geschichte. Hier werden wieder unterschiedliche Künstler*innen dabei sein, unter anderem Maurizio Onano und Jens Cornils. Man darf gespannt sein.
Łukasz Majcher (Hrsg.): „Silence“
Moom Comics,
144 Seiten, 25 Euro
moomcomics.de

Folge uns auf Instagram
#Anthologie#Comic#Horror#Moom Comics#SciFi#Science Fiction#Łukasz Majcher