Kunst

Yishay Garbasz: Kunst gegen Antisemitismus und LGBTI*-Feindlichkeit

28. Jan. 2020 Paula Balov
Yishay Garbasz

Yishay Garbasz wagt sich immer wieder an schwere Themenbereiche: In ihren Projekten beschäftigt sie sich u. a. mit dem Holocaust, transgenerationellem Trauma, den Folgen von Nationalismus oder Transphobie. Im Sammelband „Great Women Artists“ wurde sie kürzlich als eine der „400 wichtigsten weiblichen* Künstlerinnen“ vorgestellt.

SIEGESSÄULE-Autorin Paula Balov bat die israelisch-britische Wahlberlinerin zum Interview 

Yishay, eine deiner größten Arbeiten ist „In My Mother‘s Footsteps“. Du hast alle Orte aufgesucht, an denen sich deine Mutter als Holocaust-Überlebende aufgehalten hat und aufhalten musste, und hast dort Fotos gemacht – von ihrer Geburtsstadt Berlin bis hin zum ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen, wo deine Mutter schließlich durch die Briten befreit wurde. Worum ging es dir bei dem Projekt? Bis zu meinem 18. Lebensjahr wusste ich nicht einmal, dass meine Mutter in Berlin geboren worden war. Über den Holocaust hat meine Familie in Israel nicht gesprochen, aber das Thema war wie Gift, das durch alles durchsickert. Das Trauma wird an die nächste Generation weitervererbt. Ich habe mir geschworen, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Anhand der Notizen meiner Mutter habe ich all diese Orte aufgesucht und Bilder mit einer Großkamera aufgenommen. Manchmal habe ich denselben Ort mehrmals, an mehreren Tagen besucht – für nur ein Bild. Die Kamera war auch ein Hilfsmittel, da sie mehr aufnimmt, als man mit dem bloßen Auge erkennt. Ich musste lernen, mit dem ganzen Geist und Körper zu sehen. Das Projekt ging über elf Jahre. Seitdem habe ich mich als Künstlerin immer wieder mit der Vererbung von Traumata in der ganzen Welt beschäftigt. Meine eigene Geschichte war sozusagen der Anfang.

Auch in anderen Kunstprojekten spielt deine Geschichte eine Rolle. „Becoming“ beschäftigt sich mit deiner Transition. Wie bist du hier vorgegangen? Ich habe ein Jahr vor und ein Jahr nach meiner geschlechtsangleichenden Operation Fotos von meinem nackten Körper gemacht und diese in einem menschengroßen Zoetrop verarbeitet – das ist ein Gerät, das ohne Projektion bewegte Bilder erzeugt (eine sogenannte Wundertrommel, Anm. d. Redaktion). Es ist das zweitgrößte Zoetrop der Welt und wurde 2010 auf der Biennale in Busan, Südkorea, ausgestellt, wo es über eine Million Besucher*innen gesehen haben. Ich habe die stereotypen Darstellungen von trans* Körpern gebrochen, die meist aus Vorher-nachher-Bildern bestehen. Es war ein radikales Projekt, denn ich habe es in einer Zeit realisiert, als es noch keinerlei Sensibilität für das Thema trans* in der Kunstwelt gab.

Welche Herausforderungen erlebst du in der Kunstszene? Es herrscht die Erwartung vor: Bei Kunst von trans* Personen geht es ums Trans*sein, bei queerer Kunst geht es ums Queersein. So sehe ich das aber nicht. Für mich ist Kunst viel mehr. Für die queere Kunstszene sind meine Arbeiten oft nicht trans* oder queer genug – und überall sonst sind sie zu trans* und zu queer. Das ist eine unmögliche Position. Gleichzeitig kriege ich ständig Anfragen von Galerien und Künstler*innen, die unbezahlte Aufklärungsarbeit von mir wollen. Meine Werke werden oft referenziert, aber selten ausgestellt, und selten wird mir Geld für meine Arbeit geboten.

Was war dein letztes Projekt? Eine kleine Gruppenausstellung in Tokio, mit dem Titel „Oriental Discourses“. Das Projekt habe ich zusammen mit der Künstlerin Yumi Song organisiert. Es ist ein intersektionaler Blick auf Migrationsgeschichten und Orientalismus. Meine Kollegin Yumi Song hat koreanische Wurzeln und ist in Japan aufgewachsen. Anti-koreanischer Rassismus ist ein großes Problem in Japan – jede Woche gibt es anti-koreanische Demonstrationen. Koreaner*innen werden für jedes Übel verantwortlich gemacht. Als mir Yumi Song davon erzählt hat, sagte ich: „Nein, wir Juden sind doch an allem Schuld!“ (lacht) Wir haben festgestellt wie sehr sich anti-koreanische und antisemitische Ressentiments ähneln. Das war der Ausgangspunkt für unsere Zusammenarbeit. 

Wie gehst du damit um, in mehreren Kulturen und Szenen zu Hause zu sein? In Berlin sehe ich oft, dass für die Akzeptanz dieser oder jener Identität Politik gemacht wird, anstatt die Normativität wirklich infrage zu stellen. Menschen mit einem komplexeren Hintergrund wie ich finden sich darin oft nicht wieder. Deswegen mache ich keine Kompromisse – und bestehe auf meinem komplexen Narrativ.

Wenn du ein Kunstprojekt beginnst – weißt du vorher, was dabei herauskommen soll? Ich habe Vertrauen in meine handwerklichen Skills, weiß jedoch nicht, was das Ergebnis sein wird. Oft habe ich keine Ahnung, warum ich es tue – aber weiß, dass ich weitermachen muss. So war das auch bei „In My Mother's Footsteps“. Für mich ist das eine gute Arbeitsweise. Wenn ich das Endprodukt schon sehe, ist die Idee tot für mich, denn sie lässt keine unerwarteten Entdeckungen zu. Warum sollte ich etwas erschaffen, das ich vor meinem inneren Auge schon sehen kann? Das wäre langweilig.

Phaidon Editors: „Great Women Artists“, 464 Seiten, 49,95 Euro

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