Beirut meets Berlin: Wer ist Hassandra, Visionär*in des Adira Drag Festivals?
Vom 12. bis 14. November findet die zweite Ausgabe des Adira Drag Festivals statt – dem ersten Festival, das sich dezidiert der queeren arabischen Diaspora in Berlin widmet. Wir sprachen mit Initiator*in Hassandra, die*der ein eigenes künstlerisches Universum zwischen antiken Heldinnen und Nachtleben erschaffen hat
Hassandra ist unter vielen Künstlernamen bekannt: Zum Beispiel als @queenofvirginity auf Instagram, früher als Cupcake auf Berlins Bühnen und seit 2017 als Teil von Olympia Bukakis’ Soli-Partyreihe „Queens without Borders“. Wer die frühen Auftritte gesehen hat, wusste: Something wicked this way comes. Die Performances waren auffällig in ihrer Mischung aus dramaturgischer Tiefe, politischem Humor und einem Wechsel zwischen überraschender Brutalität und radikaler Zärtlichkeit.
Sieben Jahre später hat Hassandra mit der Adira Partyreihe und dem Adira Drag Festival eine Institution für die queere arabische Community erschaffen: Über 700 Besucher*innen und 30 Künstler*innen aus arabischsprachigen Regionen und europäischen Städten nahmen an der ersten Festivalausgabe teil.
Hexen gegen Klischees
„Ich empfinde mich eigentlich nicht als Draqueen“, sagt Hassandra im Interview mit SIEGESSÄULE. „Eher als Theaterkünstler*in, die Drag als Ausdrucksform benutzt.“ Hassandra wurde in den 1990er-Jahren in einem Vorort von Beirut geboren und studierte dort Schauspiel. Die ersten Rollen waren typische Schubladenfiguren, wie sie queere Menschen bis heute oft spielen sollen: Opfer, Abhängige, „gebrochene“ Charaktere. Doch die Faszination galt immer den starken Frauen der Antike: Medea, Antigone, Lady Macbeth, Kassandra.
Aus dem „Survival Mode” heraus entwickelte Hassandra – wie so viele freie Künstler*innen in der Diaspora – ein organisatorisches Talent.
2017 kam Hassandra nach Berlin und ließ sich gar nicht erst auf die Klischeerollen der deutschen Theaterbranche ein. Stattdessen machte sie*er Drag zum Werkzeug der Selbstermächtigung. Die „hexenhaften” Charaktere, die so im SchwuZ entstanden waren, beeindruckten durch ihre Kreativität und Präzision.
Als Hassandra 2019 den Wettwewerb „Mx Kotti Pageant“ – präsentiert von Pansy im SO36 – gewann, folgte der radikalste Schritt: alle Nebenjobs kündigen. „Ich habe keine Eltern, die mich finanzieren, ich finanziere meine Eltern“, erklärt der*die Künstler*in. Aus dem „Survival Mode” heraus entwickelte Hassandra – wie so viele freie Künstler*innen in der Diaspora – ein organisatorisches Talent.
Queer Arab* Futurism
Zusammen mit Zuher Jazmati aka DJ xanax_attax gründete Hassandra später die Adira Party und 2024 das erste Adira Drag Festival. „Adira“ ist levantinischer Slang (Anm. d. Redaktion: „Levantiner“ bezeichnet im weiteren Sinne die Bewohner*innen der „Levante“, also der östlichen Mittelmeerländer) und beschreibt eine besonders fähige, erfahrene Person. Seit der Performance im Mai von Bassem Feghali, der libanesischen Drag-Ikone, die seit den 90ern weibliche Popdiven parodiert und damit ganze Generationen queerer Menschen inspiriert hat, wurde die Adira Partyreihe endgültig zum Kultort der arabischen LGBTIQ*-Diaspora: An jenem Abend, erinnert sich Hassandra, erfüllte das Kollektiv Kindheitsträume.
Auch die zweite Festival-Ausgabe vom 12.-14. November setzt auf postmigrantisches Empowerment und konterkariert orientalistische Klischees mit der Vielfalt arabischer Performancekunst. Neben DJ-Sets und Shows stehen Workshops zu Make-up, Upcycling und Styling auf dem Programm. Unter dem Motto „Queer Arab* Futurism“ entwerfen die Organisator*innen eine grenzenlose Zukunft, in der Erbe neu gedacht wird und Popdiven jene feiern, die sie inspiriert haben
Gemeinsam mit dem Designer Imad Gebrael gestalten die Performer*innen eine szenische Hommage an Yehya Saade – den libanesischen Musikvideoregisseur, der mit seinen tabubrechenden Videos arabischer Popikonen berühmt wurde und 2010 bei einem Dreh unter mysteriösen Umständen starb.
Extravaganz und Intimität
Wenn Hassandra gerade nicht das Adira Drag Festival hostet, sucht sie*er nach weiteren Möglichkeiten, Drag und Theater zu verbinden. Auch wenn Hassandras künstlerische Karriere im Nachtleben begann, fehle dabei oft das Ensemble-Gefühl aus dem Theater. Deshalb ist Hassandra auch immer wieder auf Theaterbühnen zu sehen.
Mit FAGGOT*S, der Soloperformance mit dem Kollektiv Erratum, basierend auf Larry Mitchells Kultfabel „The Faggots and Their Friends Between Revolutions“ begegnen sich Drag-Kunst und Theater: Exorbitante Ästhetik trifft auf eine zärtliche, politische Erzählung über queere Communitys, die zwischen Revolutionen aufleuchten und verschwinden, sobald Systeme autoritärer werden. Die Shows im Ringtheater sind ausverkauft; neue Termine und eine Tour sind aber geplant.
ADIRA Drag Festival 2.0 – Queer Arab* Futurism
mit Hassandra, xanax_attax, Ahmad Baba, DumTak u.a.
12.11. + 13.11. ab 14:00, Workshops,
BARAZANI.Berlin, Spreeufer 6, 10178 Berlin
14.11. ab 19:00, Performances und Party,
Festsaal Kreuzberg, Am Flutgraben 2, 12435 Berlin
instagram.com/adira.party
adiraparty.com
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