Was ist Homonationalismus?
Wohlhabende und weiße Homosexuelle werden von konservativen und rechten Parteien zunehmend gegen angeblich fremde homophobe Kulturen ausgespielt. Unter dem Deckmantel der Moderne wird Rassismus so salonfähig gemacht – dieses Phänomen heißt Homonationalismus. Lara Hansen erklärt
Unter Rechten und Konservativen hat sich im vergangenen Jahrzehnt eine perfide Rhetorik ausgebreitet: abschieben und ausgrenzen „im Namen von Liebe und Vielfalt“. Wenn sich etwas derart queer und rassistisch zugleich anhört, handelt es sich höchstwahrscheinlich um das Phänomen des Homonationalismus. Geprägt wurde der Begriff von der queerfeministischen US-Theoretikerin Jasbir Puar, die damit den islamfeindlichen politischen Diskurs in den USA nach dem 11. September beschreibt.
Homonationalismus äußere sich in dem Kontext vor allem durch die Abgrenzung der „guten“ Amerikaner, zu denen selektiv auch Homosexuelle und Queers gehören, von den „bösen“, terroristischen Muslimen. Mit dem Vorwand einer fiktiven importierten „Islamisierung“, vor der Homosexuelle beschützt werden müssten, werden muslimische und arabische Menschen so systematisch an den Pranger gestellt und entmenschlicht.
„Wenn es darum geht, den 'guten weißen Schwulen' vor dem 'bösen Moslem' zu beschützen, dann sind Queers (für die AfD) wieder gut genug.“
Dahinter steckt rassistisches Entweder-oder-Denken: Wer gegen den Islam sei, sei für Homosexuelle und umgekehrt. „Dieses Muster sehen wir auch bei uns. Etwa bei der AfD, die sich immer wieder gegen die Ehe für alle ausspricht und gegen Aufklärung zu sexueller Diversität in Schulen. Aber wenn es darum geht, den 'guten weißen Schwulen' vor dem 'bösen Moslem' zu beschützen, dann sind Queers wieder gut genug. Diese instrumentelle Herangehensweise zeichnet den Homonationalismus aus“, sagt Experte Michael Hunklinger der SIEGESSÄULE.
Homophobie ist kein kulturelles Eigentum
Laut Prof* Jin Haritaworn zeigt sich Homonationalismus in eben diesen Schein-progressiven Bestrebungen, wie etwa Queers vor Migrant*innen zu schützen. „Migrantisierte Menschen werden als homophob, antisemitisch und patriarchal beschrieben – alles Eigenschaften, mit denen die weiße Mitte nichts mehr zu tun haben will“, schreibt Haritaworn der SIEGESSÄULE.
Haritaworns Buch „Queer Lovers and Hateful Others: Regenerating Violent Times and Places“ ist 2015 herausgekommen und war wegweisend für die deutsche Homonationalismus-Debatte. „Auch die SIEGESSÄULE hatte 2009 eine Ausgabe mit dem Titel ‚Wehrt Euch! Ohne Angst durch den Kiez‘,“ so Haritaworn. Solche Kampagnen zu homophober Hasskriminalität hätten dazu beigetragen, Rassismus auch in „progressiven“ Kreisen salonfähig zu machen. „Als Hasskriminalität umformuliert sieht Kriminalisierung dann plötzlich wie Fürsorge für sexuelle Vielfalt aus.“
„Als Hasskriminalität umformuliert sieht Kriminalisierung dann plötzlich wie Fürsorge für sexuelle Vielfalt aus.“
Die EU stellt sich in diesem Kulturkampf zusammen mit dem globalen Westen und Verbündeten wie etwa Israel als LGBTIQ*-Utopie dar, welche der globale Osten und Süden sich zum Vorbild nehmen sollten. Viel mehr als um Unterstützung handelt es sich dabei um ein Othering und eine Bevormundung aus einer nationalistischen Überheblichkeit heraus. Auch wenn traditionell-konservative Rollenbilder in osteuropäischen und muslimisch geprägten Ländern verbreitet und kritikwürdig sind, ist diese Homophobie kein kulturelles Eigentum.
Pinkwashing in Kriegstrümmern
Symbolisch für Homonationalismus ist das Bild des schwulen israelischen Soldaten, der mit einer Regenbogenflagge vergangenen November im von Israel bombardierten Gazastreifen posierte. „Im Namen der Liebe“, hieß es dazu. Pinkwashing hoch 10, konterte der jüdische US-Influencer Matt Bernstein in einem Instagram-Post. Ziel dieser Strategie ist es, „ziviles, modernes Leben“ in Israel in Kontrast zu einem angeblich „unzivilisierten, barbarischen Leben“ in Palästina zu setzen.
Das werde erreicht, indem Homophobie in Israel, etwa dass die gleichgeschlechtliche Ehe illegal ist und 56 Prozent dagegen sind, ignoriert wird. Gleichzeitig wird Homophobie in Palästina hervorgehoben, ohne anzuerkennen, dass es queeres Leben im Gazastreifen gibt. „Ihr könnt die Trümmer einer Stadt, die ihr gerade bombardiert habt, nicht in eine Regenbogenflagge hüllen und das als Fortschritt bezeichnen“, so Bernstein. Pinkwashing könne man vielerorts beobachten, schreibt Haritaworn dazu. Die Kritik daran sei aber von palästinensischen und antizionistischen jüdischen Queers entwickelt worden, „um das Branding Israels als queerfreundliche ‚einzige Demokratie im Nahen Osten‘ infrage zu stellen“.
Sind queere Menschen für den Mainstream erst akzeptabel, wenn sie mit Blut und Schweiß für den Nationalstaat kämpfen?
Mit dem Regenbogenband ums Maschinengewehr gewickelt soll die Militarisierung schmackhaft gemacht werden. Mit Blick auf Europa birgt der Krieg in der Ukraine gerade die Gefahr, dass LGBTIQ*-Rechte von der Kriegsrhetorik verschluckt werden. Wenn LGBTIQ*-Soldaten an der Front als Helden der Community gefeiert werden, stellt sich die Frage: Sind queere Menschen für den Mainstream erst akzeptabel, wenn sie mit Blut und Schweiß für den Nationalstaat kämpfen?
Die Realität ist, dass gleichgeschlechtliche Ehen in der Ukraine weiterhin illegal sind und ein Gesetzesentwurf dafür eine Welle von Hass ausgelöst hat. Die rechtliche Situation für queere Geflüchtete aus der Ukraine sieht noch belastender aus, insbesondere wenn sie trans* oder PoC sind und (noch) keinen ukrainischen Pass besitzen.
Als Lieblingsminderheit ausgenutzt
Die überhebliche Selbstdarstellung westlicher Länder und ihrer Verbündeten als queerfreundliche Paradiese ist für die Menschen innerhalb der Community, die weiterhin ausgegrenzt oder gerade im Namen von gesagter Vielfalt zum Feind erklärt werden, ein Schlag ins Gesicht. Dazu zählen vor allem diejenigen, deren Zugehörigkeiten mehrfach sind, die etwa queer, trans*, migrantisch oder muslimisch sind.
„Solidarität heißt, Risiken einzugehen und Unbequemes zu wagen.“
Klar ist: Rechte Politik lebt davon, diese bereits marginalisierten Menschen voneinander zu spalten. Wer in einer Legislaturperiode als Lieblingsminderheit ausgenutzt wird, wird in der nächsten schon wieder zur Zielscheibe erniedrigt. Verbundenheit und Solidarität herzustellen ist die politische Schlagkraft, welche die queere Community dagegenhalten kann. „Solidarität heißt, Risiken einzugehen und Unbequemes zu wagen“, so Haritaworn. „Der Internationalist Queer Pride am 27.06., der von Anfang an Antipinkwashing war, ist ein gutes Beispiel für einen solchen mutigen Ort der Solidarität.“
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