Queere Nazis
Im Februar diesen Jahres beging die AfD ihr zehnjähriges Jubiläum. Eine rechtsextreme und queerfeindliche Partei, an deren Spitze mit Alice Weidel dennoch eine lesbische Frau steht. Sie ist kein Einzelfall. Denn obwohl LGBTIQ* innerhalb rechtsextremer, nationalistischer und faschistischer Strömungen beliebte Feindbilder darstellen, waren und sind sie innerhalb dieser Bewegungen zum Teil bedeutende Akteur*innen. Jeff Mannes wirft zahlreiche Schlaglichter auf das Thema und erklärt, was Homos an rechtsradikalen Bewegungen fasziniert
Zehn Jahre AfD. Zehn Jahre, in denen die Partei immer weiter nach rechts gerückt ist. Heute wird sie vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft. Im ZDF-Sommerinterview vergangenen Jahres konfrontierte die Journalistin Shakuntala Banerjee die offen lesbische AfD-Parteivorsitzende Alice Weidel mit queerfeindlichen Äußerungen ihrer eigenen Partei. Ihre Antwort im Kern: „Ich kann damit umgehen, das ist mir auch verhältnismäßig egal.“ Sie wolle sich damit nicht beschäftigen.
Solche Aussagen stehen durchaus exemplarisch dafür, wie LGBTIQ* innerhalb rechter Strömungen die Gefahren für sich selbst verdrängen. Doch was treibt queere Menschen in rechtsradikale bis rechtsextreme Bewegungen? Denn Alice Weidel ist kein Einzelfall. Das zeigt schon der Blick in die Geschichte.
Hypermaskuline Kerle
2023 markiert nicht nur das zehnjährige Bestehen der AfD, sondern auch den 90. Jahrestag der Machtübertragung an die Nationalsozialisten. Schon vor dem 20. Jahrhundert gab es innerhalb rechtsextremer Strömungen homosexuelle Menschen, vor allem schwule und bisexuelle Männer. Einer davon war der in Berlin lebende Adolf Brand. Brand war zwar kein Nationalsozialist, aber sein Denken war geprägt von rechten, frauenfeindlichen und antisemitischen Überzeugungen.
Bereits 1896 gab er die weltweit erste regelmäßig erscheinende schwule Zeitschrift „Der Eigene“ heraus. Auch wenn er gelegentlich mit dem jüdischen Arzt Magnus Hirschfeld, der 1897 in Charlottenburg die weltweit erste Organisation für die Rechte queerer Menschen gründete, zusammengearbeitet hatte, trennten sich ihre Wege doch im Streit. Brand verachtete Hirschfelds Ideen über Homosexualität als „verweiblicht“. Er hingegen war überzeugt: Alle Männer sind bisexuell und Liebesbeziehungen zwischen Männern seien der edelste Ausdruck einer Männerfreundschaft. Männer, die andere Männer lieben, seien folglich die virilsten Männer überhaupt.
„Wir sind nicht gefährlich, denn wir verweiblichen gar nicht die Gesellschaft.“
Der Schriftsteller Tobias Ginsburg veröffentlichte 2021 sein Buch „Die letzten Männer des Westens: Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats“. Er erklärt gegenüber SIEGESSÄULE: „Adolf Brand war ein Maskulinist. Das hat nichts mit den heutigen Maskulinisten zu tun, überwiegend heterosexuelle Männer, die den Feminismus hassen. Damalige schwule und bisexuelle Maskulinisten wie Adolf Brand wollten zeigen: ,Wir sind gar nicht gefährlich, denn wir verweiblichen gar nicht die Gesellschaft. Wir sind nicht weibisch, sondern harte, hypermaskuline, echte Männer.‘“
Sie radikalisierten sich dabei immer mehr mit explizitem Rassismus und Antisemitismus. „Es ist die Vorstellung: ,Wenn wir nicht an der vorherrschenden Norm teilhaben dürfen, dann müssen wir ihnen eben zeigen, dass wir eigentlich doch dazugehören, dass wir eigentlich doch auch harte Männer im Patriarchat sind. Und es sind die anderen, die uns verweiblichen: Die Frauen, die Feministinnen, die Juden. Bitte nehmt uns auf!‘“
Männliche Vorherrschaft
Im Rahmen seiner Forschungen hat der Kulturanthropologe Patrick Wielowiejski Ähnliches wahrgenommen. Zurzeit promoviert er an der Humboldt-Universität in Berlin zu Rechtspopulismus und Homosexualität. „Rechte Homosexuelle versuchen darzulegen, warum sie keine Gefahr darstellen für die Gesellschaft, sondern eben auch die heteronormative Ordnung und die Bewahrung der heterosexuellen Kernfamilie unterstützen würden, die in rechten Bewegungen als Garantie für Kinder, genauer gesagt: weiße Kinder, gilt“, sagt er gegenüber SIEGESSÄULE. Es gehe dabei immer auch um das Aufrechterhalten von bestimmten Männlichkeitsvorstellungen und Geschlechterhierarchien.
„Das ist quasi protofaschistischer Mist, nur extrem schwul.“
Fast zeitgleich mit Brand verbreitete dann der antisemitische, antidemokratische und antifeministische Philosoph Hans Blüher eine politisierte Idee von Männerbünden. „Laut Blüher könne ein wahrer Staat nur dann funktionieren, wenn er mann-männlich aufgebaut ist, wenn man männliche Jugendliche aus der verweiblichenden Hand der Mutter entreißt und ihnen einen harten Führer vorsetzt, der eine erotische Ausstrahlung hat“, erklärt Ginsburg. „Das ist quasi protofaschistischer Mist, nur extrem schwul. Und das hat nicht nur die Nazis anfangs sehr geprägt, sondern prägt bis heute auch die Neue Rechte.“ Das betont auch Wielowiejski: „Hans Blüher wird noch heute in rechten Bewegungen gelesen, auch gerade unter Anti-Gender-Rechten.“
Blüher sympathisierte anfangs sehr stark mit Hitler und den Nazis. Doch nach eigenen Aussagen wandte er sich von ihnen schließlich ab, als Hitler Ende Juni 1934 seinen engen und offen schwulen Freund Ernst Röhm in der „langen Nacht der Messer“ umbringen ließ. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Hitler ihn stets gegen homofeindliche Angriffe verteidigt. Doch als er aus politisch-strategischen Gründen Röhm aus dem Weg schaffen wollte, wurde seine Homosexualität plötzlich zur Rechtfertigung Hitlers für dessen Ermordung – wie auch für die komplette Abschaffung der Sturmabteilung (SA). Denn Röhm hatte zahlreiche hohe Posten innerhalb der SA mit schwulen und bisexuellen Männern besetzt. Auch schwule Nazis wie Röhm verachteten das Weibliche und verehrten Hypermaskulinität.
„Diese Verachtung für das Nichtmännliche, die findet sich parallel auch heute.“
Ginsburg verdeutlicht: „Diese Verachtung für das Nichtmännliche, die dann von manchen schwulen Männern in der traurigen Hoffnung, vielleicht akzeptiert zu werden, angenommen wurde, die findet sich parallel auch heute.“
Ein Extrembeispiel dafür ist der 1974 geborene US-Amerikaner Jack Donovan, ein Verfechter von männlicher weißer Vorherrschaft und Faschismus. Donovan ist für seinen Hass auf Feminismus bekannt, und er ist der Überzeugung, dass die gesellschaftliche Rolle von Frauen auf das Gebären und Großziehen von Kindern beschränkt werden solle. Ein Großteil von Donovans Ideologie dreht sich um „The Brotherhood“, eine soziale und politische Struktur, die auf den stammesähnlichen Beziehungen zwischen Männern, den „Kriegern“, beruhen würde. „Donovan bezeichnet sich nicht als schwul, sondern als androphil“, betont Ginsburg. „Denn Schwule seien zu verweiblicht. Er schläft zwar mit Männern, aber er schläft männlich mit Männern. In Deutschland wurde er von Hans-Blüher-Fans eingeladen, um sein Buch vorzustellen.“
Rechte Bewegungen versuchen heute auch über antimuslimische Diskurse Schwule zu ködern. „Muslimische Männer, insbesondere auch Geflüchtete, werden pauschal als homophob verurteilt. Eine vermeintliche Islamisierung würde deswegen eine Gefahr für Schwule darstellen“, erklärt Wielowiejski.
Lesben, Trans* und die Neue Rechte
Dabei fällt eines ganz besonders auf: Die meisten Queers in rechten Bewegungen sind cis Männer. Trans* Personen gibt es nur wenige, auch wenn sich mit Caitlyn Jenner (Republikanerin und ehemalige Trump-Unterstützerin) oder Blaire White Beispiele finden lassen. Letztere ist u. a. mit YouTube-Videos gegen Feminismus und die Black-Lives-Matter-Bewegung bekannt geworden. Auch lesbische oder bisexuelle Frauen sind innerhalb rechter Bewegungen zumindest weniger sichtbar.
„Alice Weidel ist meines Wissens die einzige offen lesbische Frau in der AfD“, erzählt Wielowiejski. „Sie ist eine privilegierte Person, die die finanziellen und ökonomischen Ressourcen dazu hat, so frei zu leben, wie sie es möchte. Ihr Lesbischsein scheint keinen besonders starken Einfluss auf ihre politische Einstellung zu haben.“
Innerhalb der rechten Geschlechterpolitik sei es wie so häufig mit lesbischer Sexualität: „Sie ist unsichtbar und wird oft vernachlässigt. Und ich glaube, dass Lesben die AfD generell weniger anziehend finden als manche schwule Männer, auch wenn rechte Bewegungen für den Großteil queerer Menschen, auch für die meisten schwulen Männer, nach wie vor unattraktiv bleiben.“
„In Frankreich gibt es schon Überschneidungen zwischen rechten Bewegungen und transfeindlichen Feministinnen.“
Gender spielt heute eine bedeutende Rolle in rechten Bewegungen. Auch wenn sich Antigenderismus ebenfalls in der breiten Gesellschaft wiederfindet, trifft man in rechten Kreisen auf seine extremste Form. Denn für das ideologische Gerüst rechtsextremer Politik ist das starre binäre Geschlechtermodell essenziell.
Wielowiejski stellt deswegen die Frage, inwieweit sich aktuelle Strömungen, die sich als feministisch verstehen, aber trans* Personen ausschließen, auch nach rechts öffnen. „Das ist für mich gerade eine offene Frage. In Frankreich gibt es hier schon sehr explizite Überschneidungen zwischen rechten Bewegungen und transfeindlichen Feministinnen.“
„The dangerous faggot“
Oft wird Schwulen in rechten Bewegungen wie der AfD Selbsthass vorgeworfen. Und bei manchen wenigen mag das vielleicht stimmen. Wie bei Milo Yiannopoulos, den Ginsburg als einen der gefährlichsten Rechten der letzten zehn Jahre bezeichnet, weil er mit seinen menschenverachtenden Witzen ein großes Publikum zum Lachen bringe. Dabei trat der Unterstützer zahlreicher Rechter, von Trump bis zur evangelikal-rechten Republikanerin Marjorie Taylor Greene, in der Vergangenheit stets flamboyant und feminin auf.
„Er nannte sich ,the dangerous faggot‘ und macht viele Witze über Schwule. Und das Publikum grölte vor Lachen. Die liebten das“, erzählt Ginsburg. Zum einen bediene er damit bestimmte Klischees, zum anderen bejahe er Homofeindlichkeit. „Und drittens erlaubt er dem gemeinen Hetero sich ihm gegenüber besonders männlich zu fühlen: ,Neben diesen Schwulen bin ich ja ein echter Alpha-Kerl.‘“
Heute setzt sich Yiannopoulos für Konversionsmaßnahmen und gegen die Ehe für alle ein. Er bezeichnet sich als „ex-gay“ und sei zum heterosexuellen Christen konvertiert. Bei den meisten rechten Schwulen findet Wielowiejski die Selbsthass-These jedoch nicht überzeugend. Diese These gehe davon aus, „dass rechte Queers sich nicht reflektieren können. Diese Annahme halte ich für einen Fehler. Während meiner Forschungsarbeiten sind mir Schwule in der AfD begegnet, die stolz geoutet sind und innerhalb der AfD auch akzeptiert werden.“
Stolz, schwul und Republikaner
Auch mit Peter Thiel dürfte die AfD kaum ein Problem haben. Der deutsch-US-amerikanische Tech-Milliardär hat PayPal mitbegründet und war lange Zeit dessen Geschäftsführer. Der Investor (u. a. bei Facebook) ist auch Mitbegründer von Palantir Technologies, einem Big-Data-Unternehmen, das mit Cambridge Analytica zusammengearbeitet hat. Letzteres ist ein mittlerweile aufgelöstes Unternehmen, das nicht nur Wahlen in zahlreichen Staaten des globalen Südens manipuliert hat, sondern auch versuchte, u. a. durch strategische Desinformationskampagnen, Menschen dazu zu bringen, für Brexit und Trump zu stimmen.
Auch die AfD hatte Kontakte zu Cambridge Analytica. Thiel unterstützte 2016 den Wahlkampf von Donald Trump finanziell. Auf einer Bühne vor jubelnden Trump-Fans rief er ins Mikrofon: „Ich bin stolz, schwul zu sein. Ich bin stolz, Republikaner zu sein. Aber vor allem bin ich stolz, Amerikaner zu sein!“ Thiel ist nicht nur Unterstützer rechter Politiker*innen, sondern damit verbunden auch überzeugter rechts stehender Libertärer. Das bedeutet, er stellt wirtschaftspolitisch die persönliche Freiheit über staatlichen Einfluss. Statt eines fairen Wettbewerbs auf dem Markt will er Wirtschaftsmonopole von Superreichen stärken, insbesondere von Tech-Konzernen des Silicon Valleys. Freiheit erachtet er als unvereinbar mit Demokratie. Konzerne sollten über dem Staat und über dem Recht stehen.
„Es geht um unbegrenzte Macht.“
Tobias Ginsburg sieht bei Rechtslibertären Ähnlichkeiten mit Reichsbürgern: „Ich finde, dass beide auf überraschend ähnliche Weise gegen den Staat argumentieren und oft ihre eigenen Staaten gründen wollen.“ Ginsburg spielt damit auf sogenannte Seasteads an. Gemeint ist das von Superreichen wie Peter Thiel finanzierte Vorhaben, auf offenem Meer schwimmende Städte zu errichten, die sich der Kontrolle von Staaten entziehen. „Es geht um unbegrenzte Macht.“ Und wer so viel Macht wie Peter Thiel hat, glaubt möglicherweise auch daran, dass ihm Queerfeindlichkeit bei einem globalen Rechtsruck nichts anhaben könne.
Zehn Jahre AfD. In dieser Zeit hat die Partei viele Vorsitzende vertrieben: Lucke, Petry, Meuthen. Dabei ist sie immer weiter nach rechts gerückt. Und der Rechtsextreme Björn Höcke bringt sich bereits in Stellung. Doch aktuell scheint es, als profitiere die AfD noch von Alice Weidel, wie Ginsburg betont: „Es ist kein Zufall, dass Weidel diese Führungsposition in der AfD hat. Für eine derart queer- und frauenfeindliche, faschistische Partei ist es strategisch wertvoll, zeigen zu können, dass man eine lesbische Frau an der Spitze hat.“
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