Reportage

Rassismus und die queere Szene

10. Aug. 2018 Michaela Dudley
Bild: Richard Hancock
Isaiah Lopaz, 2016

Wer beim Schlagwort Rassismus unmittelbar an offensiv agierende Rechtsradikale denkt, hat nur die Spitze des Eisbergs im Blick. Die systematische, strukturelle Ungleichbehandlung von Schwarzen Menschen und People of Color in unserer Gesellschaft und Community beginnt viel früher. SIEGESSÄULE-Autorin Michaela Dudley über strukturellen Rassimus und seine Folgen

„Hassen mich die Leute, weil ich queer bin? Oder wegen meiner Herkunft?“, fragt Pollux Frei alias Lux echauffiert. Die 27-jährige, in Berlin lebende Brasilianerin könnte wohl kaum bunter sein. Lux hat grün fluoreszierende Haarsträhnen und tätowierte Augenlider. Wenn sie die Augen schließt, ist das Wort „Bixa“ zu lesen. Die gelernte Köchin, trans Femme und transdisziplinäre Künstlerin ist eine Latina mit arabisch-jüdischen Wurzeln. Diese Konstellation ist selbst für die Metropole an der Spree nicht ganz alltäglich – aber die Konfrontationen, die Lux buchstäblich am eigenen Leibe erlebt und überlebt, sind für die trans Frau doch zum Alltag geworden.

Kämpfen an zwei Fronten: LGBTI* of Color

Für Menschen aus der Regenbogen-Community, die zugleich People of Color sind, ist die Diskriminierung alles andere als ein abstraktes Thema, denn sie müssen bereit sein, an zwei Fronten zu kämpfen. Neben den Anfeindungen, die sie aufgrund von Homo- bzw. Trans*phobie erleben, sind sie immer wieder Rassismus ausgesetzt. Wegen ihrer tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer ethnischen, kulturellen oder religiösen Gruppe werden sie verbal sowie physisch attackiert.

Es sind dabei nicht immer gleich rechte Skinheads in Springerstiefeln, mit denen sich die Betroffenen herumschlagen müssen. Oft sind die Antagonist*innen wesentlich unauffälliger, und die Vorgänge bleiben Dunkelziffern, in den Grauzonen, oder fallen durch die Löcher des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. LGBTI of Color, die schick angezogen vor Diskotheken warten und sich dabei die Beine in den Bauch stehen, haben nicht selten das Nachsehen, während Gäste, die nach ihnen ankamen, prompt hereingewunken werden. In Kaufhäusern werden sie auf Schritt und Tritt verfolgt, bis der Sicherheitsmann, der oft selbst einer sogenannten ethnischen Minderheit angehört, sich aus nächster Nähe davon überzeugt hat, dass sie sich nichts unter den Nagel gerissen haben. Paranoia? Praxis. Ja, es hat System. Siehe #whileblack, zumindest was die Erlebnisse unschuldiger Afroamerikaner*innen in den USA betrifft. Der Hashtag, unter dem rassistische Erfahrungen von Menschen aus den BPoC-Communitys zusammengefasst werden, hat inzwischen eine globale Tragweite.

Queers of Color empfinden solche Herabwürdigungen als doppelt traumatisierend. Anstatt ein Wir-Gefühl der Zugehörigkeit zu genießen, werden sie von einem „Wirr-Gefühl“ heimgesucht – und das in einer Gesellschaft und einer LGBTI-Community, die sich ihrer Offenheit rühmen. Einige geraten deshalb in eine Identitätskrise zwischen Anpassungszwang und Aufbegehren. Sie spüren unsichtbare, aber bleischwere Ketten an den Füßen. Es ist eine bitterböse Ironie der Geschichte, dass sie sich diese Ketten mitunter sogar selbst anlegen, um nicht zu viel Aufsehen zu erregen. Sie werden zu Subs in einem „Race Play“ ohne Safe Words und ohne Safe Spaces.

Rassistischer Alltag

Lux kennt diese Problematik schon aus ihrer Heimat. Brasilien ist leider „Weltmeister“ in der Tötung homo- und transsexueller Menschen. Nun in Berlin will Lux sich nicht kleinkriegen lassen. Erst recht hier in der queeren Hauptstadt Europas möchte sie ihr Erscheinungsbild auf gar keinen Fall ändern. Gleichwohl schränkt sie sich doch ein, indem sie um gewisse Kieze einen großen Bogen macht, vor allem nachts, um sich nicht unnötig in Gefahr zu bringen.

Doch selbst am helllichten Tage entlang der Tauentzienstraße, jener edlen Einkaufsmeile, wo menschliche Aufgeschlossenheit und modische Artikulation angeblich en vogue sind, kann es zu Irritationen kommen. Neulich ebenda am Wittenbergplatz, unmittelbar nach der Kundgebung zum 17. Mai, lief eine alte Frau vorbei. Sie stieß auf zwei Lesben, die sich leidenschaftlich küssten. Butch und Femme, beide weiß. Verächtlich schüttelte sie den Kopf. Sie sagte aber nichts. Wenige Schritte später erspähte sie jedoch zwei Männer of Color beim Händchenhalten. Das war ihr dann offenbar zu bunt. Sie lästerte laut über „diese Perversion“. Als ich, eine trans Frau of Color, sie höflich darauf ansprach, erwiderte sie: „Ich habe nichts gegen Andersartige und N****. Ihr könnt ja nichts dafür. Aber muss man so provozieren? Es gibt schließlich Kinder hier.“

Sollten also angesichts solcher Situationen mehr selbst ernannte Fürsprecher*innen her? Nein, lieber nicht. Etliche erweisen sich nicht als die Lösung, sondern eher als Teil des Problems. Sie demonstrieren zwar politisch korrekt gegen das Hakenkreuz, haben aber selbst einen Haken. Denn sie treten (häufig unbewusst) selbst herablassend und unreflektiert auf, wie eine Mischung aus Kindergärtner*innen und Kolonialherren. Selbst wenn sie promovierten People of Color begegnen, die der deutschen Sprache mächtig sind, sehen manche „Retter*innen“ in ihnen nichts weiter als potenzielle Opfer oder unselbstständige Kinder, denen man unter die Arme greifen muss – raus aus der Schwimmweste und behutsam herangeführt an die okzidentale Kultur.

Auch der aus Los Angeles stammende Grafikdesigner Isaiah Lopaz prangert solche Denkstrukturen an. Lopaz, der afrikanische, kreolische und indigene Wurzeln hat, ist wortwörtlich eine Person of Color. Er gastierte nach dem Kunststudium in Kalifornien an der Städelschule in Frankfurt am Main. Heute setzt er sich in Berlin mit den Normen und der internen Logik von Rassismus künstlerisch auseinander. Egal ob mit Collagen oder Zeichnungen, Isaiah nimmt kein Blatt vor den Mund. „Die weiße Vorherrschaft wurde weder zerstört noch demontiert, sie hat sich einfach weiterentwickelt“, beanstandet er. Er spricht in diesem Zusammenhang auch von „institutionalisiertem Rassismus“, ein Begriff, den der Schwarze Bürgerrechtler Stokely Carmichael bereits 1967 in seinem Buch „Black Power“ prägte. Lopaz greift diesen Begriff auf, jedoch auch an. Denn die Bezeichnung erscheine ihm zu neutral und spiele die vorsätzliche Natur der Rassenknebelung herunter.

Opfer können nicht Täter sein – oder?

Nicht minder gnadenlos nimmt Lopaz den Rassismus, den es auch innerhalb der Queer Community gibt, ins Visier. Hier kritisiert er ebenfalls die „Dominanz weißer cis Männer“: „Ich werde oft gebucht, um über Rassismus in der Homocommunity zu referieren oder um meine Kunst auszustellen und so ein bisschen Farbe in bestimmte Räume zu bringen – aber die Menschen, die mich buchen, also die Kontrolle haben, sind immer weiß. In meiner Karriere haben sich bisher alle weißen cis Männer, mit denen ich zu tun hatte, wie Rassisten benommen. Mit Ausnahme von drei Leuten. Es gibt keine sicheren Räume für mich als Person of Color in der Welt – und in den LGBTQIA+-Communitys, in denen ich lebe, fühle ich mich sogar noch unsicherer.“ Und eben das wollen viele LGBTI nicht wahrhaben, denn in Teilen der Szene gilt es beinahe als Nestbeschmutzung, wenn man darauf hinweist, dass auch eine historisch unterdrückte gesellschaftliche Gruppe selber innerhalb ihrer Communitys andere unterdrückt. Was würden wohl die selbst identifizierten Dragqueens Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson dazu sagen? Die Latina und die Afroamerikanerin waren die treibenden Kräfte hinter dem Stonewall-Aufstand 1969.

Fakt ist in jedem Fall, dass Racial Profiling beispielsweise auch an den Türen angesagter queerer Clubs stattfindet. Es kommt zu Schubsereien und Beschimpfungen. Auch Partnerpräferenzen sind ein Thema. Ist es bedenklich, wenn beim Online-Dating ein weißer Mensch Kontakte mit Schwarzen oder People of Color explizit ausschließt oder ausschließlich sucht? Und wenn ein Schwarzer Mensch ausdrücklich blonde, blauäugige Partner*innen begehrt, ist das dann auch rassistisch? Wann hören Vorlieben auf, wann fangen Vorurteile an?

Flirt mit rechten Weltbildern

Natürlich muss man sich gar nicht erst in solche Details vertiefen, wenn es einem dieser Tage auch plakativ ins Auge springt. Etliche LGBTI liebäugeln ganz unverblümt mit rechten Parteien. Es ist keine Neuigkeit, dass auch die queere Community ein Mikrokosmos der Gesellschaft ist. Dennoch war es ein böses Erwachen, als sich die Interessengemeinschaft „Homosexuelle in der AfD“ gründete, einer Partei, die mit Alice Weidel gar eine offen lesbisch lebende Frau an ihrer Spitze hat. Die Tatsache, dass in Frankreich rund 30 Prozent der homosexuellen Wähler*innen für Marine LePen stimmten, lässt ebenfalls aufhorchen. Bei Aufmärschen des Ku-Klux-Klans in den USA schwenken einige Mitglieder die Regenbogenfahne ebenso stolz wie die sogenannte Südstaatenflagge. Weiße Gays als Token des KKK? Was treibt bekennende LGBTI in die Arme völkischer Extremisten? Ist das bloß das Thema der sogenannten inneren Sicherheit? Oder auch der Tumor der inneren Verunsicherung? Was auch immer es ist, in jedem Fall darf man diesen Entwicklungen nicht tatenlos zusehen. „Wehret den Anfängen!“, wie es so schön heißt. Hasstendenzen inner- und außerhalb der Community müssen stets scharf ins Visier genommen werden.

Der „Ghettoisierung des Hasses“ begegnen

Gleichwohl wäre es vermessen, dabei über das Ziel hinauszuschießen. Eine konsequente Kampagne gegen Rassismus ist längst überfällig. Sie darf aber keinesfalls in eine Art Sippenhaft münden oder zu einem ständigen Rechtfertigungszwang für mutmaßlich oder vermeintlich Privilegierte führen. Weiße haben ohnehin kein Monopol auf Rassismus, Sexismus, Homo- oder Trans*phobie. Man denke an den Syrer, der in Berlin-Pankow einen israelischen Kippaträger vor laufender Kamera mit einem Gürtel tätlich angriff. Es gibt außerdem genügend Beispiele für homophobe Attacken, die von sogenannten ethnischen Minderheiten begangen werden. Stichwort Puls Night Club in Florida mit 53 Toten im Jahr 2016. Und Jamaika, no problem? Ja, Schwarze Rastafari haben bekanntlich kein Problem damit, im Reggae Texte zu singen, die zur Ermordung ihrer queeren Brüder und Schwestern aufrufen. Sollte die Kunst nicht eigentlich die Menschen in Frieden zusammenbringen?

Genau das strebt die preisgekrönte, türkischstämmige Comedienne Idla Nuna Baydar erfolgreich an. Die 43-jährige Deutsche Baydar, alias Jilet Ayse und Gerda Grischke, befasst sich intensiv und unterhaltsam mit den Themen Ausgrenzung, Integration und Toleranz. „Ich sehe mich als Social Influencer“, erklärt sie engagiert. Sie spricht Tacheles und schwört auf die bewegende Kraft des Humors. Kein Wunder also, dass sie auch und gerade innerhalb der Regenbogen-Community so beliebt ist. Und ja, sie weiß, der Gang über den Hermannplatz im „Multikultikiez“ Neukölln ist für queere Menschen jeglicher Couleur oft immer noch ein Spießrutenlauf, von der U-Bahn ganz zu schweigen – und das gilt im Grunde für ganz Berlin. „Denn beim, Tuntenklopfen’ handelt es sich um die gleichen Macht- und Muskelspiele, die dem Rassismus zugrunde liegen. Männerdominanz eben mit anderen Gesichtern und Opfern, aber auf der bewährten Ebene der Entmenschlichung.“ Dazu kann sie nicht schweigen.

„Das Schweigen ist ja unerhört“, wenn ich als Autorin dieses Textes an dieser Stelle abschließend ein Lied aus meinem eigenen Kabarettprogramm zitieren dürfte. Als Dichterin setze ich auf Zuckerbrot, als Domina bevorzuge ich die Peitsche – und ich bin dabei darauf bedacht, nach allen Seiten auszuteilen. Denn für mich als trans Frau of Color gilt es, die strukturelle Ghettoisierung des Hasses zu beenden. Rassismus, Sexismus sowie Homo- und Trans*phobie sind alle eng miteinander verwoben. So wäre es ein verheerender Fehlschlag, ein Übel mittels eines anderen Übels zu bekämpfen.

Respekt vor anderen fängt mit Respekt vor sich selbst an. Nur dann können die Ängste, die uns zu KontrahentInnen machen, abgebaut werden. Und nur so können wir die unsichtbaren Ketten, die uns alle hemmen, endlich sprengen. Bis dahin allerdings wird der strahlende Regenbogen immer zum Teil von dunklen Wolken verdeckt sein.

Bild: Alexa Vachon
Foto: Alexa Vachon

Die Berlinerin Michaela Dudley, Jur. Dr. (U.S.), ist trans Frau, Autorin und Kabarettistin mit afroamerikanischen Wurzeln. Ihr Text über strukturellen Rassismus erschien auch als Titelgeschichte in der August-Printausgabe 2018 der SIEGESSÄULE.

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