SIEGESSÄULE Glossar

Was bedeuten „woke“ und „Wokeness“?

14. März 2024 Ella Strübbe
Bild: Miki Jourden CC BY-NC-ND 2.0 Deed Quelle
„Stay Woke“ als Protestspruch bei einer Demo an der Washington Union Station

Egal, ob es um geschlechtergerechte Sprache, Regenbogen-Symbolik im Fußballstadion, antirassistische Schulprojekte oder das Selbstbestimmungsgesetz geht – von konservativer bis rechtspopulistischer Seite wird all das unter „woke“ oder „Wokeness“ gefasst. Aber was bedeuten die Begriffe eigentlich und wo kommen sie her? SIEGESSÄULE-Autorin Ella Strübbe erklärt

Vor der Black-Lives-Matter-Bewegung war der Begriff außerhalb der USA kaum bekannt. Heute wird er in Politik und Popkultur als Worthülse für einen scheinbaren Kulturkampf gegen Antidiskriminierung in Beschlag genommen. Genutzt unter anderem von Rechten, Konservativen und weißen Menschen, die sich in ihrer privilegierten Position als Weiße bedroht fühlen.

Ursprung in der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung

Der Begriff ist keine Neuschöpfung einer „woken linken Szene“, sondern wurde erstmals von Schwarzen Amerikaner*innen in den 1930er Jahren genutzt. „Woke“ oder auch „stay woke“ bedeutet in der Schwarzen Community, informiert, gebildet und sich der sozialen Ungerechtigkeit und dem herrschenden Rassismus bewusst zu sein, also: wach, erweckt, aufmerksam zu sein.

„Woke“ oder auch „stay woke“ bedeutet in der Schwarzen Community, informiert, gebildet und sich der sozialen Ungerechtigkeit und dem herrschenden Rassismus bewusst zu sein.

Die Phrase wird oft auf den Protestsong „Scottsboro Boys“ von Lead Belly zurückgeführt. Der US-amerikanische Blues- und Folksänger verarbeitet in dem Song die Geschichte von neun Schwarzen Teenagern, die 1931 fälschlicherweise beschuldigt wurden, zwei weiße Frauen in Scottsboro (Alabama, USA) vergewaltigt zu haben.

In einem Interview sagte Belly einmal: „I made this little song about down there. So I advise everybody, be a little careful, best stay woke, keep their eyes open.“
Auf deutsch: „Ich habe diesen kleinen Song darüber geschrieben, also rate ich jedem, ein wenig vorsichtig zu sein – am besten woke zu bleiben, die Augen offen zu halten.“

#StayWoke und Black Lives Matter

Als 2014 der Schwarze 18-Jährige Michael Brown von dem weißen Polizisten Darren Wilson erschossen wurde, verbreitete sich die Parole „Stay woke“ und der Hashtag #StayWoke mit den lokalen Protesten gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt im Bundesstaat Missouri und der nationalen Black-Lives-Matter-Bewegung.

„Stay woke“ wurde seitdem von einigen Republikaner*innen als abwertende Phrase für die Identitäts- und Sozialpolitik einiger Demokrat*innen und progressiver Politiker*innen übernommen, das berichtet z. B. die US-amerikanische Journalistin Kiara Alfonseca von ABC News.

Der Leiter der progressiven Partei Working Families Party Maurice Mitchell wehrt sich gegen die konservative Vereinnahmung des Begriffs und konstatiert im Interview mit Alfonseca: „Weil ‚woke‘ mit Schwarzen Menschen in Verbindung gebracht wird, war es für manche ein nützlicher Knüppel, den sie den nach Gerechtigkeit strebenden Menschen (...) auf den Kopf schlagen konnten, ohne explizit rassistische Wörter zu verwenden.“

Vereinnahmung durch rechts

Diese Praxis erinnert an Begriffe wie „politisch korrekt“, „Gutmensch“ oder „Social Justice Warrior" („SJW“), die ebenfalls von Konservativen und Rechten genutzt werden, um queerfeministische oder antirassistische Politik zu delegitimieren. All diese Vokabeln haben gemein, dass sie eigentlich etwas Positives beschreiben, aber negativ konnotiert sind. Die Verwendung der Begriffe zielt oft darauf ab, Bestrebungen gegen Diskriminierung als übertrieben, pedantisch, humorlos oder verbissen zu zeichnen. Der Duden definiert „Gutmensch“ beispielsweise als eine Person, die sich „(in einer als unkritisch oder übertrieben empfundenen Weise) empathisch und tolerant verhält, sich für Political Correctness u. Ä. einsetzt.“ Die abwertende Verwendung von „woke“ und „Wokeness“ reiht sich in diese Wortsammlung ein.

Dass der Begriff aber seinen Ursprung in der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung hat, wird häufig, vor allem von weißen Menschen, komplett ausgeblendet. Der Tech-Milliardär Elon Musk, der sich auch schon lautstark gegen „Cancel Culture“ aussprach, behauptete im Dezember vergangenen Jahres, das „Woke Mind Virus“ sei eine Gefahr für die moderne Gesellschaft, denn es schaffe eine spaltende Identitätspolitik, die Rassismus und überhaupt alle -ismen verstärken würde.

Rechte US-Medien rauben dem Wort seine Geschichte und missbrauche es, um jegliche progressive Politik zu diskreditieren.

Ausgerechnet ein Begriff, der Bewusstsein für Rassismus beschreibt, soll also Rassismus verstärken? Elon Musks Aussage ist ein Widerspruch in sich. Musk bedient sich der Wut Schwarzer Menschen auf die politischen Zustände und betreibt Täter-Opfer-Umkehr: Damit werden Schwarze Menschen für Rassismus verantwortlich gemacht. Rechte US-Medien wie der Fernsehsender „Fox News“ übernehmen den Begriff und führen eine Kampagne gegen „Wokeness“. Sie rauben dem Wort seine Geschichte und missbrauchen es, um jegliche progressive Politik zu diskreditieren.

Vages Feindbild für den Kulturkampf

Was ist falsch daran, sich der sozialen Ungerechtigkeit und dem herrschenden Rassismus bewusst zu sein? Nichts. In der Politik wird „Wokeness“ von Liberalen und Konservativen bis hin zu Rechten wie ein neues Phänomen behandelt, obwohl das, was damit tatsächlich gemeint ist, meist unscharf bleibt und sich kaum vom älteren Begriff der „Politischen Korrektheit“ unterscheidet.

Inzwischen ist die abwertende Verwendung des Begriffs nach Deutschland übergeschwappt: Der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler (FDP) fordert „weniger Wokeness und mehr Fitness für den Staat“, Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist von der „Wokeness“ der Grünen genervt und Beatrix von Storch (AfD) empört sich über die „woke Deutsche Bahn“ wegen eines ICE mit Regenbogenstreifen. Ohne all diese Menschen in einen Topf werfen zu wollen – sie alle kreieren ein vages Feindbild. Sie führen einen Kulturkampf mit einem verfremdeten Begriff aus der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Schluss damit!

Hinweis: Das großgeschriebene „S“ in der Selbstbezeichnung „Schwarze Menschen“ ist bewusst gewählt, um eine Positionierung in der mehrheitlich weiß dominierten Gesellschaftsordnung zu markieren. Weiß wird in diesem Text klein und kursiv geschrieben. Damit soll eine gesellschaftspolitische Norm und Machtposition markiert werden.

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