Tuntenhaus Forellenhof

Berliner Tunten-Geschichte im Schwulen Museum

1. Juli 2022 Sascha Suden
Bild: Ines de Nil, um 1994.
La Liberté guidant le peuple – Tableaux mit Renata Wanda de la Gosse.

Am 14. November 1990 ließ der Berliner Senat von 3.000 Polizeibeamt*innen die Mainzer Straße räumen. Dort hatten kurz nach der Wende circa 400 Personen zwölf Häuser besetzt. Eines davon war das legendäre Tuntenhaus. Kurator Bastian Krondorfer, der im Tuntenhaus Forellenhof lebte, zeigt dessen spannende Geschichte nun in einer Ausstellung im Schwulen Museum

„Nein, ich hatte keinen Hass auf Walter Momper“, so entspannt äußert sich Bastian auch 32 Jahre nach dem Ende des Tuntenhauses Forellenhof in der Mainzer Straße 4 über den damaligen Regierenden Bürgermeister, der die Räumung veranlasste. Dabei wäre eine Abneigung gegen den ehemaligen Regierenden nicht verwunderlich. Schließlich war Momper verantwortlich für eine der größten Polizeiaktionen, die es in Berlin je gab. „Dies ist ein Teil der queeren Geschichte, und ich will nicht, dass sie auf dem Abfallhaufen der Geschichte landet, um damit Helga Krenz aus dem Tuntenhaus, zwei Jahre nach der Räumung, prononciert zu zitieren.“

In zehn Kapiteln lebt das Tuntenhaus Forellenhof, dessen Name an die anliegende Nachtbar Forelleblau angelehnt war, deshalb nun wieder auf. „Es war nicht so, dass wir von morgens bis abends im Fummel herumgelaufen sind. Es ging nicht um das Outfit, sondern um die Haltung“, so Krondorfer. Dass sie aber auch politisch waren, zeigte damals die wöchentliche Aktion am Samstag: „Die Tunten sind im Fummel die Straße runtergelaufen. Das war eine politische Aktion. Vielen Hausbesetzermackern ist natürlich die Klappe runtergefallen“, freut er sich noch heute.

Bild: Michael Oesterreich
Pepsi Boston auf der Bühne im Hinterhof des Tuntenhaus Forellenhof, Juni 1990

Herzstück der Ausstellung ist das nachgebaute Esszimmer des Tuntenhauses. Dort fanden die zahlreichen Diskussionen statt, die eindrucksvoll im Film „ The Battle of Tuntenhaus“ von Juliet Ba-shore dokumentiert wurden. Westberliner Tunten beherrschten das Haus, doch es gab auch vier aus Ostberlin. Der Unterschied lag jedoch nicht in der Art des Tunteseins, sondern in der unterschiedlichen Sozialisation. „Die Ostberliner Tunten haben es uns Kreuzbergerinnen nicht immer leicht gemacht, denn sie haben es uns nicht so einfach durchgehen lassen, dass wir immer meinten, alles besser zu wissen, z. B. wie der Kapitalismus funktioniert.“

Politik, Sex, Party und Neonazis

Neben der Politik kamen auch Sex und Party nicht zu kurz. „Was mich immer noch wundert, ist, wie diszipliniert wir im Bewohnbarmachen des Hauses, im Pendeln von Besetzerplenum zum Straßenplenum zum Hausplenum usw. waren und trotzdem ein reges, hedonistisches Leben hatten. Ich möchte echt nicht wissen, wer von uns da ständig Sex untereinander oder mit Gästen hatte. Über die Hälfte von uns hatte zwar einen festen Freund im Haus, aber Monogamie war bei uns 1990 kein Thema. HIV/Aids hin und her.“

Neben allem Spaß gab es auch eine permanente Bedrohung durch Neonazis, die in Lichtenberg ein Haus bewohnten. „Da haben sich die militanten Nazis aus Westdeutschland, Österreich, den USA und Kanada die Klinke in die Hand gegeben und versucht die Ostkids zu rekrutieren. Die Aktionen der Nazis wurden im Laufe des Jahres immer brutaler.“ Häufig griffen sie auch die Mainzer Straße an. Krondorfer gelang es, den Neonazi-Aussteiger Ingo Hasselbach zum Video-Interview über die Zeit zu bewegen. „Er hat Sachen erzählt, die waren unglaublich, die haben mich fast umgehauen, auch nach 32 Jahren noch.“

Viel geblieben ist nicht vom Geist der Berliner Tunte, weshalb die Ausstellung im Schwulen Museum zum Pflichtprogramm für jede heutige Dragqueen gehören sollte: „Wir haben das Tuntensein nicht als ,Ich schmink mich schön und singe schlecht zu Playback‘ verstanden, sondern als eine Kampfansage gegen die Heteronormativität.“ Gerade in Zeiten perfekter und vollkommen entpolitisierter Dragshows nach dem Vorbild von RuPauls „Drag Race“ und anderen Formaten ist diese Ausstellung über den Forellenhof also eine willkommene Geschichtsstunde.

Tuntenhaus Forellenhof 1990: Der kurze Sommer des schwulen Kommunismus,
01.07.–31.10., Mo, Mi, Fr 12–18, Do 12–20, Sa 14–19, So 14–18, Schwules Museum, Lützowstr. 73, Tiergarten

Bild: UMBRUCH Bildarchiv
Räumung des Tuntenhauses, Hinterhof 14. November 1990

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