Musik

Chemsex und Sucht: Erik Leuthäuser im Interview

7. Dez. 2020 Jan Noll
Bild: Barbara Braun
Erik Leuthäuser

Jazzmusiker Erik Leuthäuser hat ein neues, beinahe radikales Musikprogramm. Das Thema: Chemsex und seine Abhängigkeit von Crystal Meth. Wir sprachen mit ihm über seinen offenen Umgang mit der Sucht, den Prozess des Cleanwerdens und die Belastungen während der Corona-Krise

Erik, gerade sind mal wieder alle Kulturstätten wegen Corona geschlossen. Was bedeutet es, während der Pandemie ein Livekünstler zu sein? Primär, dass man nicht auftreten kann und schauen muss, wie man finanziell über die Runden kommt. Ich unterrichte deshalb gerade an der Musikschule. Zum Glück lebe ich in Berlin. Ich habe das Gefühl, hier gab es mehr Förderungen für Künstler*innen als in anderen Regionen Deutschlands. Neben den Finanzen muss man aber auch schauen, wie man das mental übersteht. Wie schafft man es, Sachen, die einem wichtig sind, auf eine andere Art stattfinden zu lassen? Sei es künstlerisch durch Online-Veranstaltungen oder privat. Sich mit Freunden zu treffen ist ja allein schon eine Herausforderung. Was ich derzeit noch planen kann, sind Studioaufnahmen. Ich bin gerade dabei, ein Album zu mischen. Das gibt mir zumindest ein bisschen Selbstwertgefühl.

Bis zum zweiten Lockdown konntest du ein paar Konzerte geben. Unter anderem am 5. Oktober in der Bar jeder Vernunft. Dort hast du in der zweiten Hälfte des Abends überraschend ein neues Programm über Chemsex und deine Abhängigkeit von Crystal Meth gespielt. War dieser Abend eine Premiere? Ich habe das Programm einmal zuvor mit meinem Pianisten in Weimar gespielt. Das war quasi eine kleine Generalprobe. Der Abend in der Bar jeder Vernunft war aber die offizielle Premiere mit Band. Das Thema Chemsex wurde bei mir präsenter in der Corona-Zeit ...

Wie kam es zu der Entscheidung, nicht nur in sozialen Medien deine Sucht öffentlich zu machen, sondern auch ein Musikprogramm über dieses Thema zu schreiben? Ich habe nicht das Gefühl, dass das ein Thema ist, das nur mich betrifft. Es ist so relevant für queere Menschen generell, dass es einen Rahmen verdient hat, um darüber zu sprechen. Und ich finde, dass ich als Künstler bei meinen Konzerten die Leute anregen kann, über Themen wie dieses nachzudenken.

„Es geht nur noch um Sex. Der Comedown führt zu Depressionen und Panikattacken.“

In welchem Zeitraum sind die Songs, die sich inhaltlich mit Chemsex und Drogen befassen, entstanden? Von März bis September dieses Jahres.

Also alle während der Corona-Pandemie. Genau. Durch Corona, durch abgesagte Konzerte und Tourneen wurde das Thema Chemsex in meinem Leben relevanter, weil es sonst kaum noch positive Stimulation für mich gab. Ich war nicht mehr unterwegs, und das führte dazu, dass ich mich mehr mit mir selbst beschäftigte. Um mich abzulenken, habe ich dann mehr konsumiert. Davor hab ich das natürlich auch schon gemacht, allerdings in einem anderen Ausmaß, weil ich einfach mit Musik und Konzerten beschäftigt war.

Was hat Methamphetamin für dich am Anfang so anziehend gemacht? Sehr gute Frage. Total anziehend ist das Glücksgefühl, das man ausschüttet. Das gesteigerte Selbstbewusstsein und derzeit die Ablenkung von der Pandemie, von der schlechten finanziellen Situation. Natürlich ist es auch eine Form von Genuss. Aber irgendwann kommt die Frage auf: Wo ist mein Lebensfokus, wie viel Zeit investiere ich in meinen Konsum? Und dann stellt man fest, dass es vielleicht nicht mehr nur kontrollierter Genuss ist.

Wann war für dich der Moment, an dem du das Gefühl hattest: Es macht mich nicht mehr frei, es macht mich unfrei. Ich bin an den Punkt gekommen, an dem es nicht mehr gut ist. Das war, als ich soziale Kontakte nicht mehr aufrechterhalten, Verabredungen nicht einhalten konnte. Selbst mit meinem Freund nicht und wir wohnen zusammen in einer kleinen Wohnung. Als ich jeden Tag konsumiert habe und nichts anderes mehr im Leben möglich war außer Konsum.

Was macht oder machte Meth aus dir? Sozial, physisch, emotional? Es geht nur noch um Sex. Der Comedown führt zu Depressionen und Panikattacken. Man wird aggressiv, sehr egoistisch und vergisst die Sachen, die einem eigentlich wichtig sind. Und man lügt viel. Für mich persönlich hat das keinerlei Vorteile. Das ist das Paradoxe: Ohne Konsum von Methamphetamin ist eigentlich alles besser, sogar der Sex. Für mich zumindest.

Im Song „Schiff ohne Kapitän“ gibt es die Textzeile „Es tut mir leid, dass ich noch nicht clean bin“. Wer ist denn der Adressat dieser Zeile? Es gab Momente, wo ich das zu mir selbst gesagt habe, wo einfach die Scham total überwog. Wenn ich zum Beispiel einen Rückfall hatte. Aber natürlich geht die Aussage auch an Freunde und Familie. Ich war sehr offen über meine Abhängigkeit, eben auch meinen Eltern und meinem Freund gegenüber.

„Es gibt keine Universallösung, wie man mit Substanzen aufhört."

Bist du denn jetzt clean? Ja. Aber was heißt das überhaupt? Was ist die Definition von ,clean‘? Ich hatte einen Rückfall vor circa zwei Wochen. Mein Ziel ist, komplett auf Methamphetamin zu verzichten. Der Weg dahin hat dazu geführt, dass ich erst mal so viel wie möglich Berlin verlassen habe. Ich war z. B. in Portugal mit meinen Eltern. Da hatte ich keinen Suchtdruck. Dann kam ich wieder nach Berlin zurück und das Bedürfnis zu konsumieren war wieder total stark. Ich habe es dann mit Ersatzkonsum probiert, hab einfach andere Chems genommen. Das hat eine Zeit lang funktioniert, mich am Ende aber nur getriggert und schlussendlich zu Methamphetamin zurückgeführt. Die letzten Jahre bestand mein Leben ausschließlich aus Musik und Sex. Ich musste andere Ablenkungen etablieren. Ich hab dann angefangen, im Verein Tischtennis zu spielen, was ich früher viel gemacht habe.

Was würdest du Menschen raten, die ein Suchtproblem entwickelt haben? Ich hatte am Anfang große Erwartungen an meine Suchtgruppe, an meinen Therapeuten. Aber man kann leider nicht erwarten, dass einem Institutionen allein da raushelfen. Man muss das selber machen, Dinge klären und verändern.

Klar, die Lösung deines Suchtproblems kannst du nicht outsourcen. Genau. Es gibt auch keine Universallösung, wie man mit Substanzen aufhört. Was einem dabei hilft, muss jede*r für sich herausfinden. Wichtig ist, so reflektiert und ehrlich zu sich selbst zu sein wie möglich. Man muss außerdem Strategien für Momente des Suchtdrucks entwickeln. In diesen Situationen sollte man genau hinschauen: Warum habe ich gerade das Bedürfnis nach Konsum? Wodurch wird dieses Bedürfnis ausgelöst? War das vielleicht ein Typ, den ich auf der Straße gesehen habe, mit dem ich konsumiert hab? Liegt es vielleicht daran, dass ich gerade meinen Job verloren hab? Oder liegt es daran, dass ich gerade eine Diskriminierungserfahrung machen musste, die irgendwas in mir triggert? Die mit meinem Selbstwert zu tun hat? Man muss die Frage stellen, warum man überhaupt konsumiert. Wenn man darauf eine Antwort findet, dann ist schon viel gewonnen.

Du machst auch ein Album mit diesen Songs. Wie ist da der Zeitplan? Das wird sich noch hinziehen. Ich werde die Platte mit einem größeren Ensemble um die Pianistin Julia Kadel aufnehmen. Ich habe das Gefühl, die Musik ist stark und relevant. Und deswegen will ich das gerne so gut wie möglich hinbekommen.

Interview: Jan Noll

Erik Leuthäuser & Gäste: Wünschen, 07.12, 20:00, Bar jeder Vernunft
(wurde auf den 01.02. verschoben)

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