Debatte um Asyl: Was sind „sichere“ Herkunftsländer für LGBTIQ*?

Wer in Deutschland Asyl sucht, muss die eigene Verfolgung aufgrund sexueller Identität im Heimatland beweisen. Nun werden Staaten für „sicher“ erklärt, die es für LGBTIQ* mitnichten sind. Ein Blick nach Georgien und Ungarn
Beim viel diskutierten Thema Migrationspolitik zeigt sich bereits seit einigen Jahren ein klarer Trend: Deutschland und die EU setzen auf Abschottung. In Zeiten von Grenzkontrollen, Bezahlkarten und der Pausierung des Familiennachzuges stuft die Bundesregierung bestimmte Länder als „sichere Herkunftsstaaten“ ein. Menschen aus diesen Ländern haben dann wenig Hoffnung auf Asyl in Deutschland. Bei einer Zunahme der Zahl von Asylanträgen auf Basis von LGBTIQ*-Zugehörigkeit stellt sich die Frage: Was heißt sicher für queere Menschen wirklich?
Wie das in der Praxis funktioniert, zeigt der Fall eines schwulen Georgiers. Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht bekräftigte die Einstufung Georgiens als sicher vor Verfolgung für LGBTIQ* und sein Asylantrag wurde abgelehnt. In dem Land, das seit 2023 als „sicherer Herkunftsstaat“ gewertet wird, finden derzeit Massenproteste statt, die Mehrheit der Bevölkerung ist unzufrieden mit der russlandorientierten Regierung unter der populistischen Partei Georgischer Traum. Gewaltsame Repressionen, besonders gegenüber protestierenden Frauen und Queers, wurden dokumentiert.
Georgien: Proteste trotz Strafen
„Als queere Person erlebe ich alles, was in Georgien passiert“, erzählt Neo im Interview, möchte aber nicht mit Nachnamen und Foto in einer Zeitschrift zu finden sein. Wie viele andere, so erhielt auch Neo schon mehrmals hohe Geldstrafen für die Teilnahme an Protesten. Besonders unsicher sei die Lage für LGBTIQ*, die in Georgien mit einer Reihe von queerfeindlichen Gesetzen konfrontiert seien. Eines davon kriminalisiert das Zeigen queerer Symbole im öffentlichen Raum.
„Selbst wenn du auf der Straße bei Protesten etwas mit Regenbogen trägst gilt das schon als Propaganda und du kannst dafür ins Gefängnis kommen.“
„Selbst wenn du auf der Straße bei Protesten etwas mit Regenbogen trägst, vielleicht auch nur ein Pink-Floyd-T-Shirt, gilt das schon als Propaganda, und du kannst dafür ins Gefängnis kommen“, schildert Neo.
Dennoch machen die Proteste auch Hoffnung: „Alle protestieren. Selbst die Menschen, die sonst auf der Straße an dir ihren Hass ausleben würden. Du stehst neben ihnen und ihr verteidigt zusammen die Demokratie“, so Neo. Und auch die LGBTIQ*- Gemeinschaft plant weiterhin Veranstaltungen, wenn auch nur im Geheimen. Angesichts dieser solidarischen Community fällt das Auswandern schwer. Neo will versuchen das Land über ein Arbeits- oder Studienvisum zu verlassen. Ein Großteil der Community sei bereits gegangen.
„Viele riskieren oft alles, um das Land zu verlassen, ohne Sicherheit, wie das für sie enden wird.“ Freund*innen von Neo, die Asyl in der EU beantragt haben, würden von einem schwierigen Prozess berichten. Auch weil sie in der Wartezeit nicht arbeiten dürfen. Anti-LGBTIQ*-Gesetze und Proteste gibt es aber bekanntermaßen auch innerhalb der EU, wie in Ungarn – obwohl alle EU-Länder als sicher eingestuft werden. Das seit Jahren vom rechtsextremen Viktor Orbán regierte südosteuropäische Land machte in den letzten Monaten vor allem Schlagzeilen um das Verbot des Budapest-Pride und dem erfolgreichen Widerstand gegen dieses Verbot.
Repressionen auch innerhalb der EU
Die ungarische Aktivist*in Léna Hoschek lebt in Berlin und kämpft bereits seit einigen Jahren von hier aus gegen die Aushebelung der ungarischen Demokratie. Léna findet die Frage der Sicherheit komplex. Die von der Regierung initiierten Hasskampagnen, rechtlichen Einschränkungen bei gleichgeschlechtlicher Ehe, Adoption oder Transition machten das Leben schwer. Gerade für trans* Menschen wird die Lage zunehmend aussichtslos und der Zugang zur medizinischen Versorgung und Geschlechtsangleichung zunehmend eingeschränkt, wie auch die Verhaftung zweier Ärzt*innen zeigt.

„Ich weiß, dass ich hier zumindest einen guten Arzt habe, sodass ich meine Transition und meine Hormontherapie fortsetzen kann, was mir in Berlin ein sicheres Umfeld bietet.“
„Ich weiß, dass ich hier zumindest einen guten Arzt habe, sodass ich meine Transition und meine Hormontherapie fortsetzen kann, was mir in Berlin ein sicheres Umfeld bietet“, berichtet Léna der SIEGESSÄULE. Aber auch wenn in Deutschland die rechtliche und medizinische Unterstützung besser sei, zeigten sich in der Umsetzung Ungleichheiten. „Wenn mir als queerer Person etwas zustößt, sei es Diskriminierung oder Belästigung, dann fühle ich mich sicherer, wenn das Recht auf meiner Seite ist. Aber das muss auch in der Praxis funktionieren.“
Léna weist vor allem auf die finanziellen Ungleichheiten hin, die das Gefühl von Sicherheit in Ungarn und auch in Deutschland beeinflussen. „Ich sehe das bei vielen in meinem Freundeskreis, die als queere oder trans* Migrant*innen darum kämpfen, ihren Job zu behalten. Einfach wegen der psychischen Belastung durch den schwierigen deutschen Arbeitsmarkt und all der Traumata, die sie aus ihren Heimatländern mitbringen.“ Vor allem die Schwierigkeit, Proteste in der Heimat aus dem Ausland heraus zu unterstützen, und das Fehlen einer solidarischen Community machten die Emigration als queere Person sehr schwer.
„Queere Sicherheit“ bleibt komplex
Ähnlich sieht das die ungarische Autorin und Politikerin Blanka Vay, die mittlerweile in Brandenburg lebt. Blanka betont die Wichtigkeit ökonomischer Sicherheit, zusammen mit rechtlichem Schutz für queere Menschen. Wer Ungarn in finanzieller und sozialer Stabilität verlasse, würde sich in Deutschland sicher fühlen. Wer ohne ausreichende Mittel auswandert, bleibe auch in Deutschland in Unsicherheit.
Die Idee der „queeren Sicherheit“ bleibt komplex – ein Zusammenspiel aus rechtlicher Situation, medizinischer Versorgungsstruktur, queerfeindlicher Rhetorik und ökonomischen Faktoren. Allein ein Blick auf die allgemeine Sicherheitslage im Land oder Rankings zu Rechten der LGBTIQ*-Community (beispielsweise liegt Deutschland im ILGA-Ranking auf Platz 8, Länder wie Georgien und Ungarn rangieren im letzten Viertel) reichen hier nicht aus. Individuelle Schicksale können nicht einfach in Kategorien gepresst werden. Vielmehr muss die intersektionale Komplexität queerer Erfahrungen bei Asylentscheidungen berücksichtigt werden. Sicherheit und Schutz bleiben, auch nach dem deutschen Grundgesetz, unantastbare Menschenrechte – ihre Gewährleistung darf nicht in einem Wettstreit von Diskriminierungs- und Länderkategorien entschieden werden.
Der Text entstand mit Unterstützung von n-ost und der Stiftung Erinnern, Verantwortung und Zukunft (EVZ) sowie des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) als Teil der Förderung des Gedenkens an NS-Verbrechen.
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