Koalitionsvertrag CDU, CSU und SPD

Was bedeutet die neue Regierung für queere Geflüchtete?

30. Apr. 2025 Lara Hansen
Bild: IMAGO / Snapshot
Bereits 2021 forderten Demonstrierende den Stopp aller illegalen Pushbacks an den europäischen Außengrenzen sowie die Aufnahme von allen schutzsuchenen Menschen.

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD steht, und mit ihm verschärft sich die Lage für queere Menschen und Geflüchtete. Hinschauen und Handeln lautet die Prämisse, wenn die Bundesregierung mit konservativer Härte den Kurs nach rechts rückt. Denn es gibt juristische Lücken, die queeren Geflüchteten trotzdem Schutz bieten können und Handlungsräume für politischen Druck. Ein Kommentar von SIEGESSÄULE-Redakteur*in Lara Hansen

Mit der Zustimmung zum Koalitionsvertrag hat die SPD den Weg frei gemacht für eine Regierung unter Friedrich Merz. In Aussicht steht damit eine Große Koalition, die weder queere Menschen noch Geflüchtete schützt – und erst recht nicht jene, die beides sind. Seit dem Vertrag, der im April zwischen CDU, CSU und SPD ausgehandelt wurde, ist das schwarz auf weiß belegt. Der Kurs der Koalition: Migration einschränken – und zwar um jeden Preis.

Während mit Begriffen wie „illegale Migration“ und „Asylmissbrauch“ die konservative Basis à la Merz mobilisiert wurde, findet die Perspektive queerer Geflüchteter in dem Regierungsabkommen keinerlei Erwähnung. Diese kalkulierte Blindstelle hat fatale Folgen. So soll laut Vertrag etwa das humanitäre Aufnahmeprogramm für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan – im Oktober 2022 von der damaligen Bundesregierung ins Leben gerufen – beendet werden. Hintergrund war die dramatische Verschlechterung der Lage für queere Menschen nach der Machtübernahme der Taliban, einschließlich drohender Auspeitschungen, Steinigungen und gezielter Verfolgung.

Auch für queere Geflüchtete aus Syrien ist die Lage nun prekär: Merz fordert einen generellen Aufnahmestopp für syrische Flüchtlinge und plädiert für Abschiebungen.

Auch für queere Geflüchtete aus Syrien ist die Lage nun prekär: Merz fordert einen generellen Aufnahmestopp für syrische Flüchtlinge und plädiert für Abschiebungen, obwohl das Land weiterhin als instabil gilt und die Menschenrechtslage für LGBTIQ* alles andere als sicher ist. Nach syrischem Strafgesetz werden gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen mit bis zu drei Jahren Haft geahndet. Das inzwischen formal aufgelöste islamistische Bündnis Hay’at Tahrir al-Sham (HTS), das nach dem Sturz von Diktator Bashar al-Assad im Dezember 2024 die Kontrolle über große Teile Syriens übernommen hat und dessen Kader sich seither in staatliche Strukturen eingegliedert haben, verfolgt indes eine fundamentalistisch-islamistische Ideologie, die queere Identitäten vollständig ablehnt. Zwar bemüht sich die neue Übergangsregierung unter Ahmed al-Sharaa um außenpolitische Anerkennung, doch für queere Menschen vor Ort bleibt das politische Klima bedrohlich.

Während Deutschland und insbesondere die EU die Entwicklungen im Zusammenhang mit Islamismus und der damit verbundenen Islamophobie gezielt und gerne instrumentalisieren, um sich als Vorreiter im Schutz queerer Menschen zu präsentieren, werden genau diese an den EU-Außengrenzen abgewiesen und in Herkunftsländer abgeschoben, in denen sie verfolgt werden. Wo niemand hinschaut, tritt die EU – allen voran die aktuelle sowie die kommende Bundesregierung – Menschenrechte mit Füßen.

Ein Beispiel dafür ist die geplante 20-Prozent-Regel als Teil der umstrittenen EU-Asylreform. Sie sieht vor, dass Asylbewerber*innen aus Ländern mit einer Anerkennungsquote unter 20 Prozent an den Außengrenzen in Schnellverfahren abgewiesen und womöglich sofort abgeschoben werden können.

Die 20-Prozent-Regel und die Logik der „sicheren Herkunftsländer“ dienen einem Kurs der Abschottung, den Merz seit Jahren auf seiner Agenda hat.

Auch wenn diese Regelung voraussichtlich erst im Sommer 2026 in Kraft tritt, sind die Gefahren für queere Geflüchtete schon jetzt absehbar. Denn viele Länder, aus denen LGBTIQ* fliehen – etwa Uganda, Afghanistan oder Russland – haben eine niedrige Anerkennungsquote. Die 20-Prozent-Regel und die Logik der „sicheren Herkunftsländer“ dienen einem Kurs der Abschottung, den Merz seit Jahren auf seiner Agenda hat. Sie entkoppeln Fluchtgründe von individueller Verfolgung und ersetzen sie durch Pauschalurteile über Staaten. Dass queere Menschen gerade in Ländern mit niedriger Anerkennungsquote besonders gefährdet sind, fällt dabei systematisch unter den Tisch – und das spielt Merz in die Karten.

Rechtliche Lücken ausnutzen

Angesichts einer Bundesregierung, die Abschiebung über Menschenrechte stellt, braucht es den aktiven Widerstand aus der Zivilgesellschaft. Ein breiter Zusammenschluss ist denkbar: LGBTIQ*-Organisationen wie der LSVD, GLADT e.V. oder Queer Amnesty, juristische Netzwerke wie die Refugee Law Clinics und dezidiert dekolonial arbeitende Initiativen wie GLADT, Each One Teach One oder International Women Space – gemeinsam haben sie bestehende Strukturen, Expertise und Reichweite, um queeren Geflüchteten konkret zur Seite zu stehen und ein politisches Gegennarrativ zum aktuellen Regierungskurs voranzutreiben.

Bundesländer wie Berlin können laut Artikel 23 Absatz 2 im Aufenthaltsgesetz eigene Aufnahmeprogramme speziell für queere Personen und gefährdete Aktivist*innen initiieren und bestehende (wie z.B. das für Afghanistan) weiter ausführen. Organisationen, Aktivist*innen und Journalist*innen können helfen, Ungerechtigkeiten aufzudecken und Solidarität sichtbar zu machen.

Die rechtlichen Lücken im deutschen System bieten individuelle Auswege, an denen die Zivilgesellschaft nun also gezielt ansetzen kann, um den notwendigen Druck auf die kommende Regierung aufzubauen mit einer unmissverständlichen Botschaft: Dass ein solidarisches, offenes Migrationssystem keine Option, sondern eine politische Notwendigkeit ist.

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