Kolumne: Sex-Positionen

Sex mit KI: Innovation oder Dystopie?

29. Okt. 2025 Lea Holzfurtner
Bild: Lea Holzfurtner
Lea Holzfurtner ist klinische Sexologin und beobachtet die technologischen Entwicklungen der Erotikbranche

Ab Dezember wird es möglich sein, sexuelle Interaktionen mit ChatGPT zu führen. Das ist nur ein Beispiel für die rasant wachsenden erotischen Angebote, die KI beinhalten. SIEGESSÄULE-Kolumnistin Lea Holzfurtner beleuchtet die Risiken für Datenschutz, Zensur, mentale Gesundheit und Emapathievermögen

„Bedankst du dich auch immer bei ChatGPT?“, fragte mich neulich eine befreundete Journalistin. Lustig eigentlich. Aber ja, ich tu's. Und irgendwie tut mir die KI leid, wenn ich sie mehrmals nachbessern lasse, nur weil ich mich unklar ausgedrückt habe. Ich will, dass sie gern mit mir arbeitet. Kollegiale Gefühle, Mitgefühl, Dankbarkeit für eine Maschine. Wie weit ist es da noch bis zu Lust oder Liebe?

Vor kurzem verkündete CEO Sam Altman, ChatGPT werde ab Dezember 2025 verifizierten Nutzer*innen auch erotische Interaktionen ermöglichen. Er wolle „erwachsene Nutzer wie Erwachsene behandeln“. Da ist er, der technokapitalistische Wunsch, sich in jeden Lebensbereich einzuschleichen. Denn KI-geboosteter Sex ist ein riesiger Markt, was wir aktuell schon daran sehen können, dass über 14 Prozent Marktanteil von OnlyFans bereits von Plattformen mit KI-Sex-Angebot abgezogen wurden. Wie OpenAI Altersverifikationen durchführen will ist noch unklar.

Besonders Menschen ohne (viel) Erfahrung mit menschlichen Liebespartner*innen dürften sich schnell für erotische KI-Nutzung interessieren. Doch was passiert, wenn sie sich darauf konditionieren, vom menschlichen Gegenüber dasselbe Verhalten zu erwarten wie von der KI, die keine Wünsche ablehnt? Verleitet uns das zu potentiell nicht-einvernehmlichem Verhalten, wenn wir gar nicht mehr gewohnt sind, dass Partner*innen auch mal Nein sagen? Das ist zumindest eine Befürchtung von Expert*innen.

Altmans Idee ist nicht neu: Apps wie Replika oder CharacterAI normalisieren längst romantische Flirts mit Avataren. Der Markt für KI-„Companions“ wird bis 2030 auf rund 70 Billionen Dollar jährlich geschätzt. Aktuell generieren die Apps für virtuelle Boy- oder Girlfriends jährlich 82 Millionen Dollar. Und ja, die Gespräche gehen über romantische Inhalte hinaus. Replika verlor viele Nutzer*innen, als sexuelle Gespräche kürzlich aufgrund unzureichender Schutzmechanismen konsequenter verboten wurden.

Gegenmittel gegen Einsamkeit?

Natürlich könnte KI auch helfen: als Ersatz für menschliche Gesellschaft, als Gegenmittel gegen Einsamkeit, oder als niederschwellige Sexualaufklärung. Ich könnte mir sogar vorstellen, meinen Coachees KI im Rahmen ihrer Hausaufgaben zu empfehlen. Zum Beispiel denen, die sich noch nicht trauen, ihre Wünsche auszusprechen. Eine KI könnte Übungsgespärchspartner*in sein – wären Daten und Nutzer*innen sicher. Studien zeigen aber, dass das Wohlbefinden bei starker Nutzung von KI Gesprächspartner*innen sinkt. Und die Risiken reichen weit über emotionale Abhängigkeit und Desensibilisierung hinaus. Virtuelle Partner*innen ködern uns mit dem Gefühl, verstanden oder geliebt zu werden, und sammeln gleichzeitig Daten über unsere intimsten Wünsche. Und das ohne ausreichende Schutzmechanismen für unsere mentale Gesundheit.

Virtuelle Partner*innen ködern uns mit dem Gefühl, verstanden oder geliebt zu werden, und sammeln gleichzeitig Daten über unsere intimsten Wünsche.

Aktuelle Klagen gegen die Anbieter zeigen wie tragisch dieses Versäumnis enden kann. Die Versuchung, eine KI als Therapeut*in zu nutzen bleibt aber trotz aller Risiken hoch, wenn die Wartezeit für einen Therapieplatz aktuell oft mehrere Monate lang ist und Betroffene hohe bürokratische Hürden in den Weg gestellt werden – im Gegenteil zu einem Chat, der schon auf dem Handy-Display wartet.

Datenschutzprobleme und Zensur

Wir leben bereits in einer Welt, in der Apps, Plattformen und Pornotechnologien Lust-Daten analysieren. Einen Vibrator, der Orgasmen misst, gibt es schon. 2026 werden KI-gesteuerte Sexpuppen mit Sprachfunktion ab 5.000 Euro erhältlich sein. Wir werden uns KI gesteuerte Masturbatoren gönnen können, die je nach Grad unserer körperlichen Erregung mit uns interagieren und uns währenddessen unsere Lieblingsfantasie erzählen oder in Augmented Reality Brillen zeigen. Immer mehr Sinne werden involviert. Werden wir für Orgasmen ausreichende Lust und Erregung ohne KI-Bot empfinden können, sobald wir uns an diesen perfekt auf uns abgestimmten Hyperreiz gewöhnt haben? Ich hoffe inständig, die Pornowissenschaftlerin Madita Oeming arbeitet bereits an einem KI-Sex-Führerschein!

Klar, die KI-Sexpuppen könnten theoretisch therapeutisch eingesetzt werden. Sie könnten in Alten- oder Pflegeheimen Sexualbegleiter*innen mimen. Was bedeutet es aber, wenn der Algorithmus mitbekommt, wie wir über Lust reden? Für alle, die Sex nicht (nur) als heteronormative Penetration definieren birgt das Gefahren. Was bedeutet es für Gesellschaften, wenn ein gewinnorientierter Konzern entscheidet, was normale und erlaubte Lust ist, welche Fantasien okay sind? Und wenn dieser Gewinn von politischen Bedingungen abhängt?

Was bedeutet es für Gesellschaften, wenn ein gewinnorientierter Konzern entscheidet, was normale und erlaubte Lust ist, welche Fantasien okay sind?

Diese Zensur erleben wir längst: Kreditkartenfirmen bestimmen, welche Inhalte Sexarbeitende auf Plattformen wie OnlyFans zeigen dürfen. Denn ohne Zahlungsoption kein Onlinesex. Auch Instagram spielt Aufklärungsposts zu Sexualität, Schwangerschaftsabbruch oder Queerness nicht aus und löscht Accounts, während Hass und Deepfake-Missbrauchsmaterial bleiben. Einzelne Firmen regulieren, was die Welt über Lust, Sexualität und Gender sehen darf und legen fest, was die Welt als „normal” und „gesund” wahrnimmt.

Ich frage mich, wie Chatbots künftig reagieren, wenn ich explizit nach Hilfe für einen Schwangerschaftsabbruch frage, oder wenn ich meiner KI-Partnerin beim Frühstück erzähle, dass ich mich vielleicht noch zu einem weiteren Geschlecht hingezogen fühle. Welche Therapeut*innen, Ärzt*innen oder Sexcoaches wird sie mir empfehlen? Kann ich mich als Anbieter*in in Antworten einkaufen? (Spoiler: Ja, schon jetzt geht das bei ChatGPT, Gemini und Co., SEO-optimiert auf KI Anfragen.)

Normen und Klischees werden gefestigt

Wenn eine KI über Lust, Fantasien und Begehren spricht, prägt sie auch, welche Vorstellungen wir als „normal“ empfinden und reproduziert Stereotype. Schon jetzt erscheinen bei neutralen Prompts, die keine genaueren Angaben beinhalten, sexualisierte Frauen und Paare, weiß, hetero, normschön und able-bodied. Die KI lernt vom Internet – garbage in, garbage out.

Die neuen KI-Sextools bringen all die alten Fragen mit sich: Macht, Consent, Norm, Sprache, Lust. Wie viele der 800 Millionen wöchentlichen ChatGPT-Nutzer*innen werden der perfekten KI-Liebhabenden widerstehen? Für alle neugierigen empfehlen Expert*innen, sich bewusst zu machen, dass da keine echte Person sitzt und sich zum Ausgleich echte Kontakte zu suchen. Und ich bin schon gespannt, wann die ersten Paare wegen Eifersucht auf KI-Lover in meine Praxis kommen werden.

Lea Holzfurtner (@sexcoach.berlin) ist klinische Sexologin und Autorin von „Dein Orgasmus”. In ihrer Berliner Praxis und im Podcast „Berlin Intim“ coacht sie Menschen mit Klitoris und deren Partner*innen.

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