Queer History Month 2023

Erste Stadtführung zur bisexuellen Geschichte Berlins

19. Mai 2023 Ella Strübbe
Bild: Agentakt CC BY-SA 4.0 Quelle
Der Spaziergang startet am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Im Rahmen des Queer History Month im Mai, lädt der Verein BiBerlin e. V. am Sonntag, den 21.05., zum ersten Stadtspaziergang durch Berlin ein, der sich spezifisch mit Bisexualität auseinandersetzt. Ziel ist, bisexuelle Perspektiven in der queeren Erinnerungskultur sichtbarer zu machen

„Heute wissen wir viel über queere Personen, nur nicht immer, dass sie queer sind“, sagt Christiene Metzger, Vorstandsmitglied bei BiBerlin. Heinrich von Kleist, Alexander von Humboldt oder Käthe Kollwitz: Sie alle waren vermutlich queer. Käthe Kollwitz hat sich in ihren Memoiren sogar als bisexuell bezeichnet. Ihre Geschichten aber kennen wir fast ausschließlich aus nicht queeren Kontexten. Damit bisexuelle historische Persönlichkeiten sichtbarer werden, veranstaltet der Verein BiBerlin am 21. Mai den ersten „BI-Queer Historischen Spaziergang“ der Stadt.

Unsichtbar in der queeren Erinnerungskultur

Bisexualität werde im Akronym LGBTIQ* oft mitgenannt, aber nicht mitgedacht, so Christiene Metzger. Auch deshalb sei Bisexualität so unsichtbar in der queeren Erinnerungskultur. Als Ansprechperson für die AG Geschichte will sie die Geschichten von Kleist, Humboldt und Kollwitz erzählen – aber auch die vieler anderer, weil: „Je häufiger wir diverse Geschichten erzählen, desto mehr gewöhnen wir uns an Graustufen“.

„Je häufiger wir diverse Geschichten erzählen, desto mehr gewöhnen wir uns an Graustufen.“

Der Rundgang beginnt am Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Das Denkmal erinnert an den Paragraphen 175: Dieser wurde im Deutschen Kaiserreich 1872 eingeführt, stellte „widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern unter Strafe und wurde in der NS-Zeit verschärft. Erst am 22. Juli 2017 wurden alle Urteile nach 1945 aufgehoben. Dieses düstere Kapitel wird vor allem mit schwuler Geschichte in Verbindung gebracht. Der Paragraph kriminalisierte allerdings auch bisexuelle Männer – ein häufig übersehener Fakt.

Weiter geht es beim Spaziergang vorbei an der Botschaft der Vereinigten Staaten. Raymond H. Geist war von 1929 bis 1939 erster Sekretär der Botschaft und für die Visa-Vergabe zuständig. Geist war wahrscheinlich bisexuell und soll ab 1933 vielen Menschen bei der Flucht aus Deutschland geholfen haben. Allerdings ist seine Rolle bei der Visa-Vergabe an jüdische Flüchtlinge umstritten.

Zäsur durch die NS-Zeit

Nächster Halt ist das Brandenburger Tor. Herkules, dessen Geschichte auf Reliefs die Durchgänge ziert, hatte übrigens sowohl weibliche als auch männliche Geliebte. Auf dem Weg zur St. Marienkirche kommen die Spaziergänger*innen unter anderem noch am Bebelplatz vorbei, auf dem die Nazis im Zuge der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auch 10.000 Bücher aus dem Institut für Sexualwissenschaften verbrannten.

Aufgrund der Plünderung und Zerstörung des Instituts für Sexualwissenschaften vor 90 Jahren, entstand eine Zäsur in der Sexualforschung und auch in der queeren Emanzipationsbewegung. Im internationalen Vergleich hinkt deshalb die deutsche Forschung rund um Bisexualität noch heute hinterher.

Die Bezeichnung „bisexuell“ beschrieb bis Anfang des 20. Jahrhunderts Lebewesen mit unterschiedlichen Geschlechtsmerkmalen und ist mit dem heutigen Begriff „intersexuell“ vergleichbar. Als Beschreibung für eine sexuelle Orientierung prägten den Begriff unter anderem Sigmund Freud und der US-amerikanische Psychiater Charles G. Chaddock. Nach dem Krieg tauchte das Wort aber erst wieder in den 80er-Jahren in der deutschsprachigen Fachliteratur auf – im angelsächsischen Raum wurde bereits Anfang der 1970er-Jahre zu Bisexualität geforscht. 85 Prozent dessen, was Christiene Metzger weiß und wovon sie beim Spaziergang erzählt, hat sie aus amerikanischer Forschungsliteratur.

Premiere beim Queer History Month

Die Arbeitsgemeinschaft Geschichte von BiBerlin betreibt keine primäre Quellenforschung, sondern liest geschichtswissenschaftliche Literatur, Berichte freischaffender Historiker*innen und vermittelt auch Zeitzeug*innen der jüngeren bisexuellen Geschichte an Historiker*innen.

Mit dem „BI-Queer Historischen Spaziergang“ beteiligt sich der Verein zum ersten Mal am Queer History Month (QHM). Die Veranstaltungsreihe, getragen vom Lesbenarchiv Spinnboden, findet jedes Jahr im Mai in Berlin statt.

Schon im vergangenen Jahr wollte sich BiBerlin auf die Spuren von Geschichten bisexueller Menschen begeben, nur kam ihnen eine Demonstration der AfD dazwischen. Am 21. Mai starten sie so gesehen einen zweiten ersten Versuch.

BI-Queer Historischer Spaziergang
Startpunkt: Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, Ebertstraße, 10785 Berlin
Sonntag, 21. Mai ab 15:00 Uhr

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