Queere Goth-Ikone

Fauler Zauber: Sopor Aeternus im Interview

3. Apr. 2020 Jan Noll
Bild: Heilemania.de nach einem Konzept von AVC
Sopor Aeternus & The Ensemble of Shadows

Die queere Goth-Ikone Anna-Varney Cantodea alias Sopor Aeternus & The Ensemble of Shadows ist derzeit äußerst produktiv. Gerade veröffentlichte sie mit „Island of Dead“ bereits das dritte neue Album in drei Jahren. Interviews gab sie in dieser Zeit allerdings keine. Für SIEGESSÄULE macht sie nun zum zweiten Mal eine exklusive Ausnahme

Die neue Platte handelt offensichtlich von deiner enttäuschten Liebe zu einem verheirateten Mann. Der Prozess der „Entzauberung“ dauerte sechs Jahre. Das ist eine lange Zeit für einen simplen Irrtum, oder? Das Wort Entzauberung darfst Du durchaus wörtlich nehmen, denn genau das war es letztendlich. Der magische Schleier, den das Stück „Black Magic Spell“ beschreibt, ist deshalb auch nur teilweise metaphorisch zu verstehen. Und wie es bei machtvoller Magie bisweilen der Fall ist, wurde der Bann auch erst im Augenblick des Todes (beziehungsweise Nahtodes in diesem Fall) gebrochen. Das erklärt dann auch die sechs Jahre. Gleichzeitig war diese Zeitspanne aber nötig, damit sich sämtliche Ereignisse der Handlung überhaupt erst ereignen konnten. Es war alles sehr komplex und vielschichtig, weitaus mehr, als es für dich vielleicht den Anschein hat. Vermutlich sollte ich ein ganzes Buch darüber schreiben. Das wäre nicht weiter schwer. Andererseits wäre es es auch irgendwie ziemlich … gewöhnlich. Ja, im Grunde ist das alles wie eine klassische, banale Disney-Geschichte, wenn auch eine der besseren, dunkleren Art. Das Thema des Albums ist allerdings weniger enttäuschte Liebe, da diese ja von vornherein nur einseitig war. Der eigentliche Verrat geht dabei viel tiefer und ist um so vieles schlimmer.

Nahtod? Nun, das klingt nach weit mehr als nach einer banalen Disney-Geschichte. Obwohl, vielleicht nach „Schneewittchen und die sieben Zwerge“, aber da diente ja ohnehin ein Märchen als Vorlage … ... und bei Schneewittchen gibt es auch weder Depression noch Suizid. Wobei, derlei Dinge klammert Disney ja ohnehin aus. Vergleiche nur mal die ursprünglichen Erzählungen mit den weich gespülten Disney-Versionen. Da ist dann plötzlich keine Rede mehr von den höllischen Qualen, welche zum Beispiel die „kleine Meerjungfrau“ bei jedem Schritt an Land ertragen muss, als würde tausend Rasierklingen ihre Füsse zerschneiden … alles nur aus Liebe zu einem Sterblichen, der sie am Ende dann doch verschmäht, um eine Andere zu schwängern… und ihr einziger Weg zurück in das Unterwasserreich ist es, sich selbst in den Tod zu stürzen, da ihre Liebe aufrichtig war, und sie es daher nicht über sich bringt, stattdessen ihm ein Leid anzutun. Aber ich meinte den Disney-Vergleich auch eher in Bezug auf generelle Handlung und bekannte Motive.

Die vorherrschende Emotion auf der Platte ist weniger Traurigkeit als vielmehr Wut. Sehr viel „Fuck you“, „Asshole“ und „Shit“. Ich glaube, früher hättest du eher rezessiv geklagt als offensiv gehasst. Was hat sich verändert? Ich glaube, es ist von alles etwas. Die fünf Phasen der Trauer eben, was ja auch der Untertitel des Albums ist. Allerdings wird darauf weitaus weniger geflucht, als du es hier andeutest. Und Hass gibt es auf dem Album auch keinen. Weshalb auch? Traurigkeit hingegen schon. In der Tat war diese über die Jahre hinweg meine ständige Begleiterin.

„Es ist das bewusste Beenden einer toxischen Beziehung“

Sorry, „gehasst“ war auch nicht das richtige Wort. Ich finde einfach nur, dass das Album auch ein Stück weit von Selbstermächtigung handelt und nicht nur von Trauer. Oder sehe ich das falsch? Nein, Du hast Recht. Es ist das bewusste Beenden einer toxischen Beziehung. Es wird nicht länger mehr alles beschönigt, entschuldigt und leidend hingenommen, sondern endlich ein Schlussstrich gezogen und das Kapitel ein für alle Mal beendet. Die Trauer beweint daher auch nur den Tod der Illusion, jene vermeintlich tiefe Freundschaft, die in Wahrheit nie existiert hat.

In einigen Stücken kritisierst du seinen Alkoholkonsum. Lehnst du jegliche Form von Drogen ab? Nein. Und es geht auch nicht um den Konsum als solchen. Eher um das, was mit ihm einhergeht. Es ist eine bisweilen schöne Illusion, aber eben nie mehr als das.

Es gibt im Konzept des Albums einen klaren Bruch zwischen der Aufmachung als abgewetzter Horror-Videokassette, beiliegenden, mystisch anmutenden Amuletten, deinen eher okkult designten Fotos und dem eigentlichen Inhalt der Platte, der einfach nur von einer Beziehung zwischen zwei Menschen erzählt. Erzähl mir doch bitte was zu diesem Gegensatz. Es ist nur ein scheinbarer Gegensatz, da die Bildmotive schließlich eine Illustration des Albumtitels sind, welcher wiederum den Inhalt/das Thema des Album sehr genau widerspiegelt. Was es dann aber für den außen stehenden Betrachter verwirrend macht, ist, dass mit jedem weiteren Verpackungselement ein anderer Eindruck vermittelt wird, eine scheinbar andere Geschichte erzählt wird, welche der vorangegangenen entweder komplett widerspricht oder sonst wie keinen wirklichen Sinn ergibt und willkürlich erscheint. Angefangen schon bei kleinen Dingen, wie einer CD, die wie eine Schallplatte aussieht, welche sich in einer Hülle befindet, die ein komplett anderes Medium anpreist, das in dieser Form aber nie wirklich existiert hat. All dies im Grunde bloß, um den Hörenden von dem eigentlichen Inhalt des Albums abzulenken. Ihn quasi visuell auf eine falsche Fährte zu locken. Aus … Selbstschutz. Dieses Verwirrspiel spiegelt aber gleichzeitig auch meine eigene Konfusion dieser Jahren wider, und was bisweilen willkürlich platziert erscheint, ist in Wahrheit durchdacht. Das Ironische dabei ist, je mehr versucht wird, vom Inhalt abzulenken, desto mehr wird eigentlich preisgegeben. Aber zum Glück fällt das niemandem auf.

Du sagst, dass du aus Selbstschutz den wahren Inhalt der Platte zu verschleiern versuchst. Gleichzeitig legen die Texte aber alles offen, da sie nicht abstrakt, sondern konkret sind. Warum hast du in den Lyrics nicht einfach auf Abstraktion gesetzt, dann hättest du nicht mittels der optischen Aufmachung wieder verschleiern müssen, oder? Aber was hätte das denn gebracht?! Es ging ja darum, sich von etwas zu befreien … und dabei war/ist es notwendig, alles konkret zu benennen. Abgesehen davon ist es so herum künstlerisch viel wertvoller.

Du hast auf das Cover nochmal fett per Hand „There is no magic!“ geschrieben. Die Aussage findet sich auch noch an anderer Stelle. In der Vergangenheit sprachst du allerdings häufiger von deiner Arbeit als „magisch“. Eine Absage an die Vergangenheit? Nein, ganz im Gegenteil. Aber mir ist natürlich klar, wie verwirrend dieses Zitat auf dem Cover ist, wenn man den Zusammenhang nicht kennt. Aber auch das ist beabsichtigt. Allerdings löst sich diese Verwirrung dann auf, sobald man das Album tatsächlich gehört hat. Zumindest bis zu einem gewissen Grad.

Meint „Magic“ in diesem Fall also einfach „Liebe“? Es meint weit mehr als das! Doch in Wahrheit war/ist eben nichts davon wirklich. Es war alles nur… Täuschung. Von Anfang an.

Du erzähltest mir neulich, dass dir aufgefallen sei, dass es sich bei deinen Alben „Les Fleurs du Mal“ (2007), „Mitternacht“ (2014) und dem neuen „Island of the Dead“ inhaltlich um eine Trilogie handelt. Was kannst du mir dazu sagen? Ich war in einer seltsamen Stimmung, als ich dir dies schrieb. Wann war das? Um 3:00 Uhr morgens? Kein Wunder also. Du solltest daher nicht zu viel darauf geben. Andererseits ... Ich hatte die Nacht damit verbracht, alte Platten von mir zu hören, was ich anscheinend jedes Mal mache, kurz bevor ein neues Album veröffentlicht wird. Ich weiß nicht mal genau, warum. Es ist vielleicht so etwas wie eine unbewusste Bestandsaufnahme. Jedenfalls war in dieser Nacht der Weg – oder der Abstieg, wenn man so will, von der „Les Fleurs du Mal“ über die „Mitternacht“ bis hin zur Toteninsel irgendwie herzzerreißend.

„Sopor ist oftmals ein Widerspruch in sich“

Du betonst durch deine Kunst, durch dein abgeschiedenes Leben und in Interviews immer gerne, dass du kein soziales Wesen bist. Gleichzeitig handeln etliche deiner Songs in den letzten Jahren davon, dass du dich danach sehnst, Teil eines sozialen Gefüges zu sein. Wie kommt es zu dieser widersprüchlichen Situation? Ist es an der Zeit, nach Jahrzehnten der Zurückgezogenheit, mehr auf Menschen zuzugehen? Sopor ist oftmals ein Widerspruch in sich … bisweilen wie zwei Hälften, die sich doch zu einer Münze ergänzen, die von kalter Hand liebevoll auf das geschlossene Auge eines träumenden Leichnams platziert wurde, während das andere, weit geöffnet, leer in die grausame Unendlichkeit des Weltalls starrt. Zwei sich mitunter gegenseitig ausschließende Prinzipien, die es zu vereinen gilt. Oder auch nicht. Es ist dieses tragisch-lächerliche Spannungsfeld von ewigem Widerstand und Anziehung, in dem sich Sopor bewegt. Dunkel und doch bisweilen strahlend hell. Ein grotesker Balanceakt in einem selbst erschaffenen, zerbrechlichen Universum. Das Übliche eben.

Du hast der mitunter recht konservativen Goth-Szene stets sehr viel abverlangt, hast sie bereits ab Anfang der 90er unverblümt mit queerer Identität, queerem Begehren, deftigen Sexgeschichten und jeder Menge kinky stuff konfrontiert. Waren die Reaktionen immer positiv? Natürlich nicht. Aber die sogenannte Goth-Szene ist doch im Grunde ohnehin nur Kinderfasching, der in einem alljährlichen Schaulaufen seinen bemitleidenswerten Höhepunkt zelebriert. Aber vermutlich muss das wohl so sein. Keine Ahnung.

In unserem letzten Interview hatte ich dich zum Bier trinken eingeladen. Das würde ich jetzt natürlich nicht mehr tun, ich will ja nicht genauso dumpf erscheinen, wie der Mann in deinen Lyrics. Oh, mach dir deswegen keine Gedanken. Du bist auf deine ganz eigene Art gewöhnlich. (lacht)

Haha, findest du? Sind wir am Ende nicht alle ziemlich gewöhnlich? Wir alle pupsen, niesen, essen, sind unsicher und wollen geliebt werden… Ja, die irdische Existenz ist ein elendes Jammertal und die Wirklichkeit ist stets eine Enttäuschung.

Sopor Aeternus & The Ensemble of Shadows: Island of the Dead (Apocalyptic Vision), jetzt erhältlich

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