Premiere am 18.12.

Gewalt in lesbischen Beziehung: „Das Archiv der Träume“ als Theaterstück

17. Dez. 2025 Annabelle Georgen
Bild: Moritz Haase
In der Spielzeit 25/26 ist Jules Head zu Gast im Berliner Ensemble, im Rahmen des „WORX“- Nachwuchsprogramms

In ihrem autofiktionalen Buch „Das Archiv der Träume“ erzählt die amerikanische Autorin Carmen Maria Machado von Gewalt in einer lesbischen Beziehung. Der*die britische trans Theatermacher*in Jules Head bringt den Roman erstmals auf die Bühne. Wir sprachen mit dem*der 28-jährigen Regisseur*in über die Inszenierung und Queerness im Theater

Jules, was hat dir an Carmen Maria Machados Buch so gefallen, dass du es jetzt auf die Bühne bringst? Mir ist dieses fantastische Buch vor sieben Jahren zum ersten Mal in die Hände gefallen. Gelesen habe ich es in einem Zug, was ich sonst nie mache. Ich hatte das Gefühl, etwas völlig Neues zu lesen, und hab es verschlungen. Mir gefiel auch das rasante Tempo des Buches. Ich dachte sofort, dass es so cool wäre, daraus ein Theaterstück zu machen, stellte es aber wieder ins Bücherregal. Bis ich mich für das WORX-Nachwuchsprogramm mit diesem Projekt bewarb und das Glück hatte, aufgenommen zu werden.

„Das ist eine Frage, die sich durch das ganze Buch zieht: Was braucht man, um einem Opfer zu glauben, wenn man keine Beweise hat?“

„Das Archiv der Träume“ hat eine sehr besondere narrative Struktur … Jedes Kapitel ist einem Genre – Musical, Mythos, Fantasy – oder einer bestimmten dramatischen Perspektive zugeordnet. So ändert sich der Blickwinkel, aus dem der*die Leser*in das Buch liest. Carmen Maria Machado erzählt von ihrer vergangenen Liebesgeschichte mit einer manipulativen und missbrauchenden Frau, vom Trauma und seiner Wirkung auf Gehirn und Körper, wie es unser Gedächtnis beeinträchtigt, unsere Beziehung zu Fakten und deren Chronologie. Und das ist eine Frage, die sich durch das ganze Buch zieht: Was braucht man, um einem Opfer zu glauben, wenn man keine Beweise hat?

Wie „übersetzt“ du das auf der Bühne? Ich habe eng mit dem*der Schriftsteller*in Leo Wyss zusammengearbeitet, um das Buch zu dramatisieren. Mit der Bühnenbildnerin Emilia Bongilaj haben wir mit der Idee der Rekonstruktion gespielt, da die Autorin versucht, ihre lückenhaften Erinnerungen wiederherzustellen. Der Raum, in dem diese Gewalt, aber auch die schönen Momente der Beziehung stattfanden, dreht sich im Laufe des Stücks: So kann das Publikum manchmal Gewaltszenen sehen, manchmal nicht. Sein Blickwinkel verändert sich, wie im Buch.

„Ich bin sehr daran interessiert, queere Intimität auf der Bühne darzustellen, die Nuancen davon, wie sehr sie sich meiner Meinung nach von heterosexueller Intimität unterscheidet.“

Inszenierst du meistens queere Erzählungen? Viele meiner Arbeiten beschäftigen sich mit Queerness, um diese Beziehungen differenzierter auf der Bühne zu zeigen. Denn LGBTIQ*-Themen werden immer noch durch eine heteronormative Brille betrachtet, für ein heterosexuelles Publikum. Deshalb richtet sich meine Arbeit vorrangig an ein queeres Publikum, damit es sich auf der Bühne wiedererkennen kann. Denn so, glaube ich, können queere Menschen ein bisschen mehr wahrhaftiger existieren. Meine Hoffnung ist, dass jemand im Publikum vielleicht eine ähnliche Erfahrung gemacht hat und dann merkt, dass er*sie nicht allein ist. Außerdem bin ich sehr daran interessiert, queere Intimität auf der Bühne darzustellen, die Nuancen davon, wie sehr sie sich meiner Meinung nach von heterosexueller Intimität unterscheidet. Die Art und Weise, wie wir aufeinander hören, ist einzigartig, finde ich.

Gibt es intime Szenen auf der Bühne? Ja, das ist mir wichtig, weil die Beziehung gut beginnt. Am Anfang ist sie einvernehmlich, schön und liebevoll. Dann ändert sich plötzlich alles, die Beziehung gerät außer Kontrolle. Deshalb zeigen wir diese queere Intimität, bevor wir sie dekonstruieren, wenn die Gewalt ausbricht.

Du bist jetzt in Berlin für ein Jahr. Warst du schon als Gast im Theater? Ich habe bereits einige großartige Stücke gesehen, wie „T-Boy on Grindr“ im Gorki und „A Year without Summer“ in der Volksbühne. Ich fand es verdammt schön, ältere Frauen, die miteinander intim waren, auf der Bühne zu sehen.

Ophelia‘s Got Talent“ ist auch sehenswert ... Ich habe es bereits vor ein paar Jahren gesehen, und es war sogar einer der Hauptgründe, warum ich nach Berlin gehen wollte. Ich war total begeistert – aber auch irgendwie wütend. Weil es für mich klar war, dass in England niemandem außer einem weißen cis Mann ein so ehrgeiziges Projekt zugetraut worden wäre.

Zurück zum „Das Archiv der Träume“: Gewalt in lesbischen Beziehungen ist immer noch ein Tabu in der Community. Wie gehst du damit um? Das ist eine wirklich gute Frage, denn ich hatte so viel innere Anspannung, als ich die Entscheidung traf, dieses Theaterstück zu inszenieren. Ich dachte mir: Wir haben ja noch nicht genug gute queere Geschichten auf der Bühne, wir können uns keine schlechten leisten. Wir haben nicht genug positive lesbische Vorbilder auf der Bühne, wir können uns keinen problematischen Charakter leisten. Ich schwankte ständig zwischen diesen Punkten in meinem Kopf und dachte, dass mich alle in der queeren Community hassen würden, weil ich dieses Stück aufführe, das keine Utopie zeigt. Darf ich dir einfach ein Zitat aus dem Buch vorlesen?

„Wir verdienen es, dass unsere Verfehlungen genauso dargestellt werden wie unsere Heldentaten. Denn wenn wir Verfehlungen als Möglichkeit für eine Gruppe von Menschen ablehnen, lehnen wir ihre Menschlichkeit ab.“

Natürlich... Das finde ich sehr hilfreich: „Wir verdienen es, dass unsere Verfehlungen genauso dargestellt werden wie unsere Heldentaten. Denn wenn wir Verfehlungen als Möglichkeit für eine Gruppe von Menschen ablehnen, lehnen wir ihre Menschlichkeit ab. Das heißt, dass Queers keine Repräsentation, Schutz und Rechte verdienen, weil sie moralisch rein oder aufrichtig sind. Sie verdienen diese Dinge, weil sie Menschen sind, und das reicht aus.“ Und für mich ist das der Schlüssel, warum wir dieses Tabu weiterhin aussprechen und ihm Raum geben sollten. Denn wenn nicht, tun wir, als seien wir alle gute Queers, die sich immer korrekt verhalten, nur unter einer heteronormativen Machtstruktur leiden, diese jedoch nie reproduzieren. So nehmen wir uns selbst das Recht, authentisch zu existieren, indem wir die ganze Komplexität innerhalb der Community ausblenden, nach dem Motto: „Ja, es ist alles nur Regenbogen, Glitzer, Freude. Keine Sorge, wir sind nicht das Problem.“ Wir sollten keine Angst vor diesem Tabu haben, denn es ist dem Patriarchat geschuldet. Ich glaube nicht, dass diese Angst berechtigt ist.

SIEGESSÄULE präsentiert „Das Archiv der Träume“
18.12. (Premiere)
22.+23.12., 20:15
Berliner Ensemble (Werkraum)
berliner-ensemble.de

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