„Ich brauche Drogen, jeden Tag!“ – Substanzen, Scham und Selbstbestimmung

Was bedeutet eigentlich „drogenfrei“ – und wer entscheidet das? SIEGESSÄULE-Autorin Jeanne Spada beleuchtet die gängige Doppelmoral zwischen akzeptierten und stigmatisierten Substanzen – und fragt, wie sich echte emanzipatorische Räume schaffen lassen, jenseits einfacher Antworten
Ich bin queer und habe ein Drogenproblem: In der Szene wird es vereinfacht oder geschwiegen. Wir, die eigentlich wissen sollten, dass Scham keiner hilft, tappen beim Thema Drogen regelmäßig in die Schamfalle: Drogen sind ein gefährlicher Genuss, Konsum und Probleme damit Privatsache. Ein drogenfreier Raum spaltet da schnell in pro und contra – ich bleibe erstmal bei „Hä?!“
Mein Suchtproblem ist Tabak, Koffein und Speed folgen mengenmäßig als nächstes und auch Alkohol und Psychedelika als Genussmittel bin ich nicht abgeneigt. Die „harte“ Droge Speed bekomme ich, wie das bei mir ebenfalls massiv psychoaktive Östrogen und Antidepressiva, auf ärztliche Verordnung.
Wenn ein Raum „drogenfrei“ ist, ist oft nur Alkohol gemeint, manchmal auch Partydrogen, während die Abwesenheit von Tabak und Nutzhanf eher unter „rauchfrei“ laufen, während Meth, das sich chemisch nur geringfügig von meinem Medikament unterscheidet, so allgemein als harte Droge stigmatisiert ist, dass dessen Konsum vermutlich in kaum einem Raum toleriert wird.
Was zählt als Droge – und wer entscheidet das?
Die Frage, ob ich in einem drogenfreien Raum einen Tee trinken kann, klingt vielleicht erstmal albern, aber das Problem bleibt: Eindeutig Drogen definieren ist nicht möglich. Dass der Konsum mancher (psychoaktiver) Substanzen normalisiert ist, ist aber nicht zu leugnen: Ich verabrede mich auf einen Kaffee, eine Tüte oder ein Glas oder bleibe noch auf eine Zigarette.
Lines, Ampullen und Pillen haben sich bisher noch nicht so durchgesetzt: Auch wenn die Substanzen in Berlins queeren Party-Szenen etwas enttabuisierter sind, als anderswo, ganz ohne Stigma sind sie nicht, was sich auch in der Sprache spiegelt. Wer darüber pikiert ist, dass ihm Speed angeboten wird, frage sich, ob das bei einem Kaffee oder Sekt ähnlich wäre – wenn nein, ist es nur Stigma.
Wer darüber pikiert ist, dass ihm Speed angeboten wird, frage sich, ob das bei einem Kaffee oder Sekt ähnlich wäre – wenn nein, ist es nur Stigma.
Gleichzeitig ist wer andere zum Konsum drängt, ob Alkohol oder angeblich „härtere“ Drogen, so progressiv wie das Oktoberfest oder der Junggesellinnenabschied. Die Grenze verläuft nicht zwischen Konsumierenden und Abstinenten, sondern bei körperlicher Selbstbestimmung. Das ist das eigentliche Anliegen beim drogenfreien Raum, das oftmals unberührt bleibt.
Ich habe meine Zweifel, dass ein drogenfreier Raum oder anders organisierte Abstinenz das beste Mittel sind, um diese Selbstbestimmung durchzusetzen. Das Schutzraumkonzept, dem die Idee zugrunde liegt, kann sowohl der feministischen Selbstorganisation dienen als auch dem Ausschluss von trans Frauen.
Ein drogenfreies Kaffeekränzchen mag gut gemeint sein und symbolisch wirken – wie eine homöopathische Dosis. Aber die eigentliche Gefahr von Prohibition, auch auf begrenztem Raum, ist die Desinformation, die sie voraussetzt: Um bestimmte Substanzen auszuschließen, muss willkürlich entschieden werden, was als Droge gilt und was nicht. Vielleicht kann ein Raum ohne Substanzen funktionieren – aber dann sollte er nicht irreführend als „drogenfrei“ bezeichnet werden.
Um wirklich Selbstbestimmung zu erreichen, ist Entstigmatisierung nötig, von Konsum, von Sucht und von Abstinenz, für jegliche Droge. Eine Fixerstube und eine Kneipe unterscheiden sich vor allem im Stigma. Es braucht Konsumkompetenz statt Vorurteile. Auch einige Studien und kurzes Nachdenken legen nahe, dass Sucht mehr mit der Lebenssituation zu tun hat, als mit der Substanz – ohne Dauerstress hätte meine Raucherentwöhnung besser gehalten.
Dass das Polizisten mit oder ohne Uniform wahrscheinlich Kopfschmerzen bereitet, kann nur heißen, dass ich damit richtig liege. Gegen eine kulturelle Norm einzustehen ist nicht leicht, aber wer Sex ohne Kondom oder mit bestimmten Geschlechtern ablehnt, sollte das auch mit einem Glas Wein können – und darin respektiert und unterstützt werden.
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