Kommentar

Klöckners Kulturkampf: Die Fahne fehlt, der Protest bleibt

27. Juni 2025 Christoph R. Alms
Bild: Sally B.

Während LGBTIQ*-Projekte gestrichen werden und queerpolitische Reformen ausbleiben, besteht Bundestagspräsidentin Klöckner darauf: keine Regenbogenflagge auf dem Bundestag zum CSD. Das ist eine Ablenkung von den strukturellen tagtäglichen Herausforderungen queerer Menschen, findet SIEGESSÄULE-Autor Christoph R. Alms

Wer hat eigentlich noch nicht mitbekommen, dass Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) einerseits entschieden hat, die Regenbogenfahne am Reichstagsgebäude zum CSD nicht wie in den Vorjahren hissen zu lassen? Wer hat die Entscheidung verpasst, dass Klöckner in ihrem Amt auch dem queeren Netzwerk der Mitarbeiter*innen aus der Bundestagsverwaltung die Teilnahme am CSD verwehrt hat?

Entscheidungen, die Klöckner selbst mit der „notwendigen politischen Neutralität“ der Verwaltung und des Hohen Hauses verteidigt, die aber scharfe Kritik von der politischen Opposition im Deutschen Bundestag und der Zivilgesellschaft erfährt.

Als „fatales Signal” und „Wasser auf die Mühlen derjenigen, die CSDs angreifen und queere Menschen entrechten wollen” bezeichnet etwa Nyke Slawik, queerpolitische Sprecherin der bündnisgrünen Bundestagsfraktion dieses Vorgehen, während Christian Görke, parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion Die Linke, sogar meint, Klöckner drehe „Menschenwürde und Gleichberechtigung demonstrativ den Rücken zu“.

Mittlerweile existieren sogar Petitionen mit über 200.000 Unterschriften, um die Regenbogenfahne doch noch am Sitzungsgebäude des Deutschen Bundestags zum CSD wehen zu lassen.

Bild: Olaf Kosinsky CC BY-SA 3.0 Quelle
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner führt einen Kulturkampf gegen queere Menschen

Aber wer außerhalb der queeren Communitys hat eigentlich mitbekommen, dass in Berlin und Brandenburg queere Projekte zunehmend finanziell ausgehöhlt oder ganz gestrichen werden? Dass Maßnahmenpläne für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt nicht mehr fortgeführt werden? Gewalt gegen queere Menschen laut Statistiken Jahr für Jahr drastisch zunimmt? Eine angemessene Gesundheitsversorgung von LGBTIQ*, besonders im ländlichen Brandenburg, oft nicht mehr gesichert ist? Dass die Ergänzung der Merkmale sexuelle und geschlechtliche Identität im Deutschen Grundgesetz derzeit viel zu weit von einer Umsetzung entfernt ist? Oder dass überfällige Reformen – etwa im Abstammungsrecht, AGG oder beim Verbot von Konversionstherapien – seit Jahren stagnieren? Und wer hat mitbekommen, dass Regenbogenfahnen in Berlin und vor allem in Brandenburg nicht nur verschwinden, sondern gestohlen oder verbrannt werden?

Nebenschauplätze wie Klöckners jüngste Entscheidungen sind eine bewusste Ablenkung von lebens- und teils überlebenswichtigen (queer-)politischen Herausforderungen.

Eine bereits lange Liste, die selbstverständlich längst nicht vollständig ist und sich leicht fortsetzen ließe. Genau hier liegt das Problem: Wer außerhalb der queeren Bubble nimmt Notiz von diesen Bedarfen und Bedürfnissen? „Ja, habt ihr denn keine wichtigeren Probleme und Sorgen?” lautet nach wie vor die ewig gleiche Frage in den Kommentarspalten online und in Diskussionsrunden offline.

Doch, haben wir! Nur sorgen inszenierte Nebenschauplätze wie Klöckners jüngste Entscheidungen zu einer bewussten Ablenkung von eben diesen lebens- und teils überlebenswichtigen (queer-)politischen Herausforderungen.

Wer das im Jahr 2025 noch immer nicht mitbekommen hat, wer das noch immer nicht mitbekommen will oder sogar – wie Bundestagspräsidentin Julia Klöckner – aktiv das alte Narrativ einer unzufriedenen, vermeintlich überprivilegierten queeren Community und einer viel zu sichtbaren Minderheit stärkt, trägt ebenfalls Mitverantwortung für die Zunahme von Queerfeindlichkeit.

Repression erzeugt Widerstand

So wird es auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten Regenbogenfahnen, und viele, viele weitere Fahnen für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, an noch mehr öffentlichen Gebäuden geben müssen. Regenbogenfarbene Kleidung wird im Deutschen Bundestag und in den Parlamenten auf Landes- und Kommunalebene auf kreative Weise Protest gegen Queerfeindlichkeit ausdrücken müssen. Und es wird so viele CSDs wie noch nie zuvor geben müssen! Es wird Zeit, dass das nun auch die Letzten mitbekommen.

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