Migrantisch-queeres Kulturzentrum Oyoun kämpft gegen Diffamierung
Das Oyoun in Neukölln ist als Zentrum für postkoloniale und queerfeministische Kunst aus Berlins Kulturszene kaum mehr wegzudenken. Und doch steht seine Existenz nun auf der Kippe. Grund dafür ist ein andauernder Streit mit dem Kultursenat rund um Joe Chialo (CDU) und dem seitdem rechtlich widerlegter Vorwurf von Antisemitismus
Die Auseinandersetzung begann schon im August 2023, als das Oyoun dem Kultursenat gegenüber sein Konzept vorstellte und dabei die Zusammenarbeit mit dem Israel-kritischen Verein „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ transparent machte. Da habe die Staatssekretärin Oyoun aufgefordert eine geplante Veranstaltung der „Jüdischen Stimme“ am 4. November abzusagen. Ursprünglich ging es um das 20-jährige Jubiläum des Vereins, was sie nach dem 7. Oktober zu einer Trauerfeier umorganisierten. Der Verein wird von der deutschen Regierung kritisiert, weil er sich gegen das repressive Vorgehen der israelischen Regierung ausspricht und einzelne Mitglieder die BDS-Kampagne unterstützen. Das Oyoun weigerte sich trotz Drängen des Kultursenats die jüdische Organisation aus den eigenen Räumen auszuschließen. „Ich habe ein Problem mit christlich-deutschen Politikern, die ihre Reichweite dafür nutzen, um jüdisch-israelischen Menschen Antisemitismus vorzuwerfen“, sagt Oyoun-Direktorin Louna Sbou im Gespräch mit SIEGESSÄULE.
„Ich habe ein Problem mit christlich-deutschen Politikern, die ihre Reichweite dafür nutzen, um jüdisch-israelischen Menschen Antisemitismus vorzuwerfen.“
„Es war eine wichtige Veranstaltung, bei der wir es nicht bereuen sie umgesetzt zu haben. Bei all den Demo-Verboten gegenüber jüdisch-israelischen oder palästinensischen Menschen, war es wichtig diesen Raum zu schaffen", so Sbou. Ein Raum, in dem man sich austauschen und trauern könne. Zwei Tage nach dem Event kam dann die Mitteilung: Der Kultursenat werde die Zuwendung für Oyoun prüfen. Allerdings konnte die Senatsverwaltung jegliche Antisemitismusvorwürfe im Haus auch nach intensiver juristischer Untersuchung nicht belegen. Daraufhin ruderte Chialo zurück und argumentierte, die Förderung solle zum Ende des Jahres sowieso auslaufen – ein klarer Vorwand, so Sbou. Es spreche viel dafür, dass die Förderzusage bis 2025 rechtlich-verbindlich sei, „unter anderem E-Mail-Verkehr, in dem der Senat uns bestätigt, dass wir die Arbeitsverträge bis Ende 2025 befristen können.“ Das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht haben dem Oyoun trotz Zugeständnissen allerdings im Gerichtsverfahren keine rechtliche Absicherung geben können. Oyoun legt nun mit einer Verfassungsbeschwerde nach.
Widerstand seit Beginn
„Seit der Gründung von Oyoun mussten wir resilient sein. Als QTI*BIPoC geleitetes Haus, das queer und migrantisch und dekolonial arbeitet, sind wir eine Zielscheibe“, erzählt Sbou. Rechte Übergriffe seien vor allem seit vorigen November und seit der Berichterstattung des Tagesspiegel rasant gestiegen, unter anderem aus der unmittelbaren Nachbarschaft.
Immerhin: Gegen die Tageszeitung hat Oyoun in zwei Fällen der Diffamierung im März und Mai vor dem Landgericht Berlin gewonnen. Oyoun klagte gegen verschiedene Äußerungen, die unter anderem im Februar in der Tageszeitung erschienen. Darin war die Rede von „antisemitischen Vorfällen“ im Kulturzentrum, die auf unbestätigten und seither widerlegten Anschuldigungen basierten. Auch behaupteten Tagesspiegel-Redakteur*innen, Oyoun sei aufgrund familiärer Beziehungen vom Kultursenat bevorzugt behandelt worden – was vom Gericht als Falschinformation beurteilt wurde. An anderer Stelle hieß es, Oyoun solle Kenntnisse über eine angebliche schwarze Liste propalästinensischer Kulturvereine haben. Dabei bezog sich der Tagesspiegel laut Oyouns Pressemitteilung auf einen englischsprachigen Artikel von Resident Advisor, in der eine anonyme Quelle behauptete, das Kulturzentrum befände sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ auch auf dieser Liste. Bisher konnte das nicht bestätigt werden. Nach der Entscheidung der Gerichtsverfahren hat der Tagesspiegel seine diffamierenden Behauptungen in Bezug auf Oyoun zu unterlassen.
Unter erschwerten Umständen läuft der Betrieb ohne Gelder indes weiter. „Bei der letzten Veranstaltung hat uns der vom Senat beauftragte Hausmeister das Wasser abgedreht“, erzählt Sbou. Die Solidarität, die Oyoun allerdings von allen Seiten erfahre, sei „überwältigend“. Einen offenen Brief mit der Überschrift „Oyoun bleibt“ hatten vergangenen November innerhalb einer Woche 14.000 Menschen aus aller Welt unterschrieben. Mit dabei waren Professor*innen, Nachbar*innen, Barista vom Hermannplatz und zahlreiche Kulturschaffende. Es sei divers aufgestellt gewesen, was wiederum zeige, dass die Solidarität nicht nur aus einer Klasse kam, sondern klassen- und generationsübergreifend stattfand, erzählt Sbou. Diese Community gebe in dunklen Zeiten Hoffnung.
„Intersektionalität ist unser Leitprinzip. Die Rolle, die wir einnehmen, bleibt.“
„Rassismus ist sehr präsent. Antisemitismus ist sehr präsent. Es sind Gefahren, denen wir als muslimisch, jüdisch, queer und migrantisch gelesene Menschen ausgesetzt sind“, betont die Oyoun-Direktorin. Es brauche Räume – wie das Oyoun – in denen sie sich sicher und empowert fühlen können. 2020 sei das Kulturzentrum gerade aufgrund des postkolonialen und antirassistischen Fokus vom Kultursenat gefördert worden. Damals sei es gewollt gewesen, Themen intersektional zu denken und zu fördern. Nur vier Jahre später sieht es auf einmal ganz anders aus. „Es wirkt wie ein Rückschritt“, verdeutlicht Sbou im Gespräch. Inmitten des derzeitigen politischen Klimas zeigt sich das Oyoun umso resilienter: „Intersektionalität ist unser Leitprinzip. Die Rolle, die wir einnehmen, bleibt.“
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