Bündnis „Bars of Berlin“

Queere Berliner Bars in der Krise

19. Mai 2020 Paula Balov
Roberto Manteufel, Betreiber der Bar Marietta und Termin- und Buchredakteur der SIEGESSÄULE

Die Gastronomie wurde von der Coronakrise hart getroffen. Gerade für Bars gibt es bislang kaum Perspektiven. Das bedeutet auch, das queere Kiezkultur und Szene-Strukturen massiv bedroht sind. Barbesitzer Roberto Manteufel (Marietta), Ulrich Simontowitz (Hafen) und Richard Stein (Möbel-Olfe, Südblock) haben deshalb die Initiative „Bars of Berlin“ ins Leben gerufen

Roberto, Ulrich und Richard: seit März sind die Bars aufgrund des Corona-Lockdowns geschlossen. Wie geht ihr mit der Situation um? (ab dem 2.06. können Bars in Berlin unter bestimmten Auflagen wieder öffnen, siehe Update unter dem Interview)

Richard: In der Möbel-Olfe nutzen wir die Zeit, um zu renovieren. Wir haben uns bisher hauptsächlich um die Basics gekümmert, damit die Mitarbeiter*innen, die jetzt in Kurzarbeit sind, trotzdem mit dem Geld zurecht kommen. Aktuell laufen Verhandlungen mit den Vermietern. Wir hoffen, dass sich dadurch eine Perspektive für uns ergibt. Selbst, wenn Bars wieder aufmachen dürfen, werden wegen der Personenbegrenzung und Abstandregelungen nicht mehr so viele Gäste kommen können. Dann ist die Frage: Wie können wir die Miete bezahlen oder die Mitarbeiter*innen, die dann nicht mehr in Kurzarbeit sein werden?

Roberto: Wir haben vorletztes Wochenende in der Marietta einen To-Go-Verkauf ausprobiert, vor der Tür einen Tisch mit einer kleinen Karte aufgestellt und Drinks im Plastikbecher angeboten. Wir haben eine große Stammkundschaft, die sich sehr gefreut hat, dass wir wieder da sind. Das, was wir da an Geld verdienen, ist aber nicht mehr als Schadensmilderung. Wenn wir weiterhin nur noch To-Go-Verkauf machen können, sind wir außerdem absolut wetterabhängig. Das unterstreicht das Ausgeliefertsein, das wir als Barbesitzer*innen gerade erleben.

Ulrich: Im Hafen haben wir auch einen Cocktail-To-Go-Verkauf gestartet, um wenigstens ein bisschen Umsatz zu generieren. Wir haben uns mit der Polizei und dem Ordnungsamt verständigt und dürfen den Verkauf unter Einhaltung der Hygienemaßahmen durchführen. Bei den Gästen kam das Angebot sehr gut an, die Stimmung war allerdings nicht so locker wie sonst. Mittelfristig fehlt uns Perspektive und die Situation ist ziemlich deprimierend.

Um die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise abzumildern, wurden am 6. Mai Lockerungen für die Gastronomie beschlossen. Können auch Bars davon profitieren?

Roberto: Nein, es gibt bislang keinerlei Perspektiven für Bars. Es kam von der Politik noch keine Ansage, wie lange Bars überhaupt geschlossen haben müssen. Bei den Lockerungen für die Gastronomie hier in Berlin sind reine Schankwirtschaften ausgenommen. Selbst wenn eine Öffnung in Aussicht wäre, gäbe es noch viele Fragen: Wie sollen wir in kleinen Räumen, bei Einhaltung der Hygienevorschriften, nur annähernd die Umsätze generieren, die wir früher hatten? Die Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent, die von der Bundesregierung ausgehandelt wurde, gilt nur für Speisen. Da wir keine Speisen anbieten, nützt uns diese Hilfe überhaupt nichts.

Ihr habt die Initiative „Bars of Berlin“ gestartet, um auf die Situation von Bars in der Coronakrise aufmerksam zu machen. Was hat euch dazu bewegt?

Richard: Als Barbetrieb haben wir keine Lobby. Der Dehoga, der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband, setzt sich vor allem für die Interessen von Restaurants und Hotels ein und auch in der Clubcomission sind Bars nicht mit aufgeführt. Deswegen ist dieser Zusammenschluss ein politisch sinnvoller Schritt.

Roberto: Ziel ist es, mit Bars of Berlin ein Sprachrohr für die Bar als Struktur zu entwickeln. Wir als queere Bars gehen voran, aber wir beschränken uns nicht nur auf die LGBTI*-Szene. Wir hoffen, dass möglichst viele andere Berliner Bars und Kneipen mitziehen, um die Politik auf unsere Situation aufmerksam zu machen. Wir müssen deutlich machen, dass man uns nicht totschweigen kann. Denn das ist genau das, was derzeit passiert.

Ulrich: Wir wollen mit den Bezirksstrukturen und dem Wirtschaftssenator ins Gespräch kommen und auf Senatsebene Gehör finden. Uns geht es nicht nur um die Existenz jeder einzelnen kleinen Bar, sondern um den Erhalt der queeren Strukturen, der Kiezkultur und um alles, was damit zusammenhängt. Berlin lebt vom Nachtleben. Das liberale Nachtleben wurde hart erkämpft. Berlin schmückt sich gern mit der queeren Szene und inszeniert sich als Regenbogenhauptstadt, doch das reicht nicht aus. Jetzt muss die Berliner Politik zeigen, dass sie hinter den LGBTI*-Strukturen steht und dazu bereit ist, sie zu unterstützen, damit zumindest die Finanzierung der Mieten abgesichert ist.

„Mir ist wichtig, dass wir nicht verzweifeln.”

Was sind eure Forderungen an die Politik?

Roberto: Das ist alles noch nicht spruchreif. Vorstellbar wäre zum Beispiel ebenso eine Absenkung der Mehrwertsteuer für Getränke von 19 auf sieben Prozent bis Juni 2021. Auch eine gesetzliche Verpflichtung für Vermieter die Gewerbemieten wegen der enormen Umsatzeinbußen durch die Coronakrise anzupassen, wäre ein guter Ansatz.

Was bedeutet die Situation für die Berliner LGBTI*-Szene?

Richard: Es ist ein riesiges Problem. Orte wie der Südblock, das Aquarium oder die Möbel-Olfe sprechen verschiedene Teile der queeren Szene und diverse Gruppen von Menschen an. Diese Orte können für längere Zeit nicht für Veranstaltungen, Diskussionen oder politische Arbeit genutzt werden. Für die Weiterentwicklung einer queeren Bewegung sind Begegnungsorte wie diese essentiell.

Ulrich: Events wie das Straßenfest oder der CSD finanzieren sich zum großen Teil aus der queeren Szene. Wenn sich Wirte keinen Stand mehr beim Straßenfest leisten können, leidet die ganze Community darunter. Wir vom Hafen unterstützen auch schwule Sportvereine und queere Kulturprojekte. Wenn wir wegfallen, wird es auch für diesen Teil der Szene schwierig. Alles hängt zusammen, wir sind nur die Spitze des Eisbergs.

Und euer Ausblick für die Zukunft?

Roberto: Die Umsätze, die wir noch im Februar machen konnten, sind passé. Das wird sich in absehbarer Zeit, bestimmt innerhalb der nächsten zwei Jahre, nicht mehr ändern. Die Frage ist, wie wir trotzdem kostendeckend arbeiten können. Irgendwann wird die Coronakrise vorbei sein und entweder gibt es dann noch Bars und eine queere Struktur oder nicht mehr. Das ist die große Frage, und es kommt darauf an diese zu beantworten – nicht nur von uns allein, sondern von der Politik.

Ulrich: Mir ist wichtig, dass wir nicht verzweifeln, sondern die Kampferfahrung, die wir als Community gesammelt haben, nutzen. Wir haben als queere Bars den ersten Schritt gemacht, weil wir als queere Menschen daran gewöhnt sind, immer wieder um Anerkennung zu kämpfen. Darin können wir etwas positives sehen. Gemeinsam können wir dafür einstehen, dass unser Berlin, mit all seiner Freiheit und Liberalität, erhalten bleibt.

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Update 9. Juni 2020

Seit dem 2. Juni dürfen Bars in Berlin wieder öffnen – allerdings unter bestimmten Auflagen. So dürfen u. a. Gäste nur am Tisch Getränke und Speisen zu sich nehmen. Sobald sie diesen verlassen, muss in der Location ein Mund-Nasenschutz getragen werden. Zudem gab es bisher nur begrenzte Öffnungszeiten von 6:00 bis 23:00 Uhr! Ab Mittwoch, den 10.06., dürfen Bars und Restaurants allerdings wieder länger geöffnet haben. Das hatte der Berliner Senat heute beschlossen.

Update 27.05.2020! Das Bündnis „Bars of Berlin“ hat heute einen Aufruf zu einem Runden Tisch „Gastfreundschaft und Vielfalt“ veröffentlicht. Gemeinsam mit dem Senat soll ein Konzept erarbeitet werden, wie die laufenden Betriebskosten der Bars in der Coronakrise aufgefangen werden können. Das Bündnis schlägt hierfür eine Reihe von Maßnahmen vor: u. a. einen Fonds auf Landes- oder Bundesebene oder eine Deckelung der Gewerbemieten.

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