Queeres Kino

Radikal und poetisch: 80 Jahre Derek Jarman

31. Jan. 2022 Axel Schock
Bild: Salzgeber
Derek Jarman

Am 31. Januar wäre der britische Filmemacher, Autor und Maler Derek Jarman 80 Jahre alt geworden. Seine wichtigsten Filme sind nun als Video on Demand, auf DVD und bei MonGay (wieder) zu entdecken

Einfach nur blau. Die Leinwand ein Abgrund aus kaltem Kobaltblau. Mehr gibt es für unser Auge nicht, mehr schaffte das Auge von Derek Jarman nicht mehr. Der erste Film ist für einen Regisseur stets ein Kraftakt. Aber wie schwer muss es sein, dem Tode nah, wissentlich den letzten zu drehen? Derek Jarman, infolge seiner Aidserkrankung weitgehend erblindet, konfrontiert kurzerhand die Zuschauerschaft mit dem Verlust seiner Sehkraft. Für 76 Minuten nur diese aggressive, monochrome blaue Farbfläche – und dazu Geräusche, Musikfetzen, Glockenklang und Stimmen. „Blue“, das finale Werk des 1994 verstorbenen Malers, Filmemachers und Autors ist eine Meditation über die Endlichkeit, eine poetische Collage aus Momentaufnahmen aus dem Krankenhausalltag, Erinnerungen an Freunde und Geliebte und an die Kindheit. „Blue“ ist in seiner Art und Weise radikal, aber als Abschluss von Derek Jarmans Schaffen nur konsequent.

Denn seine Filme waren allesamt radikal, poetisch, politisch herausfordernd und mit einfachen Mitteln oft visuell beeindruckender und auf jeden Fall originärer als so manche Big-Budget-Produktion. Für Jarman war es deshalb auch kein Problem, mit überschaubarem Etat historische Stoffe auf die Leinwand zu bringen. Statt an Originalschauplätzen wurde dann eben im karg und theaterhaft ausgestatteten Studio gedreht. Für seine Herangehensweise, Biografien und Geschichte – oder im Fall von „Caravaggio“ (1986) Gemälde – mit einem anderen, vor allem aber schwulen Blick zu betrachten, war dieses Konzept wie geschaffen.

Bild: Salzgeber
„Caravaggio“ (1986) bei MonGay, 31.01., 22:00, Kino International

Jarman erzählt den Aufstieg und Fall des Frühbarockmalers Caravaggio und dessen Ménage-à-trois mit dem schönen Dieb Ranuccio und der Prostituierten Lena anhand der Gemälde, für die die beiden Modell stehen. Allein schon wie Jarman mit seinen Darsteller*innen diesen Entstehungsprozess nachstellt, verändert den Blick auf diese Kunstwerke. Und zwar so nachhaltig, dass der Film inzwischen bei Kunstwissenschaftler*innen verhasst ist, weil die Homosexualität in Caravaggios Leben und Werk seitdem nicht mehr übersehen und verschwiegen werden kann.

Nicht minder radikal, nämlich mit geradezu pornografischer Eindeutigkeit, hatte Jarman 1976 die Legende des heiligen Sebastian in einen homoerotischen Kontext gebettet. Doch ihm ging es nicht darum, zu provozieren. Jarmans Agenda war eine ganz andere: die homosexuelle Identität dieser Persönlichkeiten fest und unmissverständlich im Bewusstsein zu verankern.

In „Wittgenstein“ von 1993 (gerade in restaurierter Fassung auf DVD erschienen) gelingt es Jarman mit minimalsten Mitteln, die Biografie des österreichischen Philosophen anzudeuten und zugleich in dessen Gedanken- und Gefühlswelt hineinzuführen. Aus dem Schwarz der leeren Bühne brennen sich die Farben der wenigen Requisiten und der opulenten Kostüme umso tiefer ein: Tilda Swinton etwa als Lady Morrell in einem mondänen kanariengelben Kleid samt Boa und ausladendem Federhut.

Bild: Salzgeber
„Sebastiane" (1976)

In „The Angelic Conversation“ (1985) wiederum ging es Jarman darum, ein und für alle Mal die Diskussion zu beenden, wem William Shakespeares Liebessonette wohl zugedacht waren. Er hat zu seiner Textauswahl assoziative Bilder collagiert, die die homoerotischen Aspekte der Verse verstärken und die Geschichte einer schwulen Liebe erzählen. Dieser Film war für Jarman ein dezidiert künstlerisches Projekt. Er reduzierte und verfremdete die Farben seiner Bilder, arbeitete mit Zeitlupe und Einzelbildtechnik und reihte sich damit ein in die Avantgarde des schwulen Experimentalfilms von Jean Cocteau über Sergei Eisenstein bis Kenneth Anger.

Vor allem aber blieb Jarman als Filmregisseur stets auch bildender Künstler. Und das nicht allein wegen der enormen Ausdruckskraft seiner Bilder. Die Tableaux vivants, die er in „Caravaggio“ und in „Edward II.“ (1991), seinem Drama über den männerliebenden englischen König, zur Meisterschaft führte, wurden so etwas wie sein Markenzeichen. Nur die Taktzahl, sicherlich befeuert durch seine Arbeit an Musikvideos etwa für die Pet Shop Boys, The Smiths und Suede, erhöhte sich stetig: Aus den lebenden Bildern wurde ein schnell geschnittener Bilderrausch. Was Jarman etwa in „The Garden“, der auf seinem Anwesen im englischen Dungeness gedrehten schwulen Passionsgeschichte, an kühnen, betörenden wie irritierenden Motiven zelebriert, dürfte andere Filmschaffende in Neid oder wahlweise Demut verfallen lassen. Noch deutlicher lässt sich der Einfluss der Videoclips in Jarmans filmischer Umsetzung von Benjamin Brittens „War Requiem“ erkennen. Gespielte Szenen sind mit historischen Aufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg zur Musik montiert. Das macht den Film zum wahrscheinlich ersten Musikvideo für eine klassische Komposition.

Auf den eigenen nahenden Tod, den die Aids-Diagnose für ihn bedeutete, reagierte Jarman mit einer nicht nachlassenden Produktivität und wachsendem Kampfgeist – gegen die körperlichen Folgen der Krankheit und die homosexuellenfeindliche Agenda von Politik und Gesellschaft im Zuge der Aids-Krise. Seinem Sterben begegnete er dabei erstaunlich ruhig und geerdet. „Unser Leben wird wie Wolkenfetzen vorüberziehen“, lautet einer der letzten Sätze in „Blue“. „Unser Name wird mit der Zeit vergessen sein.“ Doch an diesem Punkt irrte Jarman. Mit und in seinen Filmen lebt er weiter.

Bild: Salzgeber
„Edward II.“ (1991)

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