Sex-Tech Innovation: Wenn Machtverhältnisse reproduziert werden

Von Toys und Sexrobotern bis zu KI-Porn und Chatbots: Sex-Tech gehört zum Alltag im digitalen Zeitalter und verändert, wie Menschen Erotik verstehen und erleben. Doch nicht alles ist harmloser Spaß: Vermeintlich innovative Technologien verstärken überholte Normen und setzen vor allem Sexarbeiter*innen unter Druck
Die Debatte um Sexroboter, KI-generierte Pornos oder Chatbots für Sexting ist ambivalent: Auf der einen Seite, so die Optimist*innen, eröffnen technologische Entwicklungen neue Wege, Sexualität zu denken, intime Fantasien geschützt auszuleben und, laut einigen Fans, sogar die weltweite „Einsamkeitsepidemie“ zu kurieren. Auf der anderen Seite bezweifeln Skeptiker*innen genau das: So gut Sexbots und KI-Technologien den mechanischen Teil von Sex (oder gar Liebe) imitieren mögen – sie können das unperfekte Momentum wechselseitiger Anziehung nicht ersetzen.
Fantasie ersetzt durch KI
Schon seit Jahrzehnten werden Aspekte sexueller und romantischer Interaktion schrittweise ins technologische Milieu verlagert. Die rein funktionalen, dem Ziel dienlichen Aspekte von Sex werden immer effizienter gestaltet und optimiert: Cruising per Blickkontakt wird ersetzt durch Swipen und langwieriges Vorspiel durch schnelles Filtern nach Tags, Kinks und Bodytypes. Sex-Tech geht den logischen nächsten Schritt: Chatbots, die genau das sagen, was man hören will; Fantasie ersetzt durch KI.
Aber vielleicht ist es weniger die Sexualisierung von Technik, die Sex-Tech problematisch macht, sondern dass Sexualität zunehmend von einer technischen Logik beeinflusst wird – nicht zuletzt vorangetrieben von profitorientierten, oft cis-heterosexuell geführten digitalen Plattformen und (Sex-) Tech-Start-ups. Die Forscherin Dr. Kerry McInerney von der University of Cambridge erklärt im Interview mit der Deutschen Welle: KI und Sexroboter entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern werden aktiv trainiert, entlang konkreter Schönheits- und Verhaltensnormen.
Es ist unwahrscheinlich, dass das Netz bald mit KI-generierten emanzipatorischen lesbischen SM-Pornos oder empowernder Repräsentation von dicken, behinderten oder trans* Körpern geflutet wird. Wahrscheinlicher ist, dass genau die normativen Darstellungen, gegen die viele Communitys seit Jahrzehnten kämpfen, weiter reproduziert werden.
Entmenschlichung von Sexarbeit
Die Art, wie KI Begehren zu homogenisieren droht, beeinflusst nicht nur das private Sexleben, sondern auch die Sexarbeit. „Je klischeebeladener die Bilder, Stockfotos und Daten über die eigentlich superdiversen Sexarbeiter*innen sind, desto mehr wird KI dieses Klischee verbreiten. Die Stereotypisierung und künstliche Homogenität wird sich potenzieren, weil KI auf vorhandene Datensätze zurückgreift, die jegliche Vielfalt vermissen lassen.“ Das schreibt Ruby Rebelde im kürzlich erschienenen Buch „Warum sie uns hassen: Sexarbeitsfeindlichkeit“. Im SIEGESSÄULE-Gespräch räumt Rebelde ein, dass Dienste wie OnlyFans durchaus emanzipatorische Aspekte hätten, da sie digitale Intimität ermöglichen. Rebelde ist Sexarbeiter*in, Autor*in, im Vorstand von Hydra e.V. und Beirät*in im Bufas e.V.

„Je klischeebeladener die Bilder, Stockfotos und Daten über die eigentlich superdiversen Sexarbeiter*innen sind, desto mehr wird KI dieses Klischee verbreiten.“
Es ist nicht allein die Nutzung technischer Mittel oder Plattformen in der Branche, die demonstriert, inwiefern Sexarbeit technologisiert wird. Im Buch „Testo Junkie“ beschreibt der spanische trans* Philosoph Paul B. Preciado, dass sich dieser Prozess der Entmenschlichung noch perfider darin zeigt, wie Sexarbeiter*innen durch technologische Entwicklungen zu „sexuellen Biomaschinen“ ohne politische Mitbestimmung, anerkannte Gewerkschaften oder angemessenen Versicherungsschutz gemacht würden.
Diese Einschätzung bestätigt auch Rebelde. Egal, welche Möglichkeiten eine neue digitale Plattform verspreche, die Repression ließe nie lange auf sich warten: Ob durch Gesetze oder Interessen privater Anbieter – Sexarbeitende würden immer zu denjenigen gehören, die zuerst betroffen sind. Viele können es sich nicht leisten, Plattformen wie X zu verlassen, auch wenn ihre Accounts dort regelmäßig gesperrt werden. Neben klassischen Fällen von Zensur – die zum Teil über KI-Technologien automatisiert wird, dokumentiert zum Beispiel die European Sex Workers‘ Rights Alliance (ESWA) auch Hatespeech und zahlreiche Datenschutzverletzungen.
Digitale Gewalt gegen Sexarbeitende
Katja von Slvt Riot (ehemals Berliner Stripper Collective) betont gegenüber SIEGESSÄULE: Unter dem Vorwand des Kampfs gegen Menschenhandel werden Gesetze erlassen, die (online) Zensur fördern und die prekäre Lage von Sexarbeitenden verschärfen.
Unter dem Vorwand des Kampfs gegen Menschenhandel werden Gesetze erlassen, die (online) Zensur fördern und die prekäre Lage von Sexarbeitenden verschärfen.
Diese bleiben gegen Plattform-Monopole und Populismus weitgehend machtlos. Auch Darius Rex, Bodyworker, „Pleasure Aktivist“ und Teil des Netzwerks trans*sexworks, beklagt die Zensur von Sexarbeit online – sie fördere Stigmatisierung und Ausbeutung, besonders von trans* Sexarbeitenden. Er erzählt von Cyber-Mobbing und Betrug durch Bezahlsysteme. All das setze Sexarbeitende viel digitaler Gewalt aus. Er wünscht sich vor allem Respekt und Solidarität.
Insgesamt scheint es, dass Sex-Tech Innovation verspricht, aber oft Machtverhältnisse reproduziert. Statt als echte Vielfalt, erleben viele marginalisierte Gruppen technologische Entwicklungen als Mittel zur Ausgrenzung und Kontrolle. Die Frage ist nicht, wie smart KI im Bett werden kann, sondern wie menschlich wir im Umgang miteinander bleiben. Sex-Roboter brauchen unsere Solidarität nicht, unsere Mitmenschen – und vor allem die Sexwork-Community – schon.
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