Sportjournalistin Lena Cassel: „Fußball verhalf mir zu meiner Homosexualität“

„Zu bunt, zu laut“, damit wurde die junge Fußballerin Lena Cassel bei den TV-Sendern abgetan. Dennoch startete sie als Sportjournalistin, Moderatorin und Podcasterin durch. Mit nur 30 Jahren schrieb sie pünktlich zur Europameisterschaft ihre Biografie. Manuela Kay traf Cassel in einem Neuköllner Café zum Gespräch über ihr Leben als öffentliche Person und natürlich über Fußball
Eine Autobiografie mit 30 Jahren ist ja ganz schön gewagt … Es war überhaupt nicht meine Idee, sondern der Verlag kam auf mich zu und meinte: „Wir haben ja in zweieinhalb Jahren diese Europameisterschaft der Frauen, wir wollen irgendwas mit Fußball und Frauen machen. Du bist doch eine Frau und du hast ja auch Fußball gespielt.“ Da habe ich erst mal abgesagt, weil ich das zeitlich auf gar keinen Fall geschafft hätte. Dann meinten sie: „Nimm doch eine Ghostwriterin.“ Ich fand, es ist total vermessen, schon mit 30 Jahren eine Biografie und die dann auch noch nicht mal selber zu schreiben. So frech wollte ich nicht sein. Doch dann habe ich gesagt, okay, ich würde es selber schreiben, brauche aber ganz viel Zeit. Und die haben sie mir dann gegeben.
Dein Buch ist seit Kurzem draußen, wie sind die Reaktionen? Die Resonanzen bisher waren wirklich sehr, sehr schön. Das tangiert noch mal was anderes in mir, als wenn ich positive Resonanz bekomme, weil ich in irgendeiner Talkshow was Schlaues gesagt habe. Da ist sehr viel Persönlichkeit von mir drin. Das war natürlich auch ein Risiko, ich hatte Angst davor, dass das die Leute gar nicht interessiert, weil es halt um mich geht und nicht um eine Leistung, die ich erbracht habe.
Du bekommst als Moderatorin und öffentliche Person viel Frauen- und Lesbenhass ab – eine junge Lesbe, die sich erlaubt, Dinge über Fußball zu erklären, das ist für viele etablierte Männer ja eine Kampfansage – wie gehst du mit Aggression gegen dich um? Ich habe das Gefühl, ich bekomme das weniger ab als andere. Die Kommentare sind zu 80 Prozent positiv. Aber die 20 Prozent, die negativ sind, die kriegen die Männer auch. Also in der gleichen Häufigkeit. Aber die Art und Weise der Kommentare gegen mich, die sind dann sexistisch und homophob.
Wie verarbeitest du das? Wie gesagt, 80 Prozent der Menschen, die mich in irgendeiner Form wahrgenommen haben, finden das toll, und darauf versuche ich mich zu konzentrieren. Aber wenn es sehr unter die Gürtellinie geht, antworte ich auch auf ausgewählte Kommentare und gehe auch in den Diskurs. Und wenn ich keine Antwort mehr bekomme, weiß ich: Der Punkt ging an mich.
„90 Prozent in meiner Mannschaft waren lesbisch, das war ganz normal.“
Thema Homosexualität im Fußball – du schreibst sehr offen über deinen Werdegang und auch, dass Lesbischsein im Fußball viel weniger problematisch ist als Schwulsein. Ist das wirklich so? Wenn auch mittlerweile etliche Fußballerinnen out sind, so wird sich doch bemüht sehr stromlinienförmig zu sein – mal abgesehen von dir … Findest du nicht, der Preis für diese Offenheit ist totales Angepasstsein – ich sage nur, die Standard-Pferdeschwanz-Frisur … Ich war ja im semi-professionellen Rahmen, nicht Bundesliga, sondern Regionalliga. Da habe ich erlebt, dass der Fußball mir zu meiner Homosexualität verholfen hat. Ich habe das als einen Safe Space erlebt, erst recht auf dem Dorf, wo ich wirklich keine andere lesbische Person kannte. Da waren der Fußball und die Kabine und meine Damenmannschaft schon ein Weg für mich, das als etwas Normales zu sehen. 90 Prozent in meiner Mannschaft waren lesbisch, das war ganz normal. Da gab es auch eine Vielfalt im Lesbischsein: Frauen mit Pferdeschwanz, mit kurzen Haaren – die ganze Bandbreite von lesbischem Leben. Ich gebe dir aber recht, dass die öffentliche Repräsentation der lesbischen Profifußballerinnen schon sehr konform ist. Und sie machen das auch nie richtig zum Thema, außer sie heiraten oder es wird mal das Kind mitgenommen. Aber so richtig thematisiert wird das in Deutschland nicht, was ich eine vertane Chance finde. In anderen Ländern ist es anders.
Du lebst ja nun schon einige Zeit in Berlin, hier ist frauenfußballmäßig einiges los, denken wir an den Aufstieg der Union-Frauen in die 1. Bundesliga oder auch an die von Lesben sehr unterstützten Frauen von Viktoria Berlin. Hast du vielleicht zu früh aufgehört mit dem aktiven Fußball? Hey, ich würde ja so gerne noch spielen, aber ich habe so eine irrationale Angst, mich zu verletzen. Das ist so dumm, weil man kann sich ja überall verletzen. Du gehst mit dem Hund raus und dann knickst du um. Aber ich habe einfach extrem Angst davor, dass ich dann nicht mehr arbeiten kann, nicht mehr mobil bin. Ich denke in letzter Zeit oft daran, dass ich echt noch mal Bock hätte zu kicken. Und ich muss sagen, es ist ein riesiger Unterschied zwischen Berlin und Köln. Als ich in Berlin ankam, habe ich für Türkiyemspor gespielt und war echt überrascht, wie anerkannt und eingebettet der Fußball der Frauen hier in dieser Stadt ist. In Köln, wo der Männerfußball gerade im Westen ja sehr präsent ist, war der Fußball der Frauen total unterrepräsentiert. Und dass es mit Viktoria, Union und Hertha BSC sehr viele Frauenfußballvereine innerhalb einer Stadt gibt, das ist, glaube ich, einmalig in Deutschland.
„Als ich in Berlin ankam, habe ich für Türkiyemspor gespielt und war echt überrascht, wie anerkannt und eingebettet der Fußball der Frauen hier in dieser Stadt ist.“
Wie siehst du der EM entgegen? Wo und wie kann man dich dabei als Moderatorin erleben? Also, ich moderiere während der EM nicht im Fernsehen, sondern ich habe meinen täglichen Fußballpodcast. Andere Fußballpodcasts machen ja immer Pause, weil „es sind ja nur Frauen“. Wir senden immer durch und unsere Zuhörerschaft bleibt gleich. Fußball besteht ja auch durch die Nebengeschichten und Persönlichkeiten, da musst du viel mehr erzählen, und das machen wir in diesem Podcast. Ich werde aber auch vor Ort in der Schweiz sein und mir Spiele der deutschen Nationalmannschaft anschauen. Ich glaube, was da passiert, das ist eine absolute Blackbox – vom Vorrundenaus bis zum Finale ist alles drin. Wir hatten ja sehr viel Wandel, viele Führungsspielerinnen, die weggebrochen sind, einen neuer Trainer … Nach dem frühen Ausscheiden während der Weltmeisterschaft im letzten Jahr bin ich so ein bisschen pessimistisch.
Hast du eine Lieblingsspielerin innerhalb der EM oder einen Tipp, auf wen man achten sollte? Ich mag Lucy Bronze (engl. Nationalspielerin, A. d. Red.) gern. Und Laura Freigang (dt. Nationalspielerin, A. d. Red.) finde ich sehr, sehr gut, weil sie dieses Bild, was du vorhin beschrieben hast, dieses sehr Stromlinienförmige in der Frauennationalmannschaft, ein wenig aufbricht. Deshalb ist sie auch auf meinem Buch hinten drauf, weil ich sie schon very cool finde ... Ich glaube, dass die 13-jährige Lena, die eine Laura Freigang gehabt hätte, sich sehr gefreut hätte.
Und wer wird Europameisterin? Ich glaube, es werden die Engländerinnen wieder. Die haben auch im nationalen Bereich viel mehr Konkurrenzkampf als die Deutschen in der Bundesliga. Und die Stadien sind auch ausverkauft dort und sie haben Woche für Woche richtig harten Fußball.
Lena Cassel: „Aufstiegskampf: Vom Seitenrand in die Primetime“
Tropen, 218 Seiten, 18 Euro
Lesung im Rahmen der Ausstellung „She Can Kick It!“
22.07., 19:00, F3

Podcasts mit Lena Cassel:
„MML Daily“ und
„Playing Dirty“
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