Kommentar

Verboten zum Trotz – Budapests größter CSD

30. Juni 2025 Muri Darida
Bild: picture alliance/dpa/MAXPPP | Nicolas Liponne
Mehr als 200.000 Menschen nahmen am 28. Juni an der Budapest Pride teil

Die Budapester Pride sollte verboten werden – und wurde die größte, die es je in der ungarischen Hauptstadt gab. SIEGESSÄULE-Autor Muri Darida war am Samstag vor Ort und kommentiert den bemerkenswerten CSD-Erfolg

Auf Ungarisch gibt es den Ausdruck: Visszanyalt a fagyi, also: Das Eis hat zurückgeleckt. Oder auch: Das ging nach hinten los. Obwohl – oder gerade weil – sie verboten werden sollte, war die 30. Budapest Pride nicht nur die größte Pride, die es in Budapest gab. Sie war auch eine der größten Demonstrationen der ungarischen Geschichte. Dabei sollte sie mit allen Mitteln unmöglich gemacht werden: Bereits im März sprach Ministerpräsident Viktor Orbán (im Volksmund auch „Viktator”) von „Wanzen und Ungeziefer”, die eliminiert werden sollten. Damit bezog er sich auf unabhängige Medien, Menschenrechtsaktivist*innen und NGOs.

An die Pride-Organisator*innen wendete sich Orbán folgendermaßen: Sie sollten sich gar nicht erst die Mühe machen, die Demo zu organisieren. Kurz darauf legte die Regierung um die Regierungspartei Fidesz ein Gesetz vor, das die Pride komplett verbot. Die Begründung? Wie gewohnt der „Kinderschutz”. Alle, die an den Protesten teilnahmen, liefen Gefahr, mit einer Gesichtserkennungstechnologie identifiziert und mit umgerechnet etwa 500 Euro für den Gesetzesverstoß bestraft zu werden. Zum Vergleich: Die Summe entspricht dem Monatsgehalt vieler Ungar*innen, während die Preise im Supermarkt dank der Inflation deutlich über denen in Deutschland liegen.

Trotzdem oder gerade deswegen sind bis zu 200.000 Menschen auf die Straße gegangen. Darunter Rentner*innen, Familien mit Kindern, Verbündete aus anderen Ländern, NGOs und Oppositionsparteien. Daran, dass Pride ein Protest ist, musste dieses Jahr sicherlich niemand erinnert werden.

Bild: Banned pride CC BY 4.0 Quelle
„Free Hungary“ – Demonstrierende beim CSD in Budapest

Neben den Organisator*innen hat vermutlich der grüne Oberbürgermeister der Stadt, Gergely Karácsony, eine der Hauptrollen in der Verteidigung der Pride. In dem Moment, in dem die Regierung die Demo verbieten wollte, sagte Karácsony: Die Pride findet statt. Um das Verbot zu umgehen, hat er die Pride kurzerhand unter dem Namen „Budapester Marsch des Stolzes” (das klingt auf Ungarisch nicht völkisch, sondern nach der wörtlichen Übersetzung aus dem Englischen Budapest Pride March) als städtische Veranstaltung angemeldet. Davon, dass die Polizei den Umzug erneut verboten hat, ließ er sich nicht stören. „Liebe kann nicht verboten werden, und niemand darf in Ungarn Bürger*in zweiter Klasse sein”, so Karácsony. „Deshalb hat sich die Stadtverwaltung von Budapest dazu verpflichtet, die Budapester Pride-Parade zu organisieren.”

Zwar haben Anhänger*innen der rechtsradikalen Partei Mi Hazánk („Unsere Heimat“) versucht, die Pride zu stören, indem sie die Freiheitsbrücke blockierten. Der Demozog ist kurzerhand über eine der weiteren Brücken umgeleitet worden. Dort haben sich wieder um die dreißig Rechtsradikale und fundamentalistische Christ*innen versammelt, sich dann allerdings recht schnell wieder verzogen.

Dass die Pride so freudvoll, so friedlich und so, man kann es nicht nicht anders nennen, siegreich verlaufen würde, war vorher absolut nicht klar.

Anders als bei den Protesten im Frühjahr gegen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit, die das Pride-Verbot letztendlich bedeutet, hat sich die Polizei zurückhaltend verhalten und weitestgehend auf Festnahmen verzichtet. Dass die Pride so freudvoll, so friedlich und so, man kann es nicht nicht anders nennen, siegreich verlaufen würde, war vorher absolut nicht klar. Viele Menschen haben sich entschlossen, nicht auf die Straße zu gehen. Aus Angst vor finanziellen Schäden, Jobverlust oder den juristischen Folgen. Auch deshalb war die Demo ausgesprochen weiß. Vor allem Rom*nja, Geflüchtete und Migrant*innen werden in Ungarn kriminalisiert und, wenn sie keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, radikal abgeschoben. BIPoC Queers hätten also nur unter existenziellem Risiko an der Pride teilnehmen können.

„Orbán hat in die Luft gespuckt und sich drunter gestellt.”

Die Antwort der Regierung mutet ein wenig verzweifelt an. Die Staatspresse reagierte mit der üblichen Propaganda: Männer hätten vor Kindern masturbiert und es seien Flyer verteilt worden, die Hormontherapien und Sterilisationen propagierten. Außerdem sei die ganze Aktion von Anfang an Orbáns Masterplan gewesen. Er habe von Anfang an gewollt, dass die Pride genau so stattfände, damit die „schweigende Mehrheit” sehen würde, wie sich die Opposition „besudelt” und dann bei den nächsten Wahlen wüsste, für wen sie stimmen sollten. Na gut. Eine alternative Erklärung liefert das oppositionelle Medium Telex mit der Headline: „Orbán hat in die Luft gespuckt und sich drunter gestellt.”

Im Hinblick auf die Wahlen im Frühjahr bleibt zwar unklar, was die Zukunft bringt. Aber jetzt hat erst mal das Eis zurückgeleckt und die ungarische Bevölkerung bewiesen, dass sehr, sehr viele von ihnen keinen Bedarf an einem Möchtegern-Putin im Parlament haben.

Folge uns auf Instagram

#Budapest#CSD-Verbot#Europa#Kommentar#LGBTIQ* in Ungarn#Südosteuropa#Ungarn#Viktor Orbán

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.