Interview

Wieland Speck über Sex im Alter: „Weniger Schnellschüsse“

15. Nov. 2021 Florian Bade

Das Pornfilmfestival ging im Oktober diesen Jahres mit dem neuen „Sex and Age Film Award“ an den Start, um das Begehren älterer Menschen in den Fokus zu rücken. In der Jury saß unter anderem Wieland Speck, ehemaliger Panorama-Chef der Berlinale, Mitbegründer des Teddy Award und Regisseur. SIEGESSÄULE sprach mit dem 70-Jährigen über schwule Sexualität im Alter

Wieland, beim diesjährigen Pornfilmfestival warst du neben Kolleg*innen wie Jackie Baier in der Jury für die neue Preiskategorie „Sex and Age“. Wie findest du diesen Paradigmen- und Perspektivwechsel? Mich hat gewundert, dass diese Kategorie neu ist. Allerdings stammt die Grundidee des Festivals aus den 70er-/80er-Jahren, und die tollen Leute, denen so etwas Verrücktes wie ein Pornfilmfestival eingefallen ist, haben langsam auch einige Jahre auf dem Buckel. Diese Frage nach Sex im Alter stellen sich viele natürlich erst, wenn sie selbst älter werden. Ich habe auch Menschen kennengelernt, die bereits in jungen Jahren Sex mit Leuten hatten, die deutlich älter als sie selbst waren. Sie fanden das aus bestimmten Gründen attraktiv, die für mich erst einmal zu lernen waren, weil ich das nicht nachvollziehen konnte.

Mit welchem Blick schaust du auf die nominierten Filme? Ich habe schon auf der Berlinale über die Jahrzehnte einige Filme gezeigt, die mit dem Thema zu tun haben. Allerdings gibt es nicht viele und vor allem wenige, die wirklich radikal sind. Einer der radikalsten Filme zum Thema war „Nitrate Kisses“ der Regisseurin Barbara Hammer, der auch einen Teddy Award gewonnen hat. Er zeigte alte Frauen beim Sex. Genderübergreifend ist das etwas, was man selten zu sehen bekommt. Ein Film versucht ja in der Regel, dich reinzuziehen, und wenn du einen alten Körper siehst, dann ist das etwas, was viele Leute aus ästhetischen Gründen nicht sehen wollen. Die Frage ist dann, wie ein Film mit solch einer Voraussetzung umgeht. Das interessiert mich sofort. Interessieren würde mich auch die Darstellung von Sex zwischen vertrauten Menschen im Alter. Diese Erfahrungen habe ich selbst nicht.

„Manche haben erst mit 50plus begonnen, ihre schwule Sexualität auszuleben“

Wie hat sich Sexualität für dich im Laufe der Zeit verändert? Für mich ist Sexualität – wie für die meisten Menschen – ein enorm zentraler Punkt in meinem bisherigen Leben gewesen. Aber die Betonung liegt auf gewesen. Im Moment ist das nicht mehr so. Wenn ich mit jemandem rede, der mitten in diesem Testosteron-Drang ist, merke ich, dass ich ihm kaum vermitteln kann, wie das ist, wenn dieser Drang in dieser Form nicht mehr besteht. Eigentlich empfinde ich diese Situation als angenehm. Wenn du das aber deinem Hausarzt erzählst, dann schlägt er dir vermutlich vor, Testosteron zu nehmen. Da es natürlich nicht sein darf, dass dir deine Libido unwichtiger geworden ist. Aber ich will keine Hormone nehmen. Ich will ja wissen, wie sich Sexualität, Anziehung und Drang in dem Alter anfühlen, das ich aktuell habe. Ich war jung ein gut aussehender Typ und es waren viele Ältere hinter mir her. Das war mir nicht angenehm und persönlich würde ich in dieser Rolle umgekehrt nicht landen wollen. Auch deswegen hat Sexualität für mich heute nicht mehr diesen Stellenwert. Manche haben allerdings erst mit 50plus begonnen, ihre schwule Sexualität auszuleben. Das ist natürlich toll und ich freue mich für sie. Sexuell zieht mich daran aber nichts an. Aber wie gesagt, ich bedauere den schwächeren Sexdrang nicht. Außerdem hat man viel mehr Zeit, produziert weniger Schnellschüsse in Bezug auf die eigenen Entscheidungen über andere Menschen ... oder eigentlich in Bezug auf fast alles! Es ist schon enorm, wie die Sexualität einen in der Hand hat.

Das heißt, sie hat dich jetzt nicht mehr in der Hand? Die letzten Male, die ich Sex mit jemandem hatte, liegen schon eine Weile zurück. Ich war da schon gefühlsmäßig nicht mehr so dabei. Ich habe natürlich versucht, das mit mehr Bewusstsein zu machen, auch Rollenspiele und Toys probiert. Aber ich bin ziemlich fetischfrei, so blieb es bei Versuchen.

„Frauen* scheinen im Gegensatz zu Männern* mutiger mit dem Thema umzugehen“

Gibt es deiner Auffassung nach Unterschiede zwischen queeren Männern* und Frauen*? Ich habe den Eindruck, dass Frauen* im Alter sehr viel sexpositiver sind – zumindest in der Form, wie sie sich darüber äußern. Sie scheinen im Gegensatz zu Männern* mutiger mit dem Thema umzugehen. Es gibt da noch irgendwo etwas Rebellisches und bei Frauen* gibt es vielleicht mehr Lust am Experimentieren. Ich verallgemeinere natürlich, aber als Tendenz lässt sich das vielleicht schon so sagen.

Und bei queeren Männern*? Schwule haben oft ab Mitte 20 eine Menge Sex, holen auch die meist geklaute, weil unterdrückte Pubertät nach. Dazu kommt: unter dem sexuellen Gesichtspunkt sortieren wir sehr schnell und streng aus, obwohl das unseren Sehnsüchten oft zuwiderläuft.

Gibt es deiner Ansicht nach einen gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit Sexualität im Alter? Auf jeden Fall. Bestimmte Klischees, die sich mit dem Alter verbinden, sind längst nicht mehr so stark ausgeprägt. Meine Generation hat da Glück gehabt. Ich bin erst mit Mitte/Ende 50 langsam in eine andere Alterskategorie gerückt. Die Generation vor mir litt noch unterm Dreißig werden!

„Ich liege manchmal morgens im Bett und denke: Ich muss gar nichts machen. Das ist ein geiles Gefühl!“

Es wird jedoch vermehrt von Ageism in unserer Gesellschaft gesprochen. Das Phänomen gab es immer schon. Als ich damals in den 70ern ins KC in Berlin ging, gab’s auch schon die Tunten, die ihre Augen verdreht haben, wenn jemand drei Jahre zu alt war. Da wird ja die eigene Jugend als persönliches Verdienst verhandelt. Man erhöht sich, um andere runterzumachen. Aber man kann heute besser altern als noch vor 50 Jahren. Gleichzeitig ist die Gesellschaft natürlich auch total gaga und versucht ewiges Leben vorzugaukeln. Es gibt eine bestimmte Haltung in der Gesellschaft, dass jemandem, der aktiv ist, der sich nicht unterkriegen lässt und immer weitermacht, automatisch applaudiert wird – und zwar fast unabhängig davon, was die Person macht. Für mich ist die Auffassung, dass dieses Immer-Weitermachen als etwas absolut Positives dargestellt wird, nicht attraktiv. Ich finde es gut, wenn man in einem selbst bestimmten Alter zurücktritt und jüngere Menschen ranlässt.

Was ist denn das Beste am Alter? Die Freiheit der Kontemplation. Ich liege manchmal morgens im Bett und denke: Ich muss gar nichts machen. Das ist ein geiles Gefühl!

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