Erasure-Sänger Andy Bell: „Ich wollte eine Platin-Blondine sein“

Der Frontmann des britischen Popduos Erasure, Andy Bell, stellt am 15. Juni sein Soloalbum „Ten Crowns“ in Berlin vor. SIEGESSÄULE traf ihn vorab zum Interview
Andy, du hast nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass du schwul bist – und dich als junger Mann mit HIV infiziert hast. Warum bist du diesbezüglich so offen? Wahrscheinlich, weil ich es zum einen gar nicht verbergen kann. (lacht) Zum anderen, weil ich da ein bisschen wie ein abschreckendes Beispiel oder ein gutes Vorbild sein möchte. Nach dem Motto: „Seht her, das bin ich – und ich habe einen fürchterlichen Fehler beim Sex begangen: Ich habe mich nicht ausreichend geschützt. Also macht es besser. Seid nicht so naiv, wie ich es war.“
Wann wurde dir klar, dass du schwul bist? Das verdanke ich meinem Onkel – und meiner vielleicht größten Modesünde: Ich habe mal versucht, wie Lene Lovich auszusehen, die ich als Kind regelrecht vergöttert habe. Also bin ich in den nächsten Oxfam-Shop und habe eine alte Jacke gekauft, bei der ich den Kragen hochgeklappt habe. Dazu habe ich eine zerschlissene Jeans und darunter Netzstrumpfhosen getragen. So bin ich zum Haus meiner Großmutter, wo auch mein Onkel war. Er schaute mich angewidert an und meinte: „Was soll dieser Aufzug?“ Darauf ich: „Wieso, ich sehe doch gut aus.“ Da ist er aufgestanden und hat mir einen ekligen Popel auf die Jacke geschmiert. Als Rache habe ich den Aschenbecher vom Couchtisch genommen und über seinem Kopf entleert. Daraufhin hat er mich als „schwule Ratte“ beschimpft. Seither war alles geklärt.
Dein neues Soloalbum heißt „Ten Crowns“, zehn Kronen. Bist du wirklich der Meinung, dass es sich um zehn besonders edle Popsongs handelt? So eingebildet bin ich nicht. Es ist eher so, dass ich eine umfangreiche Zahnbehandlung hinter mir habe und jetzt auf insgesamt zehn Kronen komme. Außerdem erinnert mich der Titel an die Zehn-Münzen-Karte beim Tarot – ein Glücksbringer.
Die meisten Songs besitzen einen starken Dance-Vibe. Ich bin ein großer Fan von Tanzmusik – schon seit meinen Teenagerzeiten in Peterborough, als ich regelmäßig zu Disco-Veranstaltungen im lokalen Arbeiterclub meiner Eltern ging. Da habe ich die ganze Nacht durchgetanzt. Und als ich nach London zog, war ich Stammgast in allen Clubs und Bars. Ich war in jedem Pub, in dem es Disco-Nächte gab. Dort wurde ich gefragt: „Bist du professioneller Tänzer?“ (kichert) Und wenn ich in der Schlange vorm legendären Heaven stand und ein bisschen sang, hieß es: „Bist du ein Sänger?“ Auch hier habe ich abgewunken. Dann kam oft: „Vielleicht solltest du darüber nachdenken.“ Genau das habe ich getan. Ich denke, alle schwulen Männer stehen auf Dance-Musik. Das ist irgendwie Teil unserer Kultur.
„Ich denke, alle schwulen Männer stehen auf Dance-Musik. Das ist irgendwie Teil unserer Kultur.“
Bei singst du ein Duett mit Punk-Pop-Ikone Debbie Harry. Eine deiner Heldinnen? Schon seit ich ein Teenager war. Ich weiß noch, wie ich das Klappcover ihres „Parallel Lines“-Albums geöffnet habe und da regelrecht eingetaucht bin. Ich habe davon geträumt, selbst eine Platin-Blondine zu sein. Deshalb färbte ich meine Haare. Das gab mir das Selbstvertrauen dafür, der zu sein, der ich bin. Über die Jahre habe ich Debbie ungefähr fünfmal getroffen und mich noch mehr in sie verliebt. Sie ist unglaublich cool. Sie war und ist die Marilyn Monroe des Pop-Punk. Wobei es interessante Parallelen zwischen Blondie und Erasure gibt: Beide Bands haben fast 15 Jahre im kommerziellen Niemandsland verbracht – eine Zeit, in der wir komplett abgemeldet waren. Aber: Das passiert jedem Künstler. Es gibt Phasen, in denen die Leute vergessen, dass du überhaupt existierst. Du musst dich erst wieder in ihr Bewusstsein zurückkämpfen. Das ist uns beiden ganz gut gelungen, glaube ich. (lacht)
Andy Belll, Konzert: 15.06., 20:00,
Columbia Theater
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