Gegen normative Geschlechterbilder: Trans* Personen gab es schon immer

Am 14. Mai findet zum zweiten Mal der Gedenktag für Magnus Hirschfeld in Berlin statt. Ein Rückblick auf die Zeit vor, während und nach dem Holocaust zeigt: queere Menschen und trans* Personen gab es schon immer – entgegen rechtspopulistischer Narrative. Historiker*innen arbeiten bis heute daran, ihre Geschichte sichtbar zu machen: So auch von Witold Smentek und Käte Rogalli
Er war der Pionier der ersten Homosexuellen-Bewegung der Welt: Magnus Hirschfeld. 1919 gründete er in Berlin das erste Institut für Sexualwissenschaft und setzte sich dort für die Rechte von Menschen ein, die nicht in heterosexuelle oder binäre Kategorien passten. Sein Institut bot einer ganzen Community Schutz und Sichtbarkeit, bis es 1933 von den Nationalsozialisten zerstört wurde.
Im vergangenen Jahr rief das Land Berlin am 14. Mai den ersten Magnus Hirschfeld Tag ins Leben, der sowohl den Geburts- als auch den Todestag des Pioniers markiert. Der Gedenktag erinnert nicht nur an Hirschfelds visionäres Engagement, sondern auch an die Menschen, die dank seiner Arbeit erstmals ein Stück weit das Recht auf Selbstbestimmung erhielten – zumindest bis sie von der Repression durch die Nazis erneut eingeholt wurden.
Ein Stolperstein ohne Deadname
In den 1920ern entwickelte sich Berlin zu einem Zentrum queerer Subkultur, in dem eine ganze Szene mit neuen Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität und Identität experimentierte. Die Stadt bot fruchtbaren Boden für medizinische und wissenschaftliche Diskurse, die versuchten, geschlechtliche Nonkonformität zu verstehen und einzuordnen. In die Blütezeit der Weimarer Republik, auch genannt die „Goldenen Zwanziger", fiel auch Käte Rogallis Leben.
Rogalli, die bei der Geburt das männliche Geschlecht zugeschrieben bekam, identifizierte sich selbst zur damaligen Zeit als „Transvestit“. An ihrem Arbeitsplatz wurde sie als „Mädchen in Männerkleidung“ wahrgenommen und erlebte Diskriminierung, weil man sie für homosexuell hielt. Ab 1926 war es Rogalli durch einen „Transvestitenschein“ erlaubt, öffentlich Frauenkleidung zu tragen. Ein ärztliches Dokument, eingeführt von Magnus Hirschfeld, das trans* Personen erlaubte die Kleidung des vermeintlich anderen Geschlechts in der Öffentlichkeit zu tragen, ohne verhaftet zu werden.

Im August 2023 wurde in der Hagelberger Straße in Kreuzberg ein Stolperstein verlegt: „Hier wohnte Käte Rogalli“. 80 Jahre nach ihrem Tod wurde Rogalli damit die erste trans Frau, die mit einem Stolperstein geehrt wurde, auf dem ihr selbstgewählter Name und nicht ihr Geburtsname eingraviert ist. Der Stein erinnert an die Opfer der NS-Verfolgung, die an ihren letzten bekannten Adressen geehrt werden.
Transvestitismus und medizinische Anerkennung
Die Definitionen von Sexualität und Identität haben sich seit dieser Zeit kontinuierlich gewandelt. Der Begriff „Transvestit“ etwa ist nicht mit dem heutigen Verständnis von „transgender“ gleichzusetzen, stellte zur damaligen Zeit jedoch einen Versuch dar, geschlechtliche Vielfalt zu benennen und einzuordnen. Die Kategorie war in den 1920er Jahren weit gefasst und umfasste sowohl Menschen, die Kleidung trugen, die nicht ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht entsprach, als auch Personen, deren Geschlechtsidentität nicht mit diesem übereinstimmte.
Durch Hirschfelds Einsatz wurden erste rechtliche Wege zur Anerkennung von gender-nonkonformen Personen geschaffen.
Geprägt wurde der Begriff durch den Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld, der sich sowohl mit seiner medizinischen als auch politischen Arbeit für die Rechte geschlechtsnonkonformer Menschen einsetzte. An seinem Institut wurden zu dieser Zeit die ersten geschlechtsaffirmierenden Operationen durchgeführt. Durch Hirschfelds Einsatz wurden zudem erste rechtliche Wege zur Anerkennung von Personen geschaffen, deren Geschlechtsidentität oder -ausdruck von den gesellschaftlichen Normen abwichen.
Dazu gehörte auch der „Transvestitenschein“: Das Dokument sollte sogar eine offizielle Namensänderung erlauben. Käte Rogallis Antrag, ihren selbst gewählten Namen zu übernehmen, sei allerdings abgelehnt worden, berichtet Kai* Brust, queere*r Historiker*in, der*die 2019 auf die historischen Akten zu Rogalli stieß und ihre Transidentität erstmals ans Licht brachte. Dennoch ermöglichten diese ersten Ansätze Menschen wie Rogalli ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Anerkennung und rechtlicher Sicherheit – zumindest bis 1933.
Verfolgung unter den Nationalsozialisten
Unter dem NS-Regime verschlechterte sich die Lage für gender-nonkonforme Menschen dramatisch. Abweichungen von der binären Geschlechterordnung galten als Bedrohung für die „arische“ Rasse und die Familienstruktur. Männliche Homosexualität war bereits explizit unter Paragraf 175 kriminalisiert – ein Gesetz aus dem Kaiserreich, das 1935 von den Nazis verschärft wurde. Doch auch Lesben oder gendernonkonforme Menschen gerieten ins Visier der Repression: Obwohl ihr Verhalten nicht ausdrücklich kriminalisiert wurde, galten sie als „asozial“ oder staatsgefährdend, was später für die Inhaftierung in die Konzentrationslager verwendet wurde. So wurde Käte Rogallis „Transvestitenschein“ 1936 annulliert und die Gestapo zwang sie dazu, Männerkleidung zu tragen.
Wo klare Gesetze fehlten, entschied oft Willkür über das Schicksal queerer Menschen – und die Haltung ihres Umfelds. Als Käte Rogalli gegen die Auflagen der Gestapo verstieß und weiter Frauenkleider trug, wurde sie angezeigt – vermutlich von der eigenen Familie, weil diese ihre Lebensweise nicht akzeptierte. Sie kam ins KZ Sachsenhausen, musste Zwangsarbeit leisten und wurde später in eine psychiatrische Anstalt in der Nähe von München verlegt, wo sie 1943 starb.
Die Unsichtbarkeit von trans* NS-Opfern
Heute wird das Ausmaß der Verfolgung queerer Menschen im NS-Regime unter Historiker*innen teils kontrovers diskutiert. Während die Repression homosexueller Männer durch Paragraf 175 eindeutig belegt ist, bleibt die Verfolgung von trans* Menschen schwerer nachvollziehbar. Zwar wurden auch einige trans Frauen durch den Paragrafen 175 dafür kriminalisiert, Sex mit Männern zu haben, da sie bei den Behörden als verkleidete Männer galten. Sie wurden jedoch auch unter anderen Begriffen wie „asozial“, „kriminell“ oder als „politische Gefangene“ verfolgt – moderne Identitätskategorien sind nicht immer anwendbar. Zudem stammen viele Quellen aus der Perspektive der Täter, was die Selbstidentifikation der Opfer verschleiert.
Dennoch lassen sich ihre Identitäten in historischen Quellen aufspüren – etwa in strafrechtlichen oder medizinischen Akten, wie Kai* Brust erklärt: „Häufig beschrieben die Beamten und das medizinische Personal ganz genau, wen sie vor sich hatten.” Auch Begriffe wie „Transvestit“ wurden dabei verwendet.
So enthält die Akte von Käte Rogalli nicht nur Berichte von Behörden, sondern auch ihre eigenen Aussagen und ihren selbst gewählten Namen, der nie offiziell anerkannt wurde. Somit waren diese Menschen nicht unsichtbar – ihre Geschichten blieben nur lange unbeachtet, betont Kai* Brust.

Die polnische Historikerin Joanna Ostrowska versucht, nach „queeren Momenten“ in Biografien zu suchen.
Die polnische Historikerin Joanna Ostrowska versucht, nach „queeren Momenten“ in Biografien zu suchen. So bezeichnet sie Augenblicke, in denen Identitäten sich verschieben, brechen oder Normen überschreiten. In Polen gab es solche Spielräume: 1932 wurde das Verbot männlicher Homosexualität abgeschafft, bis es 1939 mit der deutschen Besatzung zurückkehrte. In dieser kurzen Phase konnten homo- und bisexuelle Männer ein gewisses Maß an Sichtbarkeit erlangen, berichtet Ostrowska. Transgeschlechtliche Menschen blieben in der polnischen Gesellschaft allerdings weitgehend sozial wie rechtlich marginalisiert.
Der erste bekannte Fall von Geschlechtsangleichung in Polen
Dass es auch in Polen frühe Kämpfe für Trans*-Rechte gab, zeigt allerdings die Geschichte von Witold Smentek. Er war der erste Mensch in Polen, der sein Geschlecht offiziell ändern ließ. Als erfolgreicher Athlet wurde sein „männliches Auftreten“ öffentlich diskutiert, was Smentek schließlich dazu nutzte, sich durchaus medienwirksam als Mann zu outen.
„Ich kann nicht weiter eine Frau sein. Ich werde ein Mann.“
„Ich kann nicht weiter eine Frau sein. Ich werde ein Mann“, schrieb Smentek in einer Erklärung an die Presse, bevor er sich 1937 zwei geschlechtsangleichenden Operationen unterzog. Nach den Eingriffen gelang es ihm sogar, vor Gericht offiziell als Mann anerkannt zu werden und seinen Geschlechtseintrag in den Dokumenten ändern zu lassen.
Joanna Ostrowska betont, dass Smenteks Fall einzigartig war: Ihm gelang die offizielle Änderung seines Geschlechtseintrags in einer Zeit, in der es keinerlei gesetzliche Grundlage dafür gab. Sein Beispiel zeigt, dass queere Menschen selbst unter den repressivsten Bedingungen Wege fanden, sich gegen normative Geschlechterbilder zu behaupten. Der Magnus Hirschfeld Tag erinnert nicht nur an einen wichtigen Wegbereiter queerer Emanzipation, sondern auch an all jene, die sich – wie Witold Smentek oder Käte Rogalli – nicht verstecken wollten.
Diese Veröffentlichung wurde unterstützt von n-ost, der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) sowie dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Rahmen der Bildungsagenda zu NS-Unrecht. Eine Version dieser Recherche wurde zuerst auf Polnisch bei OKO.press veröffentlicht.
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