Interview zum Selbstbestimmungsgesetz

Marco Buschmann: „Wir haben ein sehr gutes Ergebnis“

9. Juni 2023 Andreas Scholz
Bild: Dominik Butzmann
Justizminister Dr. Marco Buschmann

Der Entwurf zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz erntete massive Kritik aufgrund zahlreicher Sonderregelungen, die das Recht auf Selbstbestimmung wieder einschränken. Für die Umsetzung des Gesetzes ist das Justiz- und Familienministerium zuständig. SIEGESSÄULE hatte die Möglichkeit, mit Justizminister Dr. Marco Buschmann (FDP) ein Interview per Mail zu führen

Herr Buschmann, warum hat es so lange gedauert, bis der Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz vorlag? Der Entwurf war Anfang Mai fertig erarbeitet und veröffentlicht: Die Bundesregierung war zu diesem Zeitpunkt nicht mal eineinhalb Jahre im Amt. Das ist keine ungebührlich lange Zeitspanne, gemessen an der Wichtigkeit und Komplexität des Vorhabens. Wir wollten sichergehen, dass der Entwurf die Chance auf breite gesellschaftliche Zustimmung hat. Deshalb sind wir gründlich vorgegangen. Das hat sich gelohnt: Wir haben ein sehr gutes Ergebnis.

Was sind die wichtigsten Errungenschaften des neuen Gesetzes? Das Gesetz soll das Versprechen einlösen, das wir im Koalitionsvertrag gegeben haben: Trans- und intergeschlechtliche sowie nicht binäre Personen sollen nicht länger ein entwürdigendes Verfahren durchlaufen müssen, wenn sie ihren Geschlechtseintrag ändern lassen wollen. Künftig sollen sie die Möglichkeit haben, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen durch eine Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen. Die Einholung von Gutachten und eine Gerichtsentscheidung sollen nicht länger erforderlich sein. Wichtig außerdem: Das Transsexuellengesetz wird endgültig obsolet. Schon den Namen des Gesetzes empfinden viele Betroffene als Zumutung. Und wesentliche Teile des Gesetzes hat das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Wir schaffen die Selbstbestimmung, die überfällig ist.

Inwieweit haben Sie sich im Kontext der Debatten um das Gesetz mit der Realität von trans* Personen vertraut gemacht? Haben Sie mit Betroffenen, trans* Aktivist*innen und trans* Verbänden gesprochen? Wenn ja, inwieweit hat sich dadurch Ihre Sicht auf Themen wie trans* Rechte oder Selbstbestimmung verändert? Schon in der vergangenen Legislaturperiode habe ich, gemeinsam mit den anderen Abgeordneten meiner Fraktion, einen Entwurf für ein Gesetz zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung in den Deutschen Bundestag eingebracht. Denn schon damals war ich überzeugt: Die im Transsexuellengesetz geregelten Verfahren für die Änderung des Geschlechtseintrags sind den Betroffenen nicht länger zumutbar. Mit der Lebensrealität und den Interessen von transgeschlechtlichen Personen bin ich also nicht erst seit Kurzem befasst. Als Liberaler ist es meine Maxime, dass jeder Mensch frei und selbstbestimmt in allen Lebenslagen ist. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz schaffen wir hier einen wichtigen Baustein.

„Wenn wir diese Vorbehalte nicht adressieren, riskieren wir erbitterte Auseinandersetzungen – und den Misserfolg dieses wichtigen Vorhabens.“

Stichwort Hausrecht! Es gab sehr viel Kritik an Ihrer Äußerung zu diesem Thema in der Zeit. Ihnen wurde vorgeworfen, vor der transfeindlichen Debatte eingeknickt zu sein. Sie sagten sinngemäß, dass die Betreiberin einer Frauensauna, trans* Personen aufgrund ihres Erscheinungsbildes auch zukünftig ausschließen darf. Verschiedene Personen aus der Community und der Politik kritisierten, dass damit die Diskriminierung von trans* Personen ausdrücklich erlaubt werde. Glauben Sie ernsthaft, ein cis Mann würde seinen Geschlechtseintrag ändern lassen, nur um dann in einer Frauensauna Frauen zu belästigen? Dieses Szenario halte ich für abwegig. Aber allein von persönlichen Mutmaßungen darf man sich bei Gesetzgebung nicht leiten lassen. Die Ankündigung des Selbstbestimmungsgesetzes ist in Teilen der Gesellschaft auf Vorbehalte gestoßen. Wenn wir diese Vorbehalte nicht adressieren, riskieren wir erbitterte Auseinandersetzungen – und den Misserfolg dieses wichtigen Vorhabens. Aus diesem Grund haben wir im Gesetzestext klargestellt: Das Hausrecht und die Vertragsfreiheit werden durch das Gesetz nicht angetastet. Was heute zulässig ist, wird auch künftig zulässig sein. Natürlich ist das kein Freibrief für Diskriminierung. Derartiges habe ich auch nicht behauptet, denn es würde auch völlig meiner Überzeugung widersprechen.

Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes widersprach Ihren Aussagen. Sie hatte deutlich gemacht, dass laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine Person nicht einfach aufgrund ihres Aussehens abgewiesen werden dürfe. Dies entspreche überhaupt nicht geltender Rechtslage. Was erwidern Sie? Wir haben es hier, wenn überhaupt, nur mit einer vordergründigen Meinungsverschiedenheit zu tun. Ich teile die Einschätzung: Es ist nach dem AGG unzulässig, Personen allein wegen ihres Aussehens abzuweisen. Unzulässig ist es auch, Personen allein aufgrund ihrer Transgeschlechtlichkeit abzuweisen. Im AGG steht allerdings auch: Eine verbotene Benachteiligung liegt nicht vor, wenn es für eine unterschiedliche Behandlung einen sachlichen Grund gibt; und ein sachlicher Grund kann insbesondere dann vorliegen, wenn durch die Ungleichbehandlung einem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre Rechnung getragen wird. Das ist der Maßstab, an dem zum Beispiel der Zugang zu Frauensaunen im Einzelfall zu messen ist. Klar ist aus meiner Sicht auch: Bedürfnisse nach Schutz der Intimsphäre stehen in keinem direkten Zusammenhang mit Geschlechtseinträgen im Personenstandsregister. Ob entsprechende Bedürfnisse eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen, wird sich im Einzelfall deshalb nicht anhand des personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrags beurteilen lassen. Ich habe keinen Anlass zur Annahme, dass man das in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes anders sieht.

„Bedürfnisse nach Schutz der Intimsphäre stehen in keinem direkten Zusammenhang mit Geschlechtseinträgen im Personenstandsregister.“

Eine der zentralen Kritiken am Gesetz ist: Im Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz stehe unglaublich viel Misstrauen gegenüber Menschen, die ihren Geschlechtseintrag ändern wollen. Ob es um das Hausrecht, die Aussetzung der geschlechtlichen Selbstbestimmung im Kriegsfall, um die dreimonatige Wartezeit, um die Quotenregelung oder um Sonderregelungen für den Sport geht – überall finden sich im Entwurf Ausnahmefälle und Einschränkungen des Rechts auf Selbstbestimmung: Können Sie die Kritik nachvollziehen? Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein gesellschaftspolitischer Meilenstein: Wir machen Schluss mit den entwürdigenden Verfahren des Transsexuellengesetzes. Darauf haben viele Betroffene lange gewartet. Das sollten wir nicht kleinreden. Die von Ihnen angesprochene Kritik teile ich nicht. Die fraglichen Bestimmungen im Entwurf verfolgen vor allem zwei Anliegen: Sie sollen sicherstellen, dass niemand die Entscheidung zur Änderung des Geschlechtseintrags übereilt trifft; und sie sollen Missverständnissen über den Regelungsinhalt des Gesetzes vorbeugen. Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein Gesetz, mit dem das Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister vereinfacht wird. Im Übrigen bleibt die Rechtslage im Wesentlichen gleich. Diese Klarstellung ist aus meiner Sicht wichtig für die breite Akzeptanz des Gesetzes – und ganz sicher nicht Ausdruck von Misstrauen.

Befindet sich Deutschland im Krieg, darf der Geschlechtseintrag nicht mehr von „männlich“ zu „weiblich“ oder „divers“ geändert werden. Wäre diese Regelung ohne den Ukrainekrieg überhaupt in das Gesetz aufgenommen worden? Auch diese Vorschrift ist ein Beitrag zur besseren Akzeptanz des Gesetzes. Vorbehalte – und mögen sie für manche noch so abwegig erscheinen – müssen ausgeräumt werden, wenn das Gesetz breite Zustimmung finden soll. Bis zum 24. Februar letzten Jahres schien es vielen als ein gänzlich irreales Szenario, es könne der Fall eintreten, dass wir unser Land und unsere Demokratie gegen eine bewaffnete Aggression verteidigen müssen. Inzwischen hat diese Vorstellung – leider – den Charakter des gänzlich Irrealen verloren.

Im Artikel 13 steht, dass die Bundesregierung das Selbstbestimmungsgesetz nach fünf Jahren noch einmal „überprüfen“ muss. Ist damit im Gesetz selbst schon angelegt, dass die Rechte von trans*, inter* oder nicht binären Personen nach einigen Jahren wieder einkassiert werden können? Das Selbstbestimmungsgesetz ist notwendig. Denn der gegenwärtige Rechtszustand ist den Betroffenen nicht länger zumutbar. Wir müssen ihn – endgültig – hinter uns lassen. Zu guter Gesetzgebungspraxis gehört es allerdings auch, neue Regelungsregime nach einiger Zeit einer Evaluation zu unterziehen. Denn ob ein Gesetz in allen Details gelungen ist, zeigt sich oft erst in der Praxis. Genauso wollen wir auch beim Selbstbestimmungsgesetz verfahren.

„Das Selbstbestimmungsgesetz ist notwendig. Denn der gegenwärtige Rechtszustand ist den Betroffenen nicht länger zumutbar.“

Bis wann soll das Gesetz in Kraft treten? Wird das noch in diesem Jahr geschehen oder erst 2024? Ein überhastetes Gesetzgebungsvorhaben wäre bei einem so wichtigen gesellschaftspolitischen Vorhaben nicht angemessen. Ich wünsche mir, dass das Gesetz im Deutschen Bundestag sorgsam beraten und dann verabschiedet wird.

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